@Tastatula ...hoffentlich (v)erträgst du ein paar eher herbe Anmerkungen...
Nein, es drängt sich mir die Frage auf: Sind wir noch gewünscht?
...bestenfalls bei einer Minorität, welche ohnehin seit längerem im schrumpfen begriffen ist.
Ich meine, brauchen unsere Kinder noch Musikerziehung?
nüchtern betrachtet: nein.
Die lieben Kinderlein können zahlreiche und sogar systemrelevante Berufe ergreifen, wenn sie nicht in Schule und Ausbildung versagen: sie können Ärzte, Anwälte, Richter, Piloten, Abgeordnete, Manager, Investmentbanker, Archäologieprofessor, Softwareentwickler, Supermarktleiter und vieles andere werden, ohne dass sie
dafür einen einzigen Ton auf der Flöte piepen, auf der Gitarre klampfen, auf dem Klavier klimpern, auf der Trompete tuten oder gar Bach-Mozart&Co kennen (geschweige denn schätzen) müssen. Das alles (!) geht völlig ohne Musik.
...ok, das geht alles auch, ohne dass die lieben Kinderlein Goethe lesen und Gauguin angucken.
...du ahnst die Antwort auf deine nächste Frage...:
überwiegend nicht.
denn wie gesagt: man kann ohne hochtrabendes Kunst-Ästhetik-Blabla Arzt, Anwalt, Richter, Pilot, Abgeordneter, Manager, Investmentbanker, Archäologieprofessor, Softwareentwickler, Supermarktleiter und vieles andere werden und auch sein. Glaubst du nicht? du wirst dich wundern: wenn man spaßesfreizeithalber z.B. wegen geselliger Quizfragen mal sagen/wissen soll, wann der komische Gauguin gelebt hat oder in welcher Tonart Sklavengirl Aida fertigquietscht oder welchen Dialekt der Typ mit dem Holzgebiß gesprochen hat, dann macht man das Handy an und zack Onkel Google Tante Wiki und dann weiß man das - wenn man aber einen verreckenden Coronapatienten am Leben halten oder Impfstoffe übern Atlantik fliegen soll, dann hilft die neckische Handyvirtuosität ganz und gar nicht, und auch Gauguin-Mozart-Klavierüben hilft und nützt da ganz und gar nicht.
Ich gehe davon aus, dass dir diese herzlosen Fakten nicht schmecken
und weil ich gerade gute Laune habe, gebe ich dir eine Argumentationshilfe, um diesen herzlosen Fakten mit Pathos und Emphase widersprechen zu können:
die Werchowenski-Argumentationskette! Herr Stepan Trofimowitsch Werchowenski senior hatte sie in einer (nicht virenbedingten) Krisenlage um 1871/72 publikumswirksam öffentlich gemacht:
»Messieurs, [...] Der ganze Zweifel besteht nur darin: was ist schöner, Shakespeare oder ein Paar Stiefel, ein Raffaelsches Gemälde oder Petroleum?«
»Das ist eine Denunziation!« brummten manche.
»Kompromittierende Erörterungen!«
»Agent-provocateur!«
»Aber ich erkläre,« kreischte Stepan Trofimowitsch in hitzigster Erregung weiter, »aber ich erkläre, daß Shakespeare und Raffael höher stehen als die Bauernbefreiung, höher als die Nationalität, höher als der Sozialismus, höher als die junge Generation, höher als die Chemie, höher fast als die ganze Menschheit; denn sie sind die Frucht, die wahre Frucht der ganzen Menschheit und vielleicht die höchste Frucht, die es überhaupt nur geben kann! Die ideale Form der Schönheit ist bereits erreicht; wäre sie nicht erreicht, so würde ich vielleicht nicht einmal leben mögen ... O Gott!« rief er und schlug die Hände zusammen, »vor zehn Jahren habe ich ganz ebenso in Petersburg von einer Estrade gesprochen, ganz ebenso und mit denselben Worten, und in ganz derselben Weise wie jetzt haben sie nichts begriffen, sondern gelacht und gezischt; ihr törichten Menschen, was für ein Mangel hindert euch denn am Verständnis? Wissen Sie wohl, wissen Sie wohl, daß ein Fortbestehen der Menschheit möglich ist ohne die Engländer, möglich ist ohne Deutschland, sehr möglich ist ohne die Russen, möglich ist ohne Wissenschaft, möglich ist ohne Brot, und daß es nur ohne die Schönheit unmöglich ist; denn dann wäre auf der Welt überhaupt nichts mehr anzufangen! Das ist das ganze Geheimnis, die ganze Sache! Selbst die Wissenschaft kann nicht einen Augenblick ohne die Schönheit bestehen; hören Sie wohl, Sie, die Sie da lachen; sie verwandelt sich in ein Lakaientum; auf diese Art kann man nicht einmal einen Nagel erfinden! ... Ich gebe nicht nach!« schrie er sinnlos zum Schlusse und schlug aus aller Kraft mit der Faust auf den Tisch.
