...psychologische Akkorde?
Septakkord mit tiefalterierter Quinte bzw. ein II7 (von Moll) oder VII7 (von Dur)
hallo,
so ein Gebilde - prinzipiell kann der "Tristanakkord" als solches gelesen werden - dürfte
nicht in der Etüde gemeint sein, sondern eine etwas verzerrte Dominante a la Chopinakkord.
in einem anderen Faden hatte Fred demonstriert, dass ein solcher Akkord - z.B. h-d-f-a - mehr Deutungsmöglichkeiten bietet, als ein verminderter Septnonakkord (letzterer kann nur 4 verschiedene Septakkorde stellvertreten).
h-d-f-a kann sein:
- d-Moll mit Sixte ajoutee, also Subdominante von a-Moll (A-Dur - ja, viele Romantiker liebten die Schlusskadenz s - T, vgl. Chopin Fantasie)
- 4-3Vorhalt von E-Dur 7 9, also Dominante von a-Moll
- G-Dur 7 9
- Des/Cis-Dir 7 9 mit 6-5 Vorhalt (z.B. im Mephistowalzer)
- alterierter Vorhalt zu F-Dur 7 mit tiefalterierter Quinte (das ist, was der Tristanakkord macht): h-d-f-a kann ja als ces-d-f-a notiert und in ces-es-f-a geführt werden (a la Tristan wären die identischen Töne nur etwas weiter gesetzt: ces-f-a-d wird zu ces-f-a-es)
- alterierter Vorhalt zu H-Dur 7 b5
das waren jetzt lediglich 6 Möglichkeiten, so einem "Tristanakkord" eine Funktion zu geben - man muss bedenken, dass 12 solche Akkorde möglich sind (das ist mehr, als die nur drei möglichen verminderten Septakkorde) - - damit ist es kein Wunder mehr, dass diese Art von Akkord in der 2. Hälfte des 19. Jh. vielfache Anwendung fand: als Weichenstellung für Modulationen (wegen der Vieldeutigkeit), als Dissonanz und als Klangfarbe.
ok, dieser lange theoretische Vorlauf war nötig, um zwei Notenbeispiele aus einem sehr leicht spielbaren Klavierstück zu zeigen: es handelt sich um das Albumblatt "Ankunft bei den schwarzen Schwänen" von Wagner.
im ersten Beispiel wird der Akkord d-f-as-c mehrmals motivisch eingesetzt; anfangs erscheint er evtl. mit der Wirkung eines Mollakkords, aber seine Fortführung zu Es 7 erweist ihn als Stellvertreter der Doppeldominante. Klar, das war so eine Täuschung wie a-c-e als Vorhalt zu a-c-f in den Beethovenvariationen (vereinfacht gesagt)
-- also d-f-as-c steht für (b)-d-f-as-c
ABER im zweiten Beispiel ändert Wagner diesen Akkord: aus d-f-as-c wird f-as-ces-es --- eigentlich kein Problem, denn die "Bauweise" beider Akkorde ist identisch.
spielt man aber diese Stelle, hat man einen "Moll-Eindruck" - ich kann es nicht besser beschreiben. Es ist ein Höreindruck, der von der Änderung der melodischen Terz as-c zu as-ces bewirkt wird. Natürlich ist dort real kein "Moll" plötzlich vorhanden: es sind ja zwei gleichartige vieldeutige Akkorde nacheinander. Aber trotzdem entsteht diese Klangwirkung.
aus diesem Grund habe ich das als "psycholigische Akkorde?" bezeichnet.
bei ISLMP kann man sich das Albumblatt holen, es ist ein sehr schönes und leicht spielbares Klavierstück; reizvoll ist das Nebeneinander komplexer Tristanharmonik und einfacher As-Dur Kadenzen (letztere mit etwas Tannhäuser-Flair :))
lesen kann man das nicht - man muss es hören und/oder spielen: im zweiten Beispiel, bei der Änderung von c zu ces entsteht der eigentlich nicht existierende Moll-Eindruck. Tolle Färbung, tolle Wirkung!
Gruß, Rolf