Hanon - schon wieder - immer noch

Du lenkst vom Thema ab.
Das Thema war statt Etüden ordentliche Klavierstücke spielen
Mit Verlaub @playitagain aber das stimmt nicht. Wäre hier von Etüden die Rede, würden wir uns über Beethoven, Schumann, Chopin, Ssint-Saens, Debussy, Skrjabin, Rachmaninov, Ligeti unterhalten und nicht über Hanon. Das wäre eine interessante Unterhaltung, aber sie würde hier nur sehr wenige betreffen, nämlich diejenigen, die solche Etüden spielen können.

Hier ist stattdessen die Rede davon, dass missverständlich einige eine kuriose Sammlung typisch fortschrittsgläubiger Fingerübungen des 19. Jh. zum modernen Trainingsprogramm umdeklarieren. Und dabei mangelt es an wirklich fachlichen Argumenten, was die Unterhaltung dem Niveau ihres tatsächlichen Gegenstands (Hanon) durch Wiederholungen von Stumpfsinnigkeiten angleicht...;-)
 
Es ist alles eine Frage des Endziels:
Wenn in China (das Video ist nicht aus China ich weiß) 40 000 000 Menschen - vor allem junge - Klavierspielen lernen, der internationale Pianisten Markt pro Jahr aber höchstens einen neuen chinesischen Pianisten braucht, so kann man sich leicht überlegen, dass man weit über
39 999 900 Anwärter ruinieren kann, um nach dem Prinzip