Ich glaube nicht, dass die Fähigkeit zur Empathie kongruent ist mit der Fähigkeit zum kammermusikalischen Musizieren. Dazu kenne ich zu viele sehr gute Kammermusiker, deren Empathie durchaus ausbaufähig ist. :))
(Nebenbei bin ich auch nicht der Meinung, dass Musiker überhaupt besondere menschliche oder soziale Fähigkeiten aufweisen - man schaue sich nur an, was an Musikhochschulen etc. im Unterricht so abgeht.)
Miteinander zu musizieren ist eigentlich der Normalfall, dem nur eine recht merkwürdige Spezies unter den Instrumentalisten namens Pianist entgeht. Wie heißt es so schön "Einzelhaft am Klavier". :)
Während nun also Streicher, Bläser u.a. fröhlich miteinander musizieren und dabei ein menschlich völlig normales Maß an mehr oder weniger Empathie aufweisen, möchten sie aber gern auch die Wunderwerke der Klavierkammermusik spielen. Auch Sänger sind in ihrer Literatur von einem Pianisten abhängig, Opernsänger brauchen einen Korrepetitor, Liedsänger einen Liedbegleiter.
Vor 45 Jahren, als ich mit dem Begleiten anfing und dieses auch noch so hieß, gab es nicht viele davon. Schon gar nicht welche, die flexibel, sicher, stützend, helfend, musikalisch mit einem sicheren Gespür für Zusammenspiel und Zusammenklang musizierten.
Auch in der Hochschule gab es viel zu wenige, die korrepetierten, die sich damit an der Hochschule ihre Brötchen verdienten. Viele Professoren beklagten das bitter. Die Klavierprofessoren nicht, denn die wollten, dass ihre Studenten Sololiteratur einstudierten und auf keinen Fall ihre Zeit mit Kammermusik oder Korrepetition verschwendeten. Ist ja auch klar, weil ja alle Solisten werden.
Nun ja, als Klavierbegleiter jedenfalls braucht man viele Eigenschaften:
1. Fels in der Brandung
Unerschütterlich wirkt der Klavierbegleiter schon vor Konzerten und Prüfungen, aber auch Proben beruhigend auf seinen Partner ein. Er lässt nicht die kleinsten Anzeichen von Nervosität erkennen, sondern strahlt durch seine reine Präsenz Siegesgewissheit, Ruhe und Zuversicht aus.
Während des Konzerts/der Prüfung ist der Klavierbegleiter eine Bank, die jedes Malheur zum Guten wendet, der falsche Töne seines Partners (er selbst macht natürlich nie welche oder übergeht sie mit der Noblesse eines Dom Perignon kostenden Lebenskünstlers edlen Geblüts) in die Interpretation integriert, der fröhlich hoppelnd von Stelle zu Stelle hüpft, wenn sein Partner ohne Noten eine Gedächtnislücke hat, der transponiert, wenn der Sänger gerade erkältet ist (möglichst nach unten und nicht nach oben wie Gerald Moore es so köstlich schildert), der sogar mal extra laut spielt, wenn er merkt, sein Partner schwächelt, der so wenig nachgibt wie möglich und so viel wie nötig, der führt und gleichzeitig die Illusion der Zurückhaltung vermittelt, der weiß, wann er in den Vordergrund tritt und wann nicht, der weiß, wann er welche Rolle einnimmt und der selbstverständlich vollkommen glücklich und zufrieden ist, wenn er immer nur als zweiter im Konzert genannt wird. Gern auch kleiner geschrieben.
2. Pfuscher vom Dienst
Da der Klavierbegleiter oft die Noten sehr kurzfristig bekommt, ist er gezwungen, den Notentext zu seinen Gunsten auszulegen. Die Kunst des Töne Weglassens ohne dass es nach "Alle meine Entchen" klingt, hat er perfektioniert. Er ist ein Illusionskünstler, der statt höchst unübersichtlicher entsetzlich schneller und schwerer Passagen eine wilde Tremolobegleitung einsetzt, die den Effekt des Schnellen mit dem doch sehr angenehmen Weglassens vieler Töne verbindet und so doch immerhin den verlangten "Krach" macht. Er hofft selbstredend, dass keine Fachleute im Publikum sitzen, die diesem Zauber dummerweise nicht erliegen.
3. Chamäleon, flexibel und anpassungsfähig
Der Klavierbegleiter ist ein Phänomen an Flexibilität. Ob mit Sängern, Geigern, Bläsern u.v.a. - null problemo. Einzige Ausnahme: mit Sängern, deren musikalische Fähigkeiten nicht unbedingt von Größe zeugen, arbeitet er nicht so gern - es ist auf die Dauer doch ein kleines bisschen anstrengend, immer wieder die Singstimme vorspielen zu müssen, bei rhythmischen Problemen z.B. beim Halten einer halben Note doch immer wieder zählen zu müssen o.a..
Aber sonst ist er in allen Bereichen einsatzfähig. Er ist auch außerordentlich flexibel in der Wahl des zur Verfügung stehenden Instruments. Ob eine Taste hängt oder doch eine klitzekleine mehr oder weniger starke Verstimmung des Instruments den Klang trübt - alles kein Problem. Der Klavierbegleiter hält es mit dem Zitat: es gibt keine schlechten Klaviere, es gibt nur schlechte Pianisten!
