Produziert unser Schulsystem musikalische "Analphabeten"?

Bei uns in der Klasse wurden in der fünften und sechsten Klasse die minimalsten Grundlagen gelernt - Notenlesen nach dem Violinschlüssel, indem jeder in der Klasse Blockflöte spielen lernen musste (ich habe es gehasst) und um das halbwegs hinzubekommen zumindest ein paar Grundlagen lernen musste (nämlich Melodien im Violinschlüssel lesen inkl. einfacher Rhythmen und vor allem natürlich der Tonhöhen).

Nun - gebracht hat das nichts, denn ab der siebten Klasse (anderer Musiklehrer) wurde das nicht wiederholt. Wir mussten Biografien von Mozart, Eminem, Haydn, Elvis Presley, Madonna, etc. über uns ergehen lassen - allein die Mischung ist schon schlimm. Aber das ganze ausschließlich aus Referaten der Schüler, weil der Lehrer wohl ein Vierteljahrlang keine Lust auf Unterrichten hatte...
Danach dann viel Singen ("Mein kleiner grüner Kaktus" reißt eine achte Klasse wahnsinnig mit...) und ein paar klassische Werke hören. Das Bluesschema und ein knapper Abriss über die Geschichte des Jazz wurden auch noch gemacht und vor den Ferien wurde ein Video eingelegt - ich habe in der Schule mindestens viermal ein und dieselbe Verfilmung der "West Side Story" gesehen.

Von der neunten bis zur elften Klasse gab es insgesamt nur ein Schuljahr lang Musikunterricht. In den anderen beiden Jahren war Bildende Kunst dran, was in dem Jahr in dem wir Musik hatten dafür ausfiel.
In diesem Jahr haben wir viel Rhythmusmusik gemacht mit Klangstäben, Rasseln etc... sogar nach Rhythmusnoten, die irgendwie keine so richtig verstanden hat, aber auch nicht mehr ausführlich erklärt wurden. Schließlich stand Oper auf dem Programm - Partitur des Freischütz auf den Tisch, Video rein und zuhören. Ohne großartige nachträgliche Analyse. Dann Gruppenarbeiten (eine Gruppe Haydn, eine Mozart, eine Beethoven, eine Bach...). Zum Abschluss noch ein Überblick über die Epochen von Gregorianik bis zur Moderne... anhand von vielen Hörbeispielen Klangcharakteristika der Epochen erkennen lernen.

Zuletzt bliebe dann die Kursstufe 12/13. Ich habe Musik nicht als Hauptfach gewählt (aus dem simplen Grund, dass mein Hauptfach mit Bildender Kunst schon belegt war). Musik habe ich freiwillig dann als Nebenfach gehört. Da ging es dann endlich mal richtig zur Sache. Bruckners 8. hören und analysieren, mit der Partitur vor der Nase. Selbiges mit einigen Liedern aus Schuberts Winterreise, Mozarts Jupitersinfonie, den Mozart-Variationen von Reger, Bergs Violinkonzert und noch ein paar anderen kleineren schönen Stücken.
Nun ja, für mich war das in der Tat interessant. Für die anderen, die keine Instrumentalausbildung hatten (das waren 23 von 28 Leuten bei uns...) war das dann der Untergang, weil sie natürlich das Notenlesen endgültig verlernt hatten und die Bruckner-Partitur (etc.) dann mehr als ein Buch mit sieben Siegeln war. Ebenso natürlich in der Klausur, deren Schnitt bei uns dann immer jenseits der 4,0 lag. Und das, obwohl wir fünf Musiker im Kurs (denen bei so Umständen auch der Spaß verging) den Schnitt eigentlich noch ziemlich passabel nach oben gezogen hatten.
Zur Krönung des ganzen folgte dann zwei Tage vor Weihnachten wieder einmal mein Lieblingsvideo (West Side Story) und dann noch nach den Ferien eine Phase, wo der Lehrer mal wieder zwei Doppelstunden lang keine Lust auf Unterricht hatte und uns deshalb die Aufgabe gab, wir sollen (jeder für sich) eine dreistimmige Fuge in Zwölftontechnik komponieren. Halleluja. Danach kam dann noch ein wenig Nachgeplänkel und ich war den Musikunterricht der Schule für immer los.

