I, IV, V nur für Dur tonartbestätigend?

eher wird eine Gliederungs- und Schlusswirkung durch Melodik erzielt
Ja, soviel dünkt mich schon begriffen zu haben: Der Grundton kommt zum Schluss, daher wird die Tonika da Finalis genannt. Der unterwegs häufigste, und am häufigsten repetierte Ton ist die Repercussa, und die Melodie umspielt an den anderen Stellen die Finalis. Die Lage von Finalis und Repercussa unterscheidet die authentischen und die plagalen Tonleitern.

Keine Ahnung allerdings, ob und inwiefern Repercussa und Finalis in heutiger modaler Musik noch eine Rolle spielt.
 
Ich glaube nicht wirklich befriedigend für dich ... aber ich versuche es mal.

Die Klauseln bezeichnen Melodiefetzen, welche in den verschiedenen Stimmen auftauchen können (auch bei Kadenzen kann man diese noch finden), sobald ein Schluss gefragt ist (die gibts ja nicht nur ganz am Ende des Stückes, sondern immer wieder zwischendurch auch (zum Beispiel am Übergang zwischen zwei Sinnzusammenhängen (z.B. zwischen zwei Strophen).
Versuche mal eine Kadenz aufzuschreiben (Vierstimmig) und dabei alle im Wiki-Artikel erwähnten Klauseln zu vermeiden ... du wirst scheitern.

Wie dem auch sei ... im mehrstimmigen Satz hat sich aus diesen Klauseln nach und nach die Funktionsharmonik entwickelt.
Stark vereinfacht, haben die Komponisten zunächst Melodien komponiert, bei denen das Ende durch die Klauseln gestaltet werden konnte, diese wurden dann mit einzelnen Liegetönen begleitet (Bordunbegleitung) und im Laufe der Zeit wurde daraus eine zweite Stimme, welche auch mal den "cantus firmus" (die Hauptmelodie ... oft ein gregorianischer Choral) übernehmen konnte.
Nun gab es zur Hauptmelodie noch eine "Unterstimme" ... und dann ließ auch die erste Oberstimme nicht lange auf sich warten.
Dann hast du schon Tenor* (Hauptstimme), Bass und Diskant (Oberstimme) zusammen ... alle arbeiten mit den aus der Einstimmigkeit überkommenen Klauseln.
Was ergeben diese Klauseln, wenn sie gleichzeitig klingen? Sie ergeben Konsonanzen oder Dissonanzen, die sich in Konsonanzen auflösen also als Vorhalt wahrgenommen werden können.

Die Modalität in Pop und Jazz entsteht nicht aus der Notwendigkeit, gleiche Melodien so zu kombinieren, dass dabei gott- oder ohrgefällige Intervalle herauskommen und Parallelbewegungen vermieden werden.
Da wird im Grunde funktionsharmonisch gearbeitet ... nur eben mit dem Tonmaterial der alten Kirchentonarten.

Gibts eigentlich gregorianische Choräle in "lokrisch" (h-lokrisch = h, c, d, e, f, g, a)?

*) noch heute sprechen wir vom "Tenor eines Textes" und meinen damit seine Kernaussage ... sein "Thema".
Lange Zeit war der Tenor die Stmme, die bei polyphoner Musik den "cantus firmus" bzw. das Thema des Stückes vorstellte und dementsprechend auch als erste in eine kontrapunktische Fortführung überging, während das Thema in Alt oder Sopran erklang (Bass ist da eher selten als zweite Stimme dran).
 
Keine Ahnung allerdings, ob und inwiefern Repercussa und Finalis in heutiger modaler Musik noch eine Rolle spielt.
Die Modalität in Pop und Jazz entsteht nicht aus der Notwendigkeit, gleiche Melodien so zu kombinieren, dass dabei gott- oder ohrgefällige Intervalle herauskommen und Parallelbewegungen vermieden werden.
Da wird im Grunde funktionsharmonisch gearbeitet ... nur eben mit dem Tonmaterial der alten Kirchentonarten.
Deine implizite Frage, ob Finalis und Repercussa noch in der heutigen modalen Musik wichtig sind, kann ich aus meiner Warte nur so beantworten:
"Nur, wenn der Komponist das so haben will".
Damit zu arbeiten, bietet natürlich die Möglichkeit, dass es am ende so richtig "alt" klingt.

