Neue Mechanik in alten Flügel?

apruss

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Liebe Clavio-Gemeinde,
ich habe die Frage auch schon als Teil eines anderen Posts gestellt, aber bisher wenig Rücklauf dazu bekommen. Bitte um Entschuldigung für den Doppel-Post, aber hier noch mal, weil ich auch im Archiv keine gute Antwort gefunden habe:

Wer hat eine neue (Renner) Mechanik in einen alten Flügel eingebaut? Ist es ein gutes Ergebnis? Was hat es gekostet? Würdet ihr es noch mal machen?

Meine Überlegung ist:
ich kann einige Gründe konstruieren, warum die akustische Anlage und der Korpus eines gut erhaltenen alten Flügels mindestens gleichwertig zu einem Neuinstrument ist. Die Konstruktion ist ziemlich exakt die Gleiche. Aber dargestellt mit besser abgelagerten Hölzer aus einem Anbau, der heute so nicht mehr gemacht werden kann, einer Tiefe der handwerklichen Fertigung, die heute auch im Hochpreissektor nicht mehr lebensfähig wäre, und einer "Reife" des Produkts, das 100 Jahre unbeschadet überstanden hat und deshalb auch weitere 100 halten wird. Etc, etc.
Aber ich kann mir kaum einen Grund vorstellen, warum eine alte, über 100 Jahre mehr oder minder viel gespielte Mechanik gleichwertig sein könnte mit einer neuen CNC-exakten Mechanik im lange etablierten Standard-Design.
Die neue Mechanik wird natürlich teurer sein als die Überarbeitung der alten, aber man kommt mit einem Schritt auf den aktuellen Standard der Spielbarkeit und Instandhaltung. Die Nutzbarkeit und wohl der Wert des Instruments steigt, und die Folgekosten sinken.

Warum wird es anscheinend selten gemacht? Um die Originalsubstanz aus historischen Gründen zu erhalten, auch wenn man nicht Sammler, sondern Spieler ist? Nur aus Kostengründen?
Danke für eure Hilfe,
Andreas
 
aber man kommt mit einem Schritt auf den aktuellen Standard der Spielbarkeit und Instandhaltung.
Genau das bezweifle ich. Die Schritte bis zur Spielbarkeit sind meiner Meinung nach sogar aufwändiger als bei einer vorhandenen Mechanik mit etwas Wartungsstau. Und bezüglich geringerer Folgekosten: Die einzelnen Schritte für Regulierung / Wartung haben sich im Verlauf der Zeit ja kaum geändert.
 
Ihr meint also, dass die neue Mechanik nicht besser spielbar sein wird?
Die finanzielle Überlegung möchte ich hier gerne aussen vor lassen, weil ich das Instrument ja nicht verkaufen will und nicht als Wertanlage betrachte.
Meine Aufgabenstellung ist:
-angenommen die Substanz von Korpus und akustischer Anlage ist auf Augenhöhe mit einem modernen Flügel für >20k,
- ich selbst will 30 Jahre spielen (falls diese Prophylaxe meine Demenz solange herauszögest ;-)
- die alte Mechanik ist gebundener Bauart mit Abstrakten, sehr mühsam zu regulieren, muss aber komplett neu eingestellt werden
- die Hämmer und andere Filze müssen sowieso erneuert werden (nach meiner Info ca. €2k)

Bis die alte Mechanik neu befilzt, reguliert und intoniert ist hab ich nach meinem gegenwärtigen Informationsstand ca €4k investiert, aber habe keine Sicherheit wie sich das Ergebnis anfühlen wird. Selbst wenn die neue Mechanik das Doppelte kostet würde ich das erwägen, wenn ich sicher ein Ergebnis auf Augenhöhe mit einem guten modernen Flügel bekomme....

Hat denn jemand eine Idee was es im wirklichen Leben kosten würde?
Viele Grüsse
Andreas
 
Ich kennen keinen, der jemals in einen Flügel eine neue Mechanik eingebaut hätte. Was natürlich nicht heißt, dass das nicht geht. Aber d.h., dass du da keine Erfahrungswerte bekommen wirst, weder vom Ergebnis noch finanziell. Bei Klavieren hab ich das schon öfter gesehen. Da kommt es natürlich auf die Erfahrung des Kollegen an, wie gut er gearbeitet hat usw.