Und hätte ich nicht nebenher Klavier gelernt und in einem Chor gesungen und somit anderweitig Ahnung von der Materie bekommen - ich wäre heutzutage gewiss ganz ganz ganz weit weg von der klassischen Musik (bzw. gar nie dort angekommen).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo, ihr alle, ja da gebe ich euch allen Recht: in unserem Schulsystem gibt es keine gescheite Praxis, wie man den Kindern Musik so nahebringt, dass sie Geschmack daran finden und von sich aus gerne ein Instrument lernen möchten und so dann zum Notenlesen und der Harmonielehre kommen können. Ich bin Pädagogin und heute wegen kleinem Kind in erster Linie im Nachhilfebereich tätig. Bei uns in Bayern müssen die Schüler in der 4. Klasse Grundschule im Musikunterricht alles über bekannte Komponisten lernen. konkret sieht das so aus, dass sie die Lebensdaten, Werkanzahlen, Opusbezeichnungen etc. von Beethoven, Mozart usw. auswendig lernen müssen, um sie dann in der obligatorischen Schulaufgabe wiederzugeben. Eine meiner Schülerinnen meinte dazu letztes Schuljahr: "Schubert ist Sch...e.!" Als ich fragte warum, meinte sie, der hat so viele Sachen geschrieben und so viele blöde Titel für seine Stücke. Im Unterricht hatten Sie nicht ein Schubertstück gehört!!!
Eine andere Schülerin wurde von ihrer Mutter dazu verdonnert, in die Chorklasse zu gehen, damit sie eine gute Note in Musik bekäme um so die zu erwartende schlechte Note in Mathe ausgleichen zu können.
Noten lernt man beim Spielen automatisch, Harmonielehre interessiert die Schüler, sobald sie soweit sind, nicht mehr nur bloß einfache Sachen vom Blatt abspielen zu wollen, sondern auch die schweren Stücke.
Sabine
 
Ich bin hier wohl der einzige, der nie Blockflöte lernen musste ;)

Rückblickend war der Musikunterricht bis etwa der 9.Klasse überhaupt nichts wert. Noch in der 11.Klasse mussten Dur/Molltonleitern wiederholt werden, damit sie einigermaßen in den Köpfen präsent waren.

Es kann doch irgendwas nicht stimmen, wenn in einem Fach, das jahrelang unterrichtet wird, das Wissen der Schüler auf einem so dermaßen niedrigen Level bleibt. Es wäre lächerlich in Mathe in der 10.Klasse etwa den Stoff der 6. zu wiederholen. In Musik völlig normal... die Anforderungen bei Transferaufgaben sind verglichen zu Deutsch oder Mathe lachhaft.

Das kann auch nichts damit zu tun haben, dass sich "eben nicht jeder dafür interessiert". Chemie hat mich auch nicht interessiert, trotzdem habe ich die Grundlagen lernen müssen und kein Lehrer hätte mir die 5 oder 6 erspart, wenn ich nicht gewisse Leistungen erbracht hätte. Warum passiert das im Musikunterricht nicht?

lg marcus
 
Das kann auch nichts damit zu tun haben, dass sich "eben nicht jeder dafür interessiert". Chemie hat mich auch nicht interessiert, trotzdem habe ich die Grundlagen lernen müssen und kein Lehrer hätte mir die 5 oder 6 erspart, wenn ich nicht gewisse Leistungen erbracht hätte. Warum passiert das im Musikunterricht nicht?

sehe ich genauso!

übrigens: auch ich hatte in der Grundschule sowie später keinen Blockflöteunterricht - - schade, denn ich halte das - wenn es gut gemacht wird! - für sehr nützlich.

Gruß, Rolf
 
Man kann ja auch auf ein Gymnasium gehen, oder spricht etwas dagegen?
Warum sollte man Realschüler auch zu Profimusikern ausbilden??? :rolleyes:

Was soll das denn heißen? Bildet man denn Gymnasiasten zu Profimusikern aus? Und mal angenommen ja, warum sollte man das Realschülern verwehren?
Und nein, man kann in unserem segregativen, einkommensabhängigem Schulsystem nun leider nicht einfach auf ein Gymnasium gehen..