Ich habe eine Menge Musiker kennengelernt, deren Musik im Grunde modal war ... aber die hatten keine Ahnung, was sie da machten ... die fanden diesen "leichten Mittelaltertouch" einfach nett oder zur Textthematik passend und wussten (aus Erfahrung?), mit welchen Akkordwechseln diese Wirkung zu erreichen war.
Da steckt eher die Denke mit Melodie und Akkordbegleitung dahinter, als das komplexe Wechselspiel zwischen aufeinander bezogenen Melodien (Cantus Firmus und Kontrapunkte).
 
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Etwas OT, aber mMn wichtig.
Die Begriffe "Monophonie, "Polyphonie" und "Homophonie".

Monophonie ist die Melodie (z.B. ein gregorianischer Choral), in denen Klauseln sowie Finalis und Repercussa wichtig sind.
Das Denken in Akkorden ist hier noch fremd.
Wenn Hildegard von Bingen etwas "dorisches" aufschrieb, dann bezog sich das lediglich auf den Tonvorrat der Melodie sowie auf die Lage von Finalis und Repercussa.

Polyphonie entsteht aus der Kombination monophoner Elemente (Melodien) in Bezug zueinander, aus der sich Klänge (Akkorde) ergeben.
Auch hier ist das reine Denken in Akkorden noch fremd. Die ergeben sich mehr aus den Dis- und Konsonanzen zwischen den Melodien an entscheidenden Punkten. Schichte zwei Terzen, und du hast einen "Akkord" ... egal in welchem Modus.
Wenn in dieser Zeit jemand von "dorisch" sprach, dann verstand er diesen Begriff ähnlich wie Hildegard.

In der Homophonie kehrt man dann zur Melodie zurück, und probiert mit den Möglichkeiten der Akkordbegleitung herum. Aus dieser Zeit stammen z.B. Funktionsharmonik, Affektenlehre und Generalbass.
Hier ist das Denken in Akkorden bereits etabliert. Und hier steht dorisch dann auch nicht mehr nur für eine Tonleiter und einzelne Stufen in ihr, sondern gleichzeitig für die aus ihr bildbaren Dreiklänge. In d-dorisch gehen dann eben nur d-Moll, e-Moll, F-Dur, G-Dur, a-Moll, h-Moll b5 und C-Dur.
Natürlich kann man damit nur eine Melodie in d-dorisch begleiten ... die braucht aber nicht mehr zwingend Finalis und Repercussa.
Aber die beiden sind noch da ... sie sind nur nicht mehr ganz so wichtig für den Eindruck eines Schlusses oder für die Tonartbestätigung.

Gleichzeitig ist das eine Rennaissance ... eine Wiedergeburt der Art, in der eventuell schon Homer seinen Vortag begleitete ... der Hatte wohl eine Lyra dabei ... und die Möglichkeiten dieses Instrumentes sind ziemlich begrenzt.
Ich bin mir unsicher, ob man sich das eher als so eine Art Rezitativ vorstellen muss, bei dem die Akkorde die Wirkung des Textes unterstreichen, oder ob es durchgehende Klangbegleitung war, wie wir das bei Mozart sehen.

Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es schon zu Zeiten Hildegard von Bingens eine reiche homophone, profane Musikkultur gab (z.B. eine gesungene Melodie, die jemand auf einer Laute begleitet).
Die wurde nur eben nicht so oft aufgeschrieben und ist uns daher nur in winzigen Fetzen überliefert ... die Alphabetisierung im Mittelalter war ja allgemein nicht so dolle.
Kann ich bei Mono- und Polyphonie noch von einem zeitlichen Nacheinander ausgehen, so klappt das bei der Homophonie mMn nicht.
 
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Die Formulierung "das denken in Akkorden war fremd" ist irreführend ... das wurde nur eben als Teil der profanen Musikkultur gedacht.
 
Vielen Dank. Ich finde, du hast das sehr gut erklärt. Gelesen hab ich auch schon, dass Akkorde und ihre Fortschreitungen nur verknöcherte Strukturen, hartgetrampelte Pfade sind, hervorgegangen aus mehrstimmiger Melodieführung, in die sich Konventionen eingefestigt haben. Und lass mich dennoch gern vom Dur-Moll-orientierten Wissen, mit welchem ich als Klavierschüler konfrontiert bin, ins Bockshorn jagen.

Auch dass Akkorde heute in vielen Musikstilen eher zur Tonfärbung herangezogen werden (erweiterte Tonalität), täuscht leicht über die frühere melodische Orientierung hinweg.

