Kitzingen
Längst ist nicht mehr alles Gold, der Glanz ist verblasst. Der Klavierbauer Seiler im Kitzinger Industriegebiet „Goldberg“ muss sogar fürchten, dass es bei Gewitter ins veraltete Produktionsgebäude regnet. Nur die Grünflächen davor sind picobello. „Wir haben sonst nicht viel zu tun“, sagt René Olbrich und zeigt aufs kurzgeschorene Gras. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende spürt wie seine gut 20 Kolleginnen und Kollegen seit Monaten den Auftragsrückgang. Nun gibt es Kündigungen.
Im Oktober 2023 hatte Samick, der koreanische Mutterkonzern der Seiler Pianofortefabrik, laut Betriebsrat einen Großauftrag für Flügel und Klaviere storniert. Instrumente in verschiedenen Fertigungsphasen füllen das Lager in Kitzingen. Niemand weiß, ob sie jemals zu Ende gebaut werden.
Die schleppende Nachfrage auf dem Weltmarkt, erklärt Geschäftsführer Daniel (Sung Young) Kwon, habe zu einer „schrecklichen Situation“ geführt und den Absatz der hochwertigen Seiler-Produkte einbrechen lassen. Verantwortlich für die Flaute seien wirtschaftliche Probleme im Hauptabsatzmarkt China und Sanktionen gegen Russland, wo es reiche Kunden gibt. Ein Klavier oder Flügel aus deutscher Produktion sei ein Luxusprodukt, sagt Kwon. An solchen Gütern werde in der Krise gespart.
Mehr als 10.000 Euro kostet ein Klavier, made in Kitzingen, bis zu 160.000 Euro ein großer Konzertflügel. Auch der Umsatz im kriselnden Europa liege am Boden, erklärt der Seiler-Geschäftsführer: „Die Lager der Produzenten und der Händler quellen über.“ Dieses Problem treffe nicht nur Seiler in Kitzingen, sondern auch Samick-Fabriken in Indonesien mit Tausenden von Mitarbeitern. Dort werden die „Billiglinien“ der Seiler-Instrumente gebaut, wie René Olbrich sagt.
In Kitzingen zieht Samick jetzt Konsequenzen: Nach Kurzarbeit von März bis Juli hat Kwon der Belegschaft jetzt verkündet, dass neun Beschäftigte in der Produktion und der Betriebsleiter gehen müssen. Bereits Ende 2024 sollen die Stellen abgebaut sein. Betriebsratsvorsitzender Nikolas Patsiouras und sein Stellvertreter Olbrich haben ihren Worten zufolge mit einem Anwalt Sozialpläne erstellt und Abfindungen erstritten.
Billigkonkurrenz kommt aus dem Mutterkonzern Samick
Betroffen sind Auszubildende ebenso wie Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten dabei sind. Ein Klavierbauer und gefragter Klavierstimmer, der Mitte der 1970er Jahre in die Firma eintrat, ist fassungslos: „Da steckt viel Herzblut drin.“ Die Instrumente aus Kitzingen hätten „Seele“ und „Transparenz“ – den typischen Seiler-Klang, heißt es in der Werbung.
Werbung für ihre Produkte und Transparenz in den Gesprächen vermisst die Belegschaft allerdings. Die Wirtschaftslage sei schwierig, sagen auch die Betriebsratschefs Patsiouras und Olbrich. „Aber im Vertrieb und im Marketing wurde in den letzten zehn Jahren nichts gemacht.“ Andere Klavierbau-Firmen litten auch, „aber ein bisschen was geht bei denen trotzdem – bei uns geht nichts“.
Samick habe sich seit der Übernahme der damals insolventen Firma Seiler im Jahr 2008 darauf konzentriert, die deutschen Patente zu bekommen und die Kitzinger Handwerkskunst zu kopieren, sagen die Betriebsräte. In Indonesien entstanden Produktlinien wie „Eduard Seiler“ und „Johannes Seiler“, die nach Worten der Betriebsräte billigere Einstiegsmodelle bieten. Die Qualität sei zwar nicht dieselbe wie die der Instrumente der puristischen Marke „Seiler“, die in Kitzingen gefertigt werden. Doch nicht für jeden Laien sei der Unterschied erkennbar. Die Arbeitnehmervertreter vermuten, dass hinter den Entlassungen eine Strategie des koreanischen Konzerns stecken könnte: Samick reduziere den Standort Kitzingen auf ein Minimum, trenne sich von der teuren Fertigung in Deutschland und produziere ganz in Asien weiter. Den Standort Kitzingen behalte man nur, um die Marke zu erhalten und auf ein Teil der Instrumente „Made in Bavaria/Germany“ stempeln zu können.
Nach 175 Jahren Seiler geht viel Fachwissen verloren
Geschäftsführer Kwon betont hingegen, dass die Produktion von Flügeln, also den hochwertigsten Seiler-Produkten, in Kitzingen erhalten werden soll. Allerdings nur noch in einem Gebäude; ein zweites werde verkauft. Wie er das mit einer Rumpfbelegschaft bewerkstelligen will, ist den Mitarbeitern schleierhaft.
Ein Flügel entsteht in einer Vielzahl von Arbeitsschritten: vom Bau des Holzrahmens über den Einbau von Resonanzdecke und Tastatur, das Lackieren bis zum Intonieren. Das dauert viele Monate und erfordert Spezialisten, die jetzt bis auf wenige das Haus verlassen.
Samick habe angesichts der Zahlen keine andere Wahl, sagt Geschäftsführer Daniel Kwon. Die wirtschaftliche Lage werde sich so schnell nicht ändern. Die Mitarbeiter dagegen sprechen vom Verlust einer 175-jährigen Tradition, eines immensen Fachwissens – und eines Instruments mit unverwechselbarem Klang.