Zitat von hasenbein:
Notenlesen kann man nicht "abstrakt" lernen, genauso wenig wie man Lesen und Schreiben "abstrakt" lernen kann. Man hat beim Lesen & Schreiben immer das konkrete Sprechen als unverzichtbare Basis (anders wär's absurd!), und genauso muß beim Notenlesen die aktive Tonvorstellung als notwendige Basis da sein bzw. aufgebaut werden.
Gut, aber wie sieht es mit Mathe aus? Mathe ist ein Pflichtfach, obwohl schätzungsweise 80 % der Schüler mit den erweiterten Kenntnissen der späten Mittel- und der Oberstufe später beruflich nichts zu tun haben wird, binomische Formeln sind für viele nicht Bestandteil des Lebens und Binomialverteilungen erst recht nicht. Dazu kommt, um bei dir anzuknüpfen, der Großteil des Matheunterrichts ist sehr abstrakt. Man lernt hauptsächlich das Werkzeug, man lernt, wie man etwas ausrechnet, ausführt etc, aber es bleibt oft ein theoretisches Konstrukt. Natürlich haben Sachaufgaben einen gewissen Realitätsbezug, allerdings ist der oft auch nicht alltäglich.

Mit Musik ist es womöglich ähnlich, man lernt eben das Werkzeug, um musizieren zu können und Musik behandeln zu können, auch wenn man es (vorerst) noch gar nicht tut. Natürlich muss, sollte und soll man nicht knallhart mit Theorie den ganzen Unterricht vollpumpen, fortgeschrittene Funktionsharmonik macht man, wenn überhaupt, dann im Leistungskurs, aber das ist in Mathe ja auch nicht anders.

Zitat von xXpianOmanXx:
BTW: Auf einem Privatgymnasium in der 8. Klasse hat man bei mir gesungen, mit irgendwelchen möchtegern-Instrumenten (Xylophon, Gurke etc.) Krach veranstaltet und das wars.
Ich frage mich eigentlich ob es nicht einheitliche Lehrpläne gibt?
Auf jeder Schule (jetzt rede ich aber von Gymnasien)wird im Grunde was Anderes gemacht.
Naja, es ist glaub ich schwer einheitliche Themen zu finden. Unsere Abiturthemen in der Oberstufe waren Minimal Music, Musiktherapie und Debussy-Stilkopien. Das sind alles ziemlich spezielle Sachen und man würde der Vielfalt der Musik nicht gerecht werden, wenn man sich beschränken würde, da man nicht alles machen kann.

Ich hatte bis zur siebten Klasse auch nicht so guten Unterricht, es war nun mal fast nur singen. Aber ab der 8. Klasse bekamen wir einen richtig guten Musiklehrer. Natürlich haben wir auch teilweise gesungen, wir haben Referate über Bands gehalten, klar. Aber wir haben interessante Sachen gemacht, die auch den anderen Spaß gemacht haben, die kein Instrument spielten. Wir haben als Thema Coverversionen gehabt, haben uns mit Covern von Songs auseinandergesetzt, was geändert wurde etc. Zum Thema Romantik haben wir dann Programmmusik gemacht, Bilder einer Ausstellung gehört und dann den Bydlo in Gruppen neu arrangiert. Dafür muss man natürlich Noten lesen können etc, das war schon Grundkenntnis und ab dem Zeitpunkt war Musik auch schon Wahlfach, die, die es nicht wollten hatten dann Kunst. Aber es war kein stumpfes Auseinandersetzen mit alter Musik, es hat Spaß gemacht.

Im Leistungskurs haben wir dann relativ zu Anfang Bachchoräle analysiert und ausgesetzt, wofür wir dann natürlich die grundlegende Funktionsharmonik gelernt haben. Das, finde ich, ist so die Theoriegrenze, weiter sollte man in der Schiene nicht gehen und wenn man Choräle gut aussetzen kann, dann hat man auch schon einiges drauf.

Ich hatte übrigens auch keinen Blockflötenunterricht. ;)
 
Man kann ja auch auf ein Gymnasium gehen, oder spricht etwas dagegen?
Warum sollte man Realschüler auch zu Profimusikern ausbilden??? :rolleyes:


Da muss ich dir absolut zustimmen. Ich hatte von der 5. bis zur 9. Musik / Realschule. Musik war das Fach, auch für mich, in dem man die Mathe-sachen von den Mitschülern nochmal erklärt bekommen hat oder es wurden die gemachten Hausaufgaben ausgetauscht. Die Themen waren bescheiden (z.B. ab der 7. JEDES Jahr im 2. Halbjahr die Biografien von Bach, Schumann, Schuberth, Wagner und Mozart lernen), da hat kaum einer noch aufgepasst. Bei mir haben wir zu zweit ein Instrument gespielt bzw. konnten Noten lesen. (Aber das hat man garnicht gebraucht.)

