Ist es denn nicht zuerst die Spieltechnik, die einem dazu verhilft ein Stück zu spielen? Wenn das klappt, dann kommen die Feinheiten - oder irre ich hier auch?
Hallo Marlene,
Als Anfänger gibt es viel zu lernen und zu festigen, um später eine gute Basis für schwierigere Literatur zu haben. Wer die Grundlagen nicht beherrscht wird niemals ein Stück gut spielen können, weder ein leichtes noch ein schweres - und Grundlagen erarbeitet man nun mal am besten an einfachen Stücken.
Zu den Grundlagen gehören:
Noten lesen - am Anfang ist es noch ein buchstabieren, idealerweise sollte man irgendwann den Notentext lesen und dabei innerlich bereits den Klang hören können.
Verinnerlichung des Tastengeländes - sehr gut eignet sich dafür das Spielen von Kadenzen und das Transponieren von kleinen Stücken oder Taktgruppen.
Koordination der rechten und linken Hand - gute Anfängerliteratur findest du in Béla Bartóks Mikrokosmos, hier lernt man von Beginn an zweistimmiges Spiel, eine Herausforderung für Kopf und Finger. Zudem wollen diese einfachen Stücke gut gestaltet sein, damit sich ihre Schönheit erschließt.
Differenzierte Klanggestaltung - wie müssen die Töne abgestimmt werden um ein schönes Klangbild zu erhalten. Hierzu gehört es die Melodienstimme herauszuarbeiten, die Basslinie schön hörbar zu gestalten ohne die Melodienstimme(n) zu verdecken und dann noch die Fülltöne leise abgestimmt zu integrieren. Dazu muß man auch Akkorde schön differenziert spielen können - die Töne eines Akkordes werden nie gleich stark gespielt. Gute Literatur dazu findest du im Clavierbüchlein für Anna Magdalena Bach, bei Chatschaturjans "Bilder der Kindheit" und "Klänge der Kindheit", in den Jugendalben von Schumann und Tschaikowski und natürlich wieder bei Bartók, hier besonders in seinen "10 leichten Stücken"
Kantables Spiel - wie gestaltet man eine Phrase, wo liegt der Höhepunkt eines Stückes, wie kann man am besten auf diesen Höhepunkt hinarbeiten, welche Möglichkeiten gibt es um Spannung zu erzeugen, wie löst man diese Spannung wieder auf. Weiters sollte man einen Sinn für Agogik entwickeln - manche Stücke brauchen mehr, manche weniger, zu wenig Agogik macht es fad, zuviel führt zu geschmacklosem Spiel.
Einen
Überblick über die Epochen verschaffen - welche Stilmittel sind für welche Epoche charakteristisch, wie ist ein Notentext in der jeweiligen Epoche zu verstehen etc.
Zu diesen technischen und musikalischen Herausforderung kommt dann noch
Musiktheorie, zumindest die Basis sollte wohl jeder beherrschen - das hilft nicht nur Stücke besser zu verstehen, sondern erleichtert auch das Einstudieren von neuen Stücken erheblich. Die neu erworbenen Theoriekenntnisse sollten auch am Instrument noch mal gefestigt werden, das kann man ganz gut mit Kadenzen und mit eigenen kleinen Improvisationen machen.
Weiters sollte man sich aktiv noch etwas mit
Gehörbildung befassen.
Wie du siehst gibt es jede Menge zu lernen, wahrscheinlich habe ich noch ein paar Punkte vergessen - die darzulegen überlasse ich nun anderen Forumsmitgliedern, sofern sie dazu Lust haben.
Die Grundlagen lernt man am besten durch eine gute Auswahl von Stücken, die in einem überschaubaren Zeitrahmen erarbeitet werden kann. Je mehr und je vielfältiger die Stücke sind, umso mehr kann man daran lernen.
Ich investiere in etwa so viel Zeit ins Klavierspielen wie du, pro Woche lerne ich zwei bis drei neue Stücke ein (manche Stücke brauchen auch mal mehr Zeit, weil sie entweder länger oder schwieriger sind, dann werden sie aber auch in Wochenportionen eingeteilt) parallel dazu arbeite ich an den Feinheiten der Stücke, die ich zuvor eingeübt habe.
LG, PP