Aber während er so ohne Vernunft und Ordnung kreischend redete, hatte die Ordnung im Saale aufgehört. Viele waren von ihren Plätzen aufgesprungen; manche hatten sich nach vorn gedrängt, näher an die Estrade heran. All das ging weit schneller vor sich, als ich es erzähle, und es war keine Zeit, Maßregeln dagegen zu ergreifen.
(du kannst in diesem Zitat Shakespeare, Raffael, Schönheit als Chiffren für Musik, Kultur, Kunst lesen) wow, also ohne Brot aber mit Kunst... schöne Aussichten bietet der Ästhetiker da
Wir schaffen sie [die Kultur] gerade ab!
...ooooh sooo schlimm? Na Kopf hoch, es geschieht doch nichts in diesem blühenden Land gegen den Willen der Mehrheit, und die Mehrheiten haben uns immer unsere hochprofessionellen brillanten Regierungen nach unserem Mehrheitswillen beschert. Exakt so haben wir Jahrzehnte lang Kohl und Merkel ganz oben haben wollen, mehrheitlich. Wenn also tatsächlich, wie du orakelst, "die Kultur gerade abgeschafft wird", dann geschieht das fein säuberlich demokratisch.
...natürlich könnte man sich auch die Frage stellen, ob eine Bevölkerung, die jahrzehntelang Kohl und Merkel haben wollte und folglich hatte, überhaupt Kultur verdient hat*), oder ob nicht Kunst und Kultur einfach viel zu schade für solche ist und darum andernorts besser aufgehoben wären...
aber sei guten Mutes: wenn hierzulande Klavierlehrerinnen abgeschafft werden, wenn hierzulande keine Kinder mehr mit Flöte, Singsang, Klimperei und Saitengekratze molestiert werden, dann bedeutet das nicht das Ende aller Kunst und Kultur.
Und sogar wenn die Musik komplett abgeschafft würde, wäre das nicht das Ende aller Kunst und Kultur. Denn die Kunst ist viel mehr als nur das bissel Klingklang-Mucke: Literatur, Malerei, Bildhauerei, Design, Architektur, Film, Videokunst, Aktionskunst - - schau mal: in den letzten Jahrzehnten haben sich die Künste sogar vermehrt! Design, Video, Film, Aktion (Happenings, Environments, Installationen) haben Bach&Mozart&Co noch gar nicht gekannt. Wenn da also Musik rausfällt, fehlt nicht viel (Platz für neues! Das Erdenrund ist nicht unendlich) und für Nostalgiker gibt es nahezu alle Musik quasi museal auf Tonträgern und Filmen.
---------wäre das nicht spannend, wenn wir zu unseren Lebzeiten Zeugen eines kulturellen Umbruchs (Abschaffung der lärmigen Musik) wären? (im Lauf der Geschichte sind so manche Berufsgruppen dem Fortschritt zum Opfer gefallen, dank Handy-Google-Wiki findet jeder sofort die Listen ausgestorbener Berufe und Industrien)
Ich frage mich, was hat den Untergang der Maya bewirkt....?
...die Inka, Maya, Azteken & Tolteken sind nicht untergegangen, weil sie ihre Klavierlehrerinnen auf den Altären ihrer Treppenpyramiden menschenopferten (sie hatten gar keine Klaviere) oder weil sie per Erlass ihre Kultur abgeschafft hatten, sondern zum Untergang verhalf ihnen eine beliebte südwesteuropäische Urlaubs- und Pensionärsresidenzennation, indem diese die Inka, Maya, Azteken & Tolteken ein bischen erobert, totgemacht, ausgepresst und unterdrückt hatte (wobei sie im Gepäck noch ein paar unschöne europäische Krankheiten mitbrachten)
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*) wer kennt sie nicht, die schwarmintelligenten Sprüche a la "mäh-mäh die hohen Subventionen für Opernhäuser, wo wir doch gar kein Kreischopern gucken wollen mäh-mäh".......