Zum Vorspielen waren wir zwei (Bratsche, Flöte und Klavier, Klavier beide) dann wieder gut. Allerdings kam nach unserem letzten Vorspiel vom Lehrer, dass er etwas anderes erwartet hätte (wir haben Teile eine Händel Sonate gespielt) eher in Richtung "was ihr halt so hört". Ganz ehrlich: Michal Jackson mit Flöte und Klavier wäre auch nicht das wahre gewesen.
 
Ersteinmal muss ich sagen, dass ich nicht denke, dass es mit anderen Fächern anders wäre. Es ist schliesslich nicht nur dass Spätanfänger sich mit dem Noten-lesen müssen, würden sie sich plötzlich für Kunst, Biologie oder ähnliches interessieren müssten sie auch erstmal die Bergmannsche Regel lernen, kennen tut sie keiner, trotz dessen dass sie unterrichtet wird. nur ein Bsp.
ich glaube nicht dass Musik da die ausnahme ist.

Ich glaube auch nicht dass es einfach umzusetzten ist 30 tuschelnden Schülern etwas zu vermitteln, besonders im Musikunterricht, wo doch jeder Schüler weiß, dass es kein Hauptfach ist, Mutti schimpft im Regelfall auch nicht wenn da eine schlechte note bei herauskommt und abwählen kann man es später auch (habe ich getan)

Bei mir lief es in der Regel so ab, dass wir alle möglichen Aufgaben bekommen haben, die nur von bereits musizierenden zu bewältigen waren sodass ein jemand der bisher mit Musik noch nicht in Berührung gekommen ist, verloren hat. Sowohl in der Grundschule, wo es soweit ich mich erinnere nur ums singen ging, gab es 2 Kinder die Chor waren, und immer ihre 1 bekommen haben. Dann später auch auf dem Gymnasium (ich war übrigens auf einem Gymnasium mit Schwerpunkt auf Musik und "Musik-Klassen" in die man nur herinkam wenn man ein oder zwei Instrumente spielte.)
 
Ich hatte in der Schulzeit meist guten Musikunterricht und auch meine Klassenkameraden haben die Grundlagen gelernt.
In Kl. 1-5 haben wir meist gesungen und geflötet, wobei es in der 4.Kl. mit Notenlesen und -schreiben anfing. In der 5.Kl. waren Intervalle und Quintenziekel die Inhalte.
In der 6.-8. Klasse hatten wir einen Lehrer, der viele Lieder für uns komponiert hat, die wir dann singen mussten. In dieser Zeit haben wir auch eine CD eingespielt und eine kleinere Konzertreise ins Ausland gemacht. Theorie haben wir in der Zeit direkt nicht gelernt, aber Noten lesen und schreiben perfekt. Jeder aus meiner Klasse konnte seine Stimme vom Blatt singen und wenn nötig auch korrigieren.
Ab der 9.Kl. hatten wir Musikunterricht wie ich es auch von meinem Musikstudium kenne. Unser Lehrer war ein Musikprof., der an unserer Schule ab der 9.Kl. die Abivorbereitung gemacht hat. Wir haben systematisch einen Überblick über die Musikgeschichte bekommen und paralell dazu immer die jeweiligen Werke analysiert. Das ganze lief ab wie in der Uni in einer Vorlesung. Von uns wurde meist nur gefordert zuzuhören. Hausaufgabe war dann immer eine Zusammenfassung ins Heft zu schreiben und ein kleineres Werk selber zu analysieren
Wer Interesse hatte konnte bei mir in der Klasse also alles sehr gut lernen. Ich habe von meinem Musikunterricht noch während des Studiums profitiert. Die Schüler die kein Interesse hatten haben ihre Zeit einfach abgesessen und nur das Nötigste gemacht. Selber schuld. Man kann einen Teenager auch nicht zu allem zwingen.
Ich glaube auch, dass man vieles mit der Zeit auch wieder verlernt. Ich war z.B immer sehr gut in Chemie und Bio, trotzdem weiß ich gar nichts mehr. Ich müsste mir alles wieder anlesen. Das ginge sicher schnell, aber ich glaube ich könnte keine einzige Chemieformel mehr richtig aufschreiben.
Warum soll es anderen in Musik anders gehen?
 
