Wenn ich mich als Werder-Fan in Barcelona hinstelle und den Leuten mehrere Stunden erzähle, was für eine tolle falsche Neun Max Kruse ist, würden die mich einweisen lassen ;).
Aber auch nur, wenn man weiß, wovon die Rede ist. Was ist Werder? Was ist Barcelona? Das ist doch nur eine Stadt in Spanien. (Ich war selbst mal da und fand es sehr schön. Habe dort Montserrat Caballé in der Oper singen hören, was ein einzigartiges Erlebnis war. Nimmt "Barcelona" hier Bezug auf die dortige Oper?) Wer ist Max Kruse? Keine Ahnung. Also auch kein Kopfkino.
Und genauso ist es doch bei Pianisten oder Pianistinnen. Das Kopfkino entscheidet. Wer etwas in mir auslöst. Oder auch nicht. Und wie die Musik interpretiert wird. Ob das meiner eigenen Vorstellung entspricht. Die Technik beherrschen alle Profis, haben dafür ihr Leben lang jeden Tag stundenlang geübt. Da kann man keinen kritisieren. Aber wie es bei mir ankommt, das ist das Entscheidende.
Ich war mal bei einem Klavierkonzert in Freiburg, mit einem jungen Pianisten, der sicherlich auch sein Leben lang geübt hatte, aber solches Lampenfieber hatte, dass er sich ständig verspielt hat. Er war bestimmt ein sehr guter Pianist, wenn er nicht vor Publikum auftreten musste, sonst hätte er keine Konzerttournee gemacht mit großen Postern und im Frack, von einer Agentur unterstützt, die er wohl von seinen Fähigkeiten überzeugt hatte.
Aber an diesem Abend wurde er ausgebuht. Die Leute sind verärgert aufgestanden und aus dem Konzert gegangen. Es war furchtbar für den jungen Mann, der trotzdem versucht hat weiterzuspielen. Aber natürlich wurde er immer schlechter. Und zum Schluss hat niemand geklatscht, denn das war wirklich kein Vergnügen für die Zuhörer. Ich hätte niemals mit ihm tauschen mögen. Und das nach vielleicht 20 Jahren oder mehr, die er täglich geübt hatte. In welchem Beruf muss man so viel Einsatz bringen? Und dann wird man dafür ausgebuht.
Man kann sagen, etwas gefällt einem oder gefällt einem nicht. Aber man kann doch nicht sagen, was mir nicht gefällt, ist schlecht. Oder was mir gefällt, ist gut. Das ist Ansichtssache.
Ich spiele technisch sehr schlecht und sehr einfache Stücke, weil ich erst seit kurzem spiele. Aber trotzdem behauptet meine Klavierlehrerin immer mal wieder, ich spiele mit sehr beeindruckendem musikalischem Ausdruck. Etwas, das andere ihrer Schüler auch nach Jahren nicht hinbekommen. Weil sie vielleicht nicht so musikalisch sind wie ich? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es in einem Menschen selbst, welche Art von Ausdruck er erzeugt, und er kann das gar nicht steuern. Ich kann es jedenfalls nicht. Ich spiele so, wie ich es empfinde. Anders geht es gar nicht.
Und das gilt doch tausendfach verstärkt für professionelle Pianisten. Die die Technik so gut beherrschen, dass sie sich nicht mehr darum kümmern müssen, sich auf den Inhalt des Stückes und den Ausdruck konzentrieren können. Da gibt es einfach etwas, das "gewisse Etwas", das einige haben und andere nicht. Darüber lässt sich nicht diskutieren. Und das kann man auch durch jahrhundertelanges Üben nicht erreichen. Selbst wenn man jahrhundertelang üben könnte.
Dieser junge Mann in Freiburg hatte das gewisse Etwas vielleicht auch. Aber sein Lampenfieber hat ihn dermaßen überwältigt, dass er es nicht zeigen konnte. Ist er deshalb schlechter als beispielsweise Olga Scheps? Oder andere, die mit Lampenfieber besser klarkommen? Das weiß ich überhaupt nicht, weil er sein Potenzial auf der Bühne gar nicht ausschöpfen konnte.
Wer in einer Welt wie der des Profi-Pianistentums überlebt und wer dabei vielleicht sogar berühmt wird, das hängt von so vielen Dingen ab, die nichts mit der künstlerischen Begabung oder dem Üben zu tun haben. Nur einige von Millionen oder heutzutage vielleicht Milliarden kommen überhaupt so weit, dass viele Menschen sie in Konzerten sehen können oder auf YouTube. Das ist eine Handvoll verglichen mit den vielen, vielen Pianisten, die es gibt und die niemals berühmt werden, niemals auf YouTube erscheinen. Aber vielleicht trotzdem genauso gut sind. Oder besser.
Deshalb finde ich es einfach schön, dass wir in unserer heutigen Welt wenigstens ein paar mehr solcher Auftritte sehen können als es früher möglich war, als man dazu noch persönlich in ein Konzert gehen musste.
Dass junge Frauen bzw. deren Sex-Appeal dabei missbraucht werden wie überall sonst in unserer Gesellschaft, ist leider auch die Wirklichkeit. Und war immer schon so. Bzw. andersherum. Männer wurden eher gefördert als Frauen, weil man Frauen unterschätzte und diskriminierte. Ihnen nicht die Chancen gab, die ein junger Mann bekam. Heute wird wieder, wie zu Marilyn Monroes Zeiten, das ausgenutzt, was anscheinend so viele Zuschauer mögen. Und was sehr fragwürdig und sexistisch ist. Weil Frauen immer schon dazu gezwungen wurden, mehr über ihren Körper beurteilt zu werden als über ihren Geist oder ihre kreativen, künstlerischen oder handwerklichen Fähigkeiten.
Aber wenn das schon so ist, kann das jeder ausnutzen. Wo sind die sexy jungen Männer, die mit knappen Minishorts am Klavier sitzen, mit nackter Brust spielen und dabei ihre Muskeln zeigen? Das ist wirklich unfair. Nur so könnte man einen Vergleich ziehen.