Neue Mechanik bedeutet auch neue Hämmer. Wenn man die intoniert und danach irgendwann neue Saiten drauf zieht, ist die Intonation natürlich total unpassend. Von daher würde ich dann auch gleich neue Saiten drauf ziehen. Alles andere wäre Quatsch. Wobei man sich sowieso fragen kann, ob das nicht alles Quatsch ist. Aber hängt davon ab, wie viel dir das wert ist. Wenn du so überzeugt davon bist, dass die alte akustische Anlage einer neuen überlegen ist, dann macht das aus der Sicht schon Sinn, neue Saiten und neue Mechanik einzubauen. Aber das dürfte tatsächlich den Wert des Instrumentes übersteigen.

Dazu kommt: du wärest nicht der erste, der nach neuen Hämmern und neuen Saiten enttäuscht ist. Klingt dann halt viel frischer als jetzt, man könnte auch sagen: moderner. Der Zauber, der dir jetzt gefällt, könnte dann weg sein.

Wenn du das aber wirklich versuchen willst, dann würde ich dir als erstes empfehlen, bei Förster selber nachzufragen. Ob die dir eine neue Mechanik einbauen und was das kosten würde. Und was dann mit der Klaviatur wäre. Und dann könnte man ja auch mal darüber nachdenken, ob die alten Dämpfer noch so gut sind.
 
@Tastenscherge: Am Ende deiner Antwort ist der kritische Punkt, ist nach all den Änderungen überhaupt noch das da was mir jetzt gerade gefällt.
Sicher ist nur, dass die Mechanik spielbar gemacht werden muss, die ist ziemlich schief. Alles andere kann vielleicht bleiben, vielleicht sogar die Hämmer.
Ich verstehe also, dass ich mit einer neuen Mechanik eine Menge andere Fässer aufmache, die ich vielleicht gar nicht anrühren will. Das spricht dafür, in kleinen Schritten vorzugehen. Kann ich erst mal regulieren lassen, ohne die Hämmer zu erneuern, oder muss ich dann noch mal komplett regulieren?

Zur Aussage, dass der Komplettaustausch nicht gemacht wird: von den 7 oder 8 alten Flügeln, die ich angeschaut habe, war ein Bechstein B293 von 1900 der eine komplett neue Renner Mechanik hatte. Der hatte dafür aber alle möglichen anderen Probleme. Keine statistisch signifikante Aussage, aber ein Beispiel habe ich unter den Fingern gehabt.
 
Und stammte die gesamte Mechanik samt Klaviatur von diesem Digitalpiano (vermutlich Elite Trainer)?
Von der Klaviatur habe ich nur die Tasten bis Ende Belag verwendet. Der Rest mußte neu an die Mechanikteilung des Grotrian angepasst werden. Hebeglieder und Hammerstiele waren neuwertig, also wurden sie wiederverwendet. Die Dämpfung konnte ich lassen. Die Hammerköpfe wurden neu nach den Originalen von Abel gefertigt.
Der Flügel steht bei mir, ist spielbar und wartet noch auf eine Gelegenheit lackiert zu werden...
Mechanik ->PN
 

Ich kennen keinen, der jemals in einen Flügel eine neue Mechanik eingebaut hätte.

Ich kenne drei, allerdings haben die alle eine etwas andere Motivation für eine solche Aktion, wie zum Beispiel dieser hier:

https://www.pianostreet.com/blog/ar...ter-salisbury-turns-a-steinway-into-two-6004/

Bei Dir vermute ich, dass Dein Stochern nach irgendeiner Lösung für irgendetwas nicht sonderlich zielführend ist und Du hier noch ein halbes Jahr lang Fragen stellen kannst, ohne entscheidend weitergekommen zu sein.

Wenn Du eh schon bereit bist, eniges in den Flügel zu investieren, dann solltest Du idealerweise damit anfangen, Dir jemanden zu suchen, dem Du soweit vertraust, dass er dem Flügel das beste angedeihen lassen kann, was innerhalb eines finanziellen Rahmens möglich ist.