Was heißt durften? Hat der Lehrer gesagt: "Ihr Musiker macht doch jetzt mal die Arbeit für die Nichtmusiker mit? Dann war der Lehrer eines Lehrers unwürdig.
Oder habt Ihr das freiwillig gemacht? Dann braucht man sich darüber nicht aufzuregen.

Leider ist es fast so abgelaufen. Wenn man nicht ständig alle möglichen Begriffe etc. nachfragte, hatte man in diesem Unterricht als Musiker kaum eine Möglichkeit sich zu beteiligen und konnte sich nur durch diese Gruppenarbeiten/ -projekte vor einer 4 retten, in dem man eben die Arbeit für die ganze Gruppe machte. Und diese Note kam zu der Note für mündliche Beteiligung dazu und die Nichtmusiker standen dann immer besser da. So sollte es eigentlich nicht sein.
Wenn man dann mal sagte, dass das ungerecht sei, kam vom Lehrer nur "die anderen können ja nichts dafür, dass sie kein Instrument spielen und nicht so viel Ahnung haben wie du, da musst du eben mehr machen." Ganz toll.

Es geht noch lange nicht um neue Werbemelodien erfinden, Filmszenen vertonen, Kanon komponieren,
sondern um ein Gefühl zu bekommen, wie schön ein Lied ist, wohin es uns trägt, uns begleitet, ein Tröster in der Not sein kann, eine Lust ist in glücklichen Momenten ... und man ein Gut immer bei sich hat, das nichts kostet.

Natürlich geht es eigentlich nicht um Ersteres, aber wenn der "Lehrer" nun mal meint, dass Musikunterricht so abzulaufen hat und nicht so, wie du es beschreibst, kann man als Schüler nichts machen.
 
Hallo,
ich bin Autodidaktin seit ca 3 Wochen, E-Piano, Heumann, den ich hier gleich allen Anfeindungen zum Trotz lobend erwähne, und übe seitdem ca. 3 bis vier Stunden pro Tag (Nacht).
Noten wurden in meiner Schule zwar gelehrt, aber ich habe sie nicht wirklich gelernt, sie nicht gefühlt. Es blieb nichts hängen, war abstrakt. Für das Singen reichte damals das Gehör.
Es fehlte somit das Instrument. Und das Interesse meinerseits, eines spielen zu wollen.

In den letzten zwei Wochen nehme ich Noten erstmals wahr.
Mit was für einer Freude und mit welchem Aha-Erlebnis.
Ich schaue auf die Note. Ich taste. Und ich höre. Ich schaue, schieße die Augen, taste und höre.
Ich lerne heute Buchstaben um eine herrliche Sprache, die ich bis jetzt nicht sprach, naturlangsam sprechen zu lernen.

Liebe Grüße
Pomurla
 
Hallo zusammen,

es gibt Ausnahmen, die aber von einzelnen Schulen in Eigen-Regie gestartet werden. Der Sohn einer Freundin hat nun ab der 2. Klasse Instrumental-Unterricht. Unterricht kommt von Lehrern der hiesigen städtischen Musikschule, also Profis. Zuerst, in der ersten Klasse, wurden den Kindern alle möglichen Instrumente vorgestellt (Klavier, Gitarre, Cello, Schlagzeug, Violine ...) und sie durften sich nun drei Instrumente aussuchen, die sie lernen möchten, nach Prioritäten. Der Sohn meiner Freundin hat sich 1. Gitarre, 2. Klavier und 3. Schlagzeug ausgesucht. Da das Haus mein Kawai CN31 "geerbt" hat, wer braucht schon drei E-Pianos, läuft es wohl auf Klavier hinaus. Der Unterricht kostet 10€ pro Monat bei einer Stunde Unterricht pro Woche. Finde ich super.

Was dabei übrig bleibt, nach der vierten Klasse, steht in den Sternen. Aber ich habe mit 16 angefangen mit Gitarre, bin mit 17 zum Bass konvertiert und habe ihn erst 2006 zugunsten des Klaviers in die Ecke gestellt. Nach mehr als dreißig Jahren. Ich denke, wenn man Motivation wecken kann, ist das eine sinnige Sache.

Grüße,

Rainer
 

Guten Tag!

Der Mühe, alle schon vorhandenen Beiträge zu lesen, habe ich mich nicht unterzogen.
Hoffentlich käue ich jetzt nicht wieder, was andere schon gesagt haben.