Er ordnet sich auch selbstverständlich den Wünschen seines "Solisten" unter, was die Einstellung der Höhe des Klavierdeckels angeht. Der Sänger hat Angst, dass Klavier könne zu laut sein? Selbstverständlich, stopfen wir dem Klavierklang das Maul und machen den Deckel zu. Oder vielleicht doch ein Buch mit einem winzigen Spalt dazwischen legen? Oder halb auf? Der Begleiter hört die mangelnde Tragweite der Stimme seines Sängers und gibt nach nach dem Motto " Heute müssen Sie gut gespielt haben, denn ich merkte nichts von Ihnen." (Raymond von zur Mühlen zu Coenraad V. Bos)
Selbstverständlich zeigt er sich außerdem flexibel in allen musikalischen Parametern. Tempo ein bisschen schneller, aber klar. Ach nee, heute doch langsamer, aber selbstverständlich. Zwischendurch ein überraschendes ritardando seines Partners - Spontanität belebt!
4. Genügsam wie ein Kaktus
Der Klavierbegleiter ist ebenso sehr genügsam. Er gibt sich zufrieden mit der Rolle "im Hintergrund". Finanziell erweist sich diese Haltung für den Partner als wahre Wohltat, denn der Klavierbegleiter steht gerne zurück. Hauptsache, es macht Spaß! Mittlerweile hat sich diese ehemals sehr verbreitete Haltung erstaunlicherweise zu seinen Gunsten geändert - der Klavierbegleiter reibt sich verwundert die Augen und erschrickt etwas vor dem grellen Rampenlicht, dass auf ihn und seine neben ihm stehenden Kammermusikpartner scheint.
Und so scheinen die Zeiten, in der hervorragende Pianisten wie Lambert Orkis sich in den Dienst einer Anne-Sophie Mutter begeben, allmählich vorbei zu sein. Sonaten für Klavier und Violine werden als solche bezeichnet, das Miteinander steht im Vordergrund, es wird gemeinsam gearbeitet in den Proben.
Deswegen wird auch der Begriff "Begleiter" kritisch beäugt. Statt Liedbegleitung heißt es gern Liedgestaltung. Die meisten großen Liedbegleiter haben mit diesem Begriff aber kein Problem. Gerold Huber sagt:
"Ich sehe mich ganz als Liedbegleiter, als Begleiter des Sängers und trotzdem als Künstler, in der künstlerischen Arbeit vollkommen gleichberechtigt."
Auch Helmut Deutsch sieht sich als Liedbegleiter, aber eben als gleichberechtigten Partner. Die frühere Angst der Sänger vor einer zu lauten Begleitung, die Gerald Moore in seiner herrlichen Biografie "Bin ich zu laut?" thematisiert, sei ihm in den letzten 20 Jahren nicht mehr begegnet.
Früher habe sich der Pianist dem Sänger oft untergeordnet, sagte der Liedbegleiter Helmut Deutsch im Dlf. Heute gebe es eine akustische Gleichberechtigung. Diese Woche erscheint die Autobiografie des Musikers.
www.deutschlandfunk.de
Der Wiener Helmut Deutsch gehört zu den bekanntesten Klavierbegleitern der Welt. Jetzt hat er ein Buch geschrieben
www.derstandard.de
Ein schwieriges Verhältnis – über die Geschichte und Geschichten von Sängern und Pianisten
www.concerti.de
Es könnte also durchaus sein, dass speziell Liedbegleiter mehr Empathie brauchen als der Pianist eines Klavierquartetts oder als ein Solist, ich bin mir da aber nicht sicher.
Viel wichtiger ist beim Spielen von Kammermusik das gemeinsame Erleben des Entstehens von Musik! Das ist etwas wirklich Einzigartiges. Eine Phrase zu zweit gestalten, Musik gemeinsam aus sich selbst heraus zu entwickeln, die gemeinsame Arbeit an einer Interpretation, die Diskussion verschiedener Sichtweisen ist ein ganz tolles Gefühl! Das ist auch unabhängig vom musikalischen Fortschritt der Beteiligten - deswegen ermuntere ich jeden, Kammermusik zu machen!
Am tollsten ist das, wenn man jemanden hat, mit dem man in jeder Hinsicht ein Herz und eine Seele ist. Was ich glücklicherweise seit nun schon 45 Jahren habe. Es ist ein großes Geschenk, mit sehr guten Musikern zusammenarbeiten zu dürfen.
Und sonst handelt man einfach professionell. Ich hatte bisher nur bei einem Instrumentalisten wirklich Schwierigkeiten - er hat im Timing Dinge gemacht, die meinem musikalischen Gefühl sehr widersprachen. Es ging zwar, aber ich musste dauernd gegen mein eigenes Gefühl spielen und war froh, als es vorbei war.
Der spannende und lebendige Dialog, das spontane Reagieren aufeinander, Impulse zu geben und aufzunehmen, sensibel zu interagieren und vor allem: nonverbal in Musik miteinander zu kommunizieren, alle Qualitäten menschlicher Kommunikation in Musik wiederzufinden und etwas, dass ich nicht ausdrücken kann - das ist Kammermusik! :)
Liebe Grüße
chiarina