Für meine alte Mühle (1887 Steinway B) habe ich insgesamt 4 Klaviertechniker/Klavierbaumeister hier gehabt, die sich das Teil in Ruhe und eingehend angeschaut haben und danach einen Plan hatten. Die unterste Stufe des Plans war, das unbedingt notwendige zu tun. Danach schaut man sich das Budget an und schätzt ab, ob es sich lohnt, für etwas mehr Aufwand und Geld einen besseren Klang und bessere Spielbarkeit zu kommen.

Bis auf einen waren die anderen drei sehr konsistent in dem was sie bei der Begutachtung feststellten und was sie dann vorschlugen. Am Ende stand sowieso nur noch einer zur Reparatur zur Verfügung, aber es war der richtige und der Plan ist komplett aufgegangen. Für 6000,- EUR habe ich durch die komplette Aufarbeitung der Mechanik mit neuen Hebegliedern, Fängern, Piloten, zweimal Stimmen und Intonieren aus einer traurigen Krücke ein traumhaftes Instrument bekommen.

Meine Empfehlung: Hol Dir zwei Leute zur Begutachtung und schau, was sie Dir empfehlen. Alles andere endet nur in Murks.
 
Da stimme ich zu, mit dem zweiten Klavierbauer habe ich heute schon einen Termin ausgemacht. Übrigens ein Ex-Steinway Mann ;-)
 
Danke übrigens für die Angabe einer preislichen Größenordnung. Sind Saiten und Dämpfer noch original? Sind bei den €6k für die Mechanik neue Hämmer drin gewesen?
 
Hallo Peter,
habe gerade noch mal Deinen Faden über die Reanimation Deines Steinway gelesen, und mir damit meine Fragen selbst beantwortet.
Das Denken in geschlossenen Kreisen der Instrumententechnik ist ein gutes Bild, das werd ich mir merken.
Ich bin gespannt ob ich den Ansatz, der bei Deinem Steinway erfolgreich war, eins-zu-eins auf den Förster übertragen kann. Bei dem sind die Saiten und Hämmer nämlich 101 Jahre alt. Dafür ist aber hoffentlich nix verbastelt und kein Rückbau nötig.
Ich brauch also erst mal die richtigen Leute, die den Ist-Zustand richtig verstehen können. Hier auf dem flachen Land in Schleswig-Holstein ist es zwar wunderschön, aber Konzerttechniker gibt es hier eher selten....
Ich mach mal einen neuen Hilferuf-Faden auf....
 
1. Die unterste Stufe des Plans war, das unbedingt notwendige zu tun.
2. Danach schaut man sich das Budget an und schätzt ab, ob es sich lohnt, für etwas mehr Aufwand und Geld einen besseren Klang und bessere Spielbarkeit zu kommen.

Eine pragmatische und empfehlenswerte Herangehensweise.

Ich verstehe also, dass ich mit einer neuen Mechanik eine Menge andere Fässer aufmache, die ich vielleicht gar nicht anrühren will. Das spricht dafür, in kleinen Schritten vorzugehen. Kann ich erst mal regulieren lassen, ohne die Hämmer zu erneuern, oder muss ich dann noch mal komplett regulieren?

"Regulieren" bedeutet doch nur, (meistens) vor Ort die Tasten gleichmäßig spielbar zu machen. Evtl. den einen oder anderen Ton zu verarzten, der besonders leidet. Das sind Arbeiten, die man gemeinsam mit der Stimmung beauftragen kann (es dauert dann länger, also sollte man es bei der Terminabsprache dazusagen).

Da bist Du noch LANGE nicht beim Erneuern der Hämmer oder auch nur der Filze. :018:
 
Eine hundertjährige Mechanik kann einer heutigen durchaus das Wasser reichen. Meistens muss man die Hammerstielachsen und Rollen und Hammerköpfe ersetzen. Die Hebeglieder evtl auch. Die Klaviatur oder Mechanikbalken ersetzen macht keinen Sinn. Bei gebunden Mechaniken auf Piloten umzustellen kann hingegen Sinn machen. Entscheidend ist die saubere Regulation. Mit neuen HK muss man komplett nachregulieren, das dauert dann mehr als ein paar Stunden. Die Tasten insgesamt auszubleien sehe ich generell kritisch. Ist das Spelgewicht zu hoch, sind die Hämmer zu schwer. Mehr Blei bringt mehr Trägheit.
 

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