Ich halte die Frage für falsch gestellt. Wie in allen anderen Lebensbereichen auch -
die Schule kann nicht an Defiziten ausgleichen, was in den Elternhäusern versäumt worden ist.
Es ist ein Überanspruch. Trotz irgendwelcher aktionistischer Kampagnen à la Jeki
werden zuwenig Musiklehrer beschäftigt, und die Musikunterrichts-Stundenanzahl ist zu gering.
Für ernsthafte musische Förderung fehlt der politische Wille, was gleichbedeutend damit ist,
daß den Politikern die Einsicht fehlt. Letztere begnügen sich mit Sonntagsreden,
die sie nicht selbst geschrieben haben, die sie mühsam vom Blatt ablesen müssen
und deren Inhalt sie durch ihr Montagshandeln widerrufen.

Bleiben also die Elternhäuser: Wenn es den Eltern nichts bedeutet, mit ihren Kindern zu singen -
die wichtigste und elementarste Form der Musikausübung -, wenn den Eltern das Musizieren nichts bedeutet,
wenn Kinder ihre Eltern dabei nicht als Vorbild erleben, wenn Musik nur als Dauerbeschallung
aus Radio und irgendwelchen Abspielgeräten wahrgenommen wird -
woher sollen Kinder den Impuls bekommen, daß sie selbst Musik machen können?

Was im Elternhaus versäumt worden ist, kann die Schule - mit ihren begrenzten Mitteln -,
nicht kompensieren.

Gruß an alle,

Gomez
 
Ich erinnere mich, dass dieses Thema schon einmal angeschnitten wurde, aber ich war dann zu zerstreut dem einen neuen Thread zu widmen. Wie schön, dass es nun jemand anders so ausführlich getan hat.

Gomez, da kann man dir wohl nur zustimmen, dass bereits im Elternhaus musiziert werden soll. Und das wichtigste Instrument hierbei ist wahrhaftig die Stimme. Singen fördert meiner Meinung nach am stärksten die innere musikalische Vorstellung. Diese ist letztlich das Fundament auf dem man später aufbaut. Auch Intervalle und Akkorde heraushören fällt wesentlich leichter, wenn man diese nachsingen kann.
Und das singen auch sonst befreiend wirken kann und algemein gut tut, steht ohnehin ausser Frage.

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich es laß, jedoch war dort vermerkt, dass ein absolutes Gehör sogar antrainiert werden kann. Förderlich dafür ist vor allem, wenn dem Kind auch auf einem gestimmten Instrument öfter mal etwas vorgespielt wird. Aber das ist ein anderes Thema.

Ein wichtiger Knackpunkt ist die Musik. Insbesondere hier wird sehr inkonsequent verfahren. Der Unterricht läuft oft aus dem Ruder. Die Haltung der Schüler ist meistens in der Tat so, wie sie hier bereits beschrieben wurde. Es wird gequatscht, Hausaufgaben abgeschrieben und teils sogar randaliert. Die meisten Schüler die ich bisher getroffen habe, wollten einen Unterricht der immer so aussieht, dass man ein paar Lieder mit ihnen aus den Charts nachsingt und nach 15 Minuten wieder Schluss macht.
Notendiktate schüchtern die Schüler zu sehr ein, da auf Anhieb diese bei nahezu jedem sehr schlecht laufen, Harmonielehre ist für Leute die kein Instrument spielen etwas gänzlich uninteressantes und da man dieses Fach ohnehin später abwählen darf, ist die Motivation bei vielen mitzumachen verschwindend gerring.
Die Schulen an denen ich war sind auch meist sehr ärmlich ausgestattet. Leihinstrumente werden nicht angeboten, ganz zu schweigen von Instrumentalunterricht.
Aber auch die Schulinternen Instrumente lassen zu wünschen übrig. Hier und da einige Yamaha-Keyboards für 149 Euro. Ein paar Glockenspiele. Und 2 Flügel. Letzteres könnte man als wohlhabend interpretieren. Jedoch ist der eine Flügel unstimmbar und der zweite Flügel steht in der Aula und ist nur sehr selten zugänglich (ganz abgesehen davon, dass er gar nicht der Schule gehört). Und die wenigen Instrumente die in der Schule verfügbar sind, werden auch nicht selten von den Schülern in Mitleidenschaft gezogen.

