Musik ist Kommunikation

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Alter Tastendrücker

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In einem anderen thread kam kürzlich die Frage auf, ob Musik (insbesondere im Konzert dargebotene Musik) eine Form der Kommunikation sei. Für mich war dies eigentlich mit ganz wenigen Ausnahmen immer klar.
Zu den Ausnahmen gehört der Hobbymusiker, der niemals vor und für andere spielt (eventuell mit Ausnahme seines KL).
Ich versuche hier mal einige Formen der Kommunikation darzustellen und zwar verengt auf den Bereich der in Noten überlieferten Musik.
Dass im Jazz beim Improvisieren insbesondere aber auch bei bestimmten Ritualen in Popkonzerten sehr intensive teilweise auch formalisierte Kommunikationsprozesse ablaufen ist klar.

Eine etwas einseitige aber für diese Musik typische und zentrale Art der Kommunikation findet statt, wenn wir die Noten eines Werks lesen und darauf mehr oder weniger kompetent und erfolgreich reagieren. Die Antwort(en) an den Komponisten ist/sind dann unser Spiel. Und wir sollten dankbar sein, dass nur in seltenen Fällen (Komponist lebt noch) eine Antwort des Komponisten zu erwarten ist.

Meines Erachtens ist die Interaktion zwischen Interpret(en) und Zuhörer(n) gleichfalls eine Form der Kommunikation und zwar eine beidseitige, da jeder sensible Interpret auf offensichtliche (Zuhörer verlassen während des Stücks laut schimpfend den Konzertsaal) oder auch subtile Reaktionen der Zuhörer reagiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich vor 3000 Leuten spiele oder vor 2 Freunden.

Wer Kammermusik macht kennt - bei Proben und im Konzert - sehr vielfältige spezifische Kommunikationsprozesse in diesem Feld.

Es gibt daneben noch komponierte Kommunikation. Wenn sich im d-Moll Konzert von Mozart nach der reich instrumentierten Orchesterexposition der Solist mit seinem nur wenige Noten umfassenden bittenden Motiv einführt und so gar nichts von der strahlenden Siegerpose des Solisten vermittelt, dann wird hier auch eine Kommunikation ins Werk gesetzt, die im weiteren Satzverlauf weitreichende Folgen zeitigt (Durchführung!)
Ich empfinde auch viele andere komponierte Vorgänge als Kommunikation: gerade bei Beethoven kann man die niemals zufällige Interaktion des ersten und der weiteren Themen in seinen Sonaten als Austausch verstehen (op. 2,3 I oder op. 53 und viele andere Beispiele). Dieser Austausch wird dann -oft in der Durchführung - weitergeführt.
 
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Und wir sollten dankbar sein, dass nur in seltenen Fällen (Komponist lebt noch) eine Antwort des Komponisten zu erwarten ist.

:021:

Auch als Amateur empfinde ich Musik immer als Kommunikation. Wie du bereits treffend erwähnt hast: der Komponist teilt uns ja mit seinem Werk etwas mit und wir antworten darauf. Ansonsten würde Klavierspielen ja gar keinen Sinn machen!

In früheren Jahren hatte ich auch in kleinerem Umfang öffentlich gespielt. Das war immer eine Katastrophe (außer Kammermusik), da ich immer das Gefühl hatte, wortwörtlich neben mir zu stehen. Die Einheit "Instrument/Ich" war gestört.

Übrigens war ich dieses Jahr mit meinem Sohn in Leipzig zu einem Kinderkonzert (Igor Levit spielte Beethoven 3),da wird ja auch immer ein wenig geredet. Herbert Blomstedt hat die Kommunikation zwischen Orchester/Publikum ebenfalls angesprochen ("Kein Konzert ist gleich, denn das Publikum ist immer unterschiedlich und die Instrumentalisten haben unterschiedliche Stimmungen. Und wir reagieren auf Sie, und Sie reagieren auf uns.")

Was mich noch interessiert: kommt es vor, dass ihr während eines Konzerts das Publikum völlig ausblendet?
Ich hatte Sokolov bislang zweimal hören dürfen. Einmal klingelte ein Handy während Schubert-Impromptus, die Wut hat man Sokolov angehört (hat sich im Laufe dann wieder gefangen). Ein anderes Mal klingelte/vibrierte (ich weiß nicht mehr, war jedenfalls total nervig) ein Handy während dem 2. Satz op 111, im pp-Teil. Das hat man ihm überhaupt nicht angemerkt! Ich hätte vollstes Verständnis gehabt, wenn er dem Ignoranten eine Backpfeife gegeben hätte (aber dafür ist er glaube ich zu nett).
 
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Ich hatte jüngst den kuriosen Fall, dass in meinem Konzert ein Handy klingelte, und ich wurde danach darauf angesprochen. Kurios für mich - denn ich kann nicht sagen, ob ich es gehört und ignoriert und gleich wieder vergessen habe (wie z.B. einen morgendlichen Traum), oder ob ich es tatsächlich nicht gehört habe.