Über die Vielgestaltigkeit der Akkorde und auch durch ihre Vorherrschaft in geschichteter oder ostinativ gebrochener Form der Klavierliteratur für Anfänger besonders für die Linke Hand, vergesse ich allzuleicht, dass Akkorde erst nach was klingen, wenn die Stimmen einzeln nach was klingen. Das gilt auch für die Stimmen unter der Melodie, die eine stärker als die andere rhythmusorientiert.

Wenn ich Stimmen setze, sagen wir in E-Lydisch, und sie einzeln "singen" und sinnvoll enden, also mit Schlusswirkung, dann sollte die Akkordprogression auch automatisch E-Lydisch sein, welche Stufen daran auch beteiligt sein mögen, das ist dann einerlei und taugt nicht dazu, eine Formel abzuleiten.
 
Wenn ich Stimmen setze, sagen wir in E-Lydisch, und sie einzeln "singen" und sinnvoll enden, also mit Schlusswirkung, dann sollte die Akkordprogression auch automatisch E-Lydisch sein, welche Stufen daran auch beteiligt sein mögen, das ist dann einerlei und taugt nicht dazu, eine Formel abzuleiten.
Bass, Tenor, Alt und Sopran sollten dafür aber am Ende schon einen E-Dur-Dreiklang bilden und ein A sollte nirgends vorher zu hören gewesen sein.
Den Unterschied zwischen Dur (ionisch) und Lydisch kann man Kindern anhand einfacher Kinderlieder sehr gut zeigen.
Fange "alle meine Entchen" auf dem F an, nutze nur weiße Tasten, und jedes Kind wird dir schon beim vierten Ton sagen, dass das falsch klingt ... die meisten finden von selbst heraus, dass das nur an zwei Stellen der Klaviatur nach "alle meine Entchen" klingt (in Mixolydisch funktioniert diese Melodie ebenfalls).

So ganz ignorieren darf man die Lehre von Repercussa und Finalis dann halt auch nicht ... zum Glück ist das so tief in uns verwurzelt, dass wir uns bei der Konstruktion einer Melodie fast automatisch dran halten, bzw. uns aktiv dafür entscheiden müssen, es anders zu machen.
 
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Stark vereinfacht, haben die Komponisten zunächst Melodien komponiert, bei denen das Ende durch die Klauseln gestaltet werden konnte
Das ist so stark vereinfacht, dass es kompletter Humbug ist. Die Klauseln sind Erscheinungen des (mindestens zweistimmigen) Kontrapunktes, es geht dabei um das Verhältnis von Dissonanzen, vollkommenen und unvollkommenen Konsonanten in Schlusswendungen. Dafür gibt es im zweistimmigen Kontrapunkt klare Regeln und aus diesen Regeln haben sich die Klauseln als archetypische Modelle entwickelt. In einstimmiger Musik der Gotik haben Klauseln noch keine Bedeutung.
 
In einstimmiger Musik der Gotik haben Klauseln noch keine Bedeutung.
Jedes mal, wenn ich diese Musik höre, drängt sich mir ein anderer Eindruck auf.

Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich "Klauseln" per Definition nur auf mindestens zweistimmige Musik beziehen dürfen.
An den Beispielen im Wiki-Artikel sehe ich nur eines ... das Gesetz der Gegenbewegung ... und das ist tatsächlich erst ab zwei Stimmen bedeutsam.
 

Das Problem ist, dass man einen Ton umso mehr als Finalis hört, je mehr Quinten er über sich hat. Das sind bei Lydisch ziemlich viele, daher kommt man vom Grundton kaum wegkommt. Bei Phrygisch sieht das schon anders aus: Das Ohr ist schnell geneigt, einen anderen Ton als "neuen" Grundton zu bestätigen. Lokrisch hat gar keine Quinte mehr über sich, die ist eben ein Tritonus. Damit hört man jeden Ton eher als Grundton als das h. Und es gibt natürlich keinen "Tonikadreiklang", wenn man das so nennen mag.
 
In einstimmiger Musik der Gotik haben Klauseln noch keine Bedeutung.
Welche Musik der Gotik ist denn einstimmig? Oder andersrum gefragt: in welche Jahrhunderte setzt du denn die Gotik an? Schon vor der Notre Dame -Periode, also an der Wende von Romanik zur Gotik im 12. / 13. Jahrhundert gab es Vorformen der mehrstimmigen Musik.
 
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