Es müsste mehr Geld in Musik investiert werden. Ich wundere mich ständig, wie man in ein so unfassbar kostbares Kulturgut so wenig investieren kann und wie wenig Achtung viele Menschen davor haben.
Bei vielen ist es auch scheinbar äußerst "in" alle älteren Sache öde zu finden. Bach ist "lahm" und bei Tschaikowsky zu wenig action. Das ist unendlich Schade solche Sätze zu hören. Ich glaube kein Mensch würde diese Ausrufe jemals in seinem Leben wiederholen, wenn er sich zumindest mit dieser Musik einmal auseinandergesetzt hat. Vielleicht mag er sie dann immer noch nicht, aufgrund persönlicher Vorlieben, aber wird die Leistung der Komponisten anerkennen.

Gänzlich schwarzseherisch sollte man es jedoch nicht gestalten. Einen Lichtblick hatte ich beispielsweise in meinem letzten Semester gehabt. Der Musikkurs war voll von Musikbegeisterten und vor allem talentierten Leuten. Fast alle konnten gut singen und 5 spielten auch andere Instrumente. Als mein Musiklehrer einmal krank war, schrieb er mir im vorhinein eine Sms. Ich fragte anschliessend den Direktor, ob er mir erlauben würde, dass ich einfach selbst die Vertretungsstunde übernehme (ansonsten wäre der Unterricht ganz ausgefallen. typischer Fall von Lehrermangel). Dieser gestattet es mir und noch schöner war die Tatsache, dass der Kurs vollzählig erschien und ich mit ihm ein Chorstück einüben konnte was auch erstaunlich gut funktionierte.

So nun muss ich gehen, kann aber noch abschliessend sagen, dass einige der hier genannten Neuerungen, wie der Unterricht selbst überarbeitet werden sollte, nur gutheiße. Stichwort ist natürlich Praxisnähe!

Schönen Gruß Raskolnikow.

(Ps: auf Fehler kann ich den Beitrag leider nicht mehr überprüfen)
 
Um die Anekdoten zu komplettieren: Einer meiner Musiklehrer sah aus, wie man sich einen leibhaftigen ungarischen Zigeunermusiker vorstellt. Es kam hin und wieder vor, dass die Klasse ihn schnarchend unter dem Flügel vorfand. Seine "Krönung" war jedoch der Tag, als er die Vase mit der roten Rose, die immer (!!! Style!!!) auf seinem Flügel stand, leertrank und dabei die Rose (nur die Blüte) verzehrte. Gelernt haben wir nix bei ihm, aber er hat uns einen ehrfürchtigen Respekt eingeflößt :D Er ruhe in Frieden, der arme Kerl.
 
Hallo miteinander,

ich finde die Fragestellung recht interessant, kann allerdings heute nur aus der Sicht einer wenige Jahre von der 50 entfernten Forumsteilnehmerin antworten.

In meinem Schulunterricht (heute nicht mehr aktuell) sah es folgendermaßen aus: Erste bis Vierte Klasse Grundschule hatte eine Klassenstärke von 56 Schülern!!! Damit mussten die damaligen Lehrer zurecht kommen und es ist ihnen gelungen! Im Grundschulunterricht wurde sehr viel gesungen. Das Singen hatte eine vorrangige Stellung im Unterrichtsablauf. Notenlesen, Instrumentalunterricht etc. gab es da nicht!

Wechsel zum Gymnasium: dort hatte das Singen eine noch größere Bedeutung. Da es sich um ein konfessionelles Gymnasium handelte, wurde jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn (und in den wöchentlichen Messen) gesungen. Als ich einmal ein nicht-religiöses Lied zum morgendlichen Singen vorschlug, wurde das empört abgelehnt.

Positive Erfahrung allerdings: Das Singen war wichtig, wurde täglich praktiziert. und auch das Musizieren hatte einen höheren Stellenwert als an den städtischen Gymnasien. Es gab ein sehr aktives Schulorchester und auch ich (nur Gitarre spielend) durfte allwöchentlich in der "Jazzmesse" mitspielen. Allerdings kann ich dem schulischen Musikunterricht auch keine gute Note erteilen. In Richtung Musiktheorie und Instrumentenkunde gab es gar nichts - wer nicht im Chor sang bzw. ein Instrument spielte konte in der Musikstunde quasie Däumchen drehen
 
@gubu
Das die Lehrer daran nicht gehindert werden steht außer Frage, schliesslich werden engagierte und motivierte Lehrer nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Ich bezweifle auch, dass jemand glaubt, es gäbe keinen einzigen solchen Lehrer. Genauso wie es auch sehr wohl wissbegierige Schüler gibt.