Deine Ausführungen zur Kommunikation kann ich sehr gut nachempfinden. Es findet immer eine Wechselwirkung mit dem Publikum statt. Selbst wenn man kaum etwas vom Publikum sieht und hört, spüre ich die Stimmumg im Saal und es beeinflusst mich und mein Spiel. Woran merkt man das eigentlich?!
 

Ich weiss es nicht, aber es ist extrem stark. Es gibt alles zwischen dem Ankämpfen gegen ein feindliches Publikum und dem sich getragen Fühlen durch ein wohlgesonnenes.
Moderne Musik ist da besonders aufschlussreich.
Da ich nicht 100 oder mehr Konzerte im Jahr spiele gibt es auch keine Gewöhnung oder Routine.
Aber dass man in den ersten Sekunden auf der Bühne besonders sensibel ist dürfte wohl allgemeine Erfahrung sein.

Aber wodurch sich die Stimmung aus dem Saal auf die Bühne überträgt??? Keine Ahnung!
Zu Hause spielen (also in der Heimatstadt oder in der Stadt in der man arbeitet) ist übrigens immer noch zusätzlich verschärft. Aber vielleicht empfinde nur ich das so stark.
 
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Aber wodurch sich die Stimmung aus dem Saal auf die Bühne überträgt??? Keine Ahnung!
Ich persönlich bin vor Konzerten (also wenn das Konzert z.B. Abends ist, ist es tatsächlich den ganzen Tag so) immer extrem sensibel. Das geht so weit, dass ich nur mit Ohrenstöpseln durch die Gegend laufen kann und es vermeide andere Menschen anzusehen oder mit ihnen zu reden, da ich in diesem Zeitraum fremde Stimmungen extrem stark aufnehme und spüre. Diese Sensibilität ist wohl (für mich) einfach wichtig beim Musizieren. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass man dadurch auch extrem empfänglich für Stimmungen des Publikums wird. Und man nimmt ja (zumindest unterbewusst) auch auf der Bühne - bevor man sich dem Spiel widmet - eine Menge wahr.Seien es einzelne Gesichtsausdrücke, die durchschnittliche Klangfarbe der Sprache wenn sich das Publikum noch unterhält (was auch Rückschlüsse auf die Stimmung des Publikums zulässt), ... .

Im weiteren Verlauf des Spiels sind es, denke ich, die Umgebungsgeräusche, welche einen Rückschluss auf die Stimmung im Saal zulassen. Mir scheint es immer so, dass die Geräuschskulisse (auch wenn es vorher schon ruhig war) nochmal ruhiger wird, wenn der Vortrag eine gewisse Intensität erreicht. Auch das ist für mich ganz schlüssig, da Menschen häufiger Geräusche machen, wenn sie nicht ganz bei der Sache sind. Da im Saal üblicherweise mehrere Menschen sitzen, summieren sich hier wohl auch kleine Geräusche zu einem Grundlärmpegel. Verändert sich dieser, spürt man es vielleicht einfach.

Soviel zu meinen Theorien :-D.
 
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@alibiphysiker Das mit der Sensibilität ist bei mir auch so. Ich mag auch keine geschmacksintensiven Dinge essen (überhaupt ist starke Aufregung / Anspannung quasi die einzige Situation, wo ich nicht gut essen kann), bin geräuschempfindlich und möchte mich nicht unterhalten.

Die Reaktion aus dem Publikum kommt in kleinem Dosen - die Art des Lachens, Raunens, Klatschens, der Blicke, der Ruhe. Aber das allein kann es auch nicht sein...
 
Selbst wenn man kaum etwas vom Publikum sieht und hört, spüre ich die Stimmumg im Saal und es beeinflusst mich und mein Spiel. Woran merkt man das eigentlich?!
Es muss auf jeden Fall etwas sein, das sich mit den fünf Sinnen auch wahrnehmen läßt. An Telepathie usw. glaube ich nicht (geht ruhig einmal davon aus, dass es solche Sachen auch nicht gibt).

Es genügt ja schon, den "Grundlärmpegel" im Saal und dessen Struktur unbewußt wahrzunehmen und zu analysieren. Nervöse Menschen dürften sich "in Summe" anders mitteilen, als entspannte/gut gelaunte/erwartungsvolle Menschen, und so weiter.
 
Ich glaube übrigens, dass es auch den umgekehrten Weg gibt. An der Art und Weise, wie ein Musiker die Bühne betritt, und das Publikum begrüßt (Körpersprache usw.), kann man ablesen, ob er "eher sein einstudiertes Ding durchziehen wird" oder auch "bereit ist, auf das Publikum in einer gewissen Weise zu reagieren".

Allerdings, bei Klassik-Konzerten ist das m.E. nicht so besonders stark ausgeprägt. Beim Jazz schon viel eher. (Bei Kabarett usw. ist es natürlich extrem).