Das Problem ist doch lediglich jenes, dass soetwas nicht ausreichend gefördert wird.
Wenn man sich umblickt, befinden sich die engagierten Lehrer (die mit ihrem Engagement auch die Schüler erreichen) in der Minorität.
 
Ich halte die Frage für falsch gestellt. Wie in allen anderen Lebensbereichen auch -
die Schule kann nicht an Defiziten ausgleichen, was in den Elternhäusern versäumt worden ist.

Wieso sollte die Frage falsch gestellt sein ???
Unsere Gesellschaft bietet während der Schulzeit (also so 10 bis 13 Jahre) ihrem Nachwuchs Musikunterricht.
Nehmen wir mal 2 Reglestunden (pro Woche) wovon ein Teil ausfällt (Lehrermangel....) also vielleicht 1,5 Std/Woche - so kommen wir bei 40 Wochen pro Jahr und 10 Jahren auf 600 Std. (a 45 min) Musik-Unterricht.

Unabhängig von der Frage, ob mehr sinnvoll ist, ob das Elternhaus zusätzlich was beisteuern kann - so ist doch die Frage legitim "was bringen diese 600 Stunden Unterricht". Oder eben die an der konkreten Beobachtung sich stellende Gegenfrage "produzieren diese 600 Std Unterricht nicht nur musikalische Analphabeten?"
setzt man den "Gegenwert" einer Stunde (Groß-)Gruppenunterricht mit 5 bis 10 Euro an, so investiert die Gesellschaft 3000 bis 6000 Euro in die Musikausbildung JEDES SCHUELERS - da müssen solche Fragen sogar gestellt werden - absolut unabhängig von dem, was im Elternhaus passiert.

LEIDER scheint der meiste Musikunterricht "für die Katz" zu sein. Glücklicherweise gibt es rühmliche Ausnahmen alla "sisteract 2". Der Film zeigt doch überdeutlich, dass es sich scheinbar um ein "globales Problem" handelt. Die "Lösung" im Film mag etwas verklärt und üebertrieben sein/wirken - zeigt aber den wohl einzig gehbaren erfolgreichen Weg -> Begeisterung wecken
so einfach und doch so schwer
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi Hebi, Deine berechtigte Rechnung hat mich erschreckt. Wenn ich nun das ganze mal auf die Fächer mit höherer Stundenzahl hochrechne, dann hat sich das in meinem Fall gerade mal in Kunst, Deutsch, Bio "gelohnt". Alles andere war - monetär betrachtet - ein einziger Witz.

Und wenn ich auf meine ältere Tochter schaue, wirds noch grauslicher. Die war ja ein Jahr an einer ganz normalen staatlichen High-School in den USA. Dort hat sie in einem Jahr mehr gelernt als in 5 Jahren Gymnasium (und sie ist an keinem "schlechten"). Das zeichnet ein überaus trostloses Bild unserer Schullandschaft. Und - steinigt mich dafür - es liegt definitiv an den einzelnen Lehrern! Deren Engagement fehlt, deren "Feuer" brennt nicht (natürlich gibt es Ausnahmen - ich schätze diese auf 25-33%). Der Ami-Lehrer hat ein geringeres Gehalt, deutlich längere Arbeitszeiten und gewiss kein förderlicheres Umfeld als wir in D. Aber eben weil er nicht verbeamtet ist und wenig verdient, scheinen dort vor allem die Menschen zu lehren, für die es eine Berufung ist.

Interessanter Gedanke: Zahle weniger, verlange mehr und Du bekommst nur die Leute, die darauf "brennen" den Job XYZ zu tun.

Begeisterung wecken - so einfach und doch so schwer
Begeistern kann nur, wer selbst begeistert ist. Schlaftabletten und Sesselfu... sind das nicht.
 
Ich kann mich daran erinnern.
Eines Tages fiel der Quintenzirkel vom Himmel.
Plötzlich war er da.
Niemand konnte es es sich erklären, wo er herkam.
Auch der Lehrer wusste es nicht.
Aber er stand im Lehrplan.

Ars musica est disciplina quae ...

Gestern sprach ich angeregt durch diesen Thread mit einem mit einem 12 jährigen.
Dort hatte es auch gerade den Quintenzirkel geregnet. Müssen wir auswendig lernen sagte er achselzuckend.

Und ich koche innerlich vor Wut über Lehrer ohne Feuer und ohne Leidenschaft.


Reiner
 
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