Ein gutes Zeichen bei Klassik-Konzerten ist wohl immer, wenn der die Bühne betretende Dirigent oder Solist auch mal so etwas wie ein Lächeln auf das Gesicht bringt, und eine gewisse Ungezwungenheit zeigen, oder auch mitteilen kann.

Letzteres (die Ungezwungenheit) spiegelt sich dann auch oft in der Musik selbst wieder - durchaus zu ihrem Wohle.
 
Kleine Ergänzung: als Pianist hat man im Gegensatz zu Sängern, Geigern, ... den Nachteil (oder Vorteil???) dass man nicht in den Saal blickt.
 

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Noch besser haben es allerdings Organisten! Die sehen nix, hören nix und werden nicht gesehen. Ob die auch ein Gefühl der Kommunikation mit dem Publikum verspüren?
 
Und noch besser haben es Streicher, die sich auf Stockhausens Helikopterquartett spezialisiert haben. Die sind nicht mal im selben Raum und können bei Bedarf einfach noch weiter wegfliegen.

Aber wenn wir schon bei Organisten sind: Interessant finde ich hier, dass diese (auch an Orten wie der Hochschulcafeteria) oft eine ganz andere Ausstrahlung als andere Instrumentalisten haben. Umgekehrt sind andere Instrumentalisten auch auf diese Art von Ausstrahlung angewiesen, da diese die Wahrnehmung des Vortrags tatsächlich prägt.

Für mich ist es ein relativ großes Geheimnis, was diese Ausstrahlung/Aura (die ja auch eine Art von Kommunikation ist) eigentlich ausmacht. Mir ist nur klar, dass sie wirklich wichtig für die Wahrnehmung des musikalischen Vortrags ist...
 
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Um noch philosophischer zu werden: Vielleicht ist es möglich, dass die Ausstrahlung / Aura / Charisma etc. eines Menschen nicht nur daher rührt, was er aussendet, sondern was er aufnimmt, und was er bereit ist wahrzunehmen. Das spiegelt sich sogar teilweise im Vokabular wieder: Ein Mensch ist "offen", "verschlossen", "engstirnig", "weitsichtig" usw.
Die Art, wie ein Mensch andere wahrnimmt und damit, wie er ihnen begegnet, formt doch unser erstes Bild von ihm. Jemand kommt uns dann egoistisch oder selbstbezogen vor, wenn er andere Menschen nicht wahrnimmt oder diese Wahrnehmung ignoriert.
 
Noch besser haben es allerdings Organisten! Die sehen nix, hören nix und werden nicht gesehen. Ob die auch ein Gefühl der Kommunikation mit dem Publikum verspüren?

Zumindest die Gemeindeorganisten stehen in permanenter Interaktion, geradezu im Dialog mit dem "Publikum".

Man muss aufmerksam den Pfarrer beobachten und zu gewissen Zeiten mit Argusaugen auch den Küster (ob der im richtigen Moment zur Stelle ist, um die Vaterunserglocke zu läuten ... und auch wieder abzustellen... :007:). Man wird nicht gesehen, das stimmt, aber entlarvend laut gehört. Das eigene Spiel sollte nicht völlig an den Gepflogenheiten der jeweiligen Gemeinde vorbeigehen (so wie Du es von Konzerten beschreibst – wenn man irgendwo als Gastspieler einspringt und irgendwas tut, was die Leute so nicht kennen, spürt man die Irritation sofort, der Dialog ist "irgendwie gestört").

Wenn die Kirche brechend voll und somit unruhig ist (Familiengottesdienste an Weihnachten / Ostern) und obendrein der Chor auf der Empore herumraschelt, hört man die eigene Orgel nicht mehr richtig – SEHR unangenehm. Das fühlt sich an wie ein Dialog, in dem die eigene Stimme vom Dialogpartner übertönt wird.
 
Ich meinte jetzt natürlich Konzertorganisten.
 
(...) als Dirigent im Orchestergraben - da kann man den Feind komplett ausblenden! :lol:
Aber @mick , was ist denn das für eine Einstellung! Diese Menschen sind gekommen (und haben ihren Hintern von der Fernsehcouch hochbewegt), um Deine Musik zu hören (bzw. diejenige, zu der Du beiträgst), um sich mal wieder einen Kunst-Genuß zu gönnen, um mal wieder vom Alltag abzuschalten, usw. usf.

Wenn überhaupt, dann sind dies so gesehen Deine Freunde...! ;-)

Wenn die Vorstellung, vor Menschen zu musizieren, unangenehm ist, kann man ja auch einige psychologische Kniffe anwenden. Was las ich irgendwann einmal: jemand stellte sich vor, alle im Publikum seien in Bikini bzw. Badehose... anstatt wie so oft starkes Lampenfieber zu haben, mußte der Betreffende dann auf einmal lachen (okay, das ist vielleicht dann auch nicht so optimal).

Oder stelle Dir einfach vor, Du würdest Aliens die Schönheit der Musik der Menschen nahebringen (wollen).

Das müßte doch dann klappen, dass man dem "Störfaktor Publikum" etwas gelassener gegenübersteht ;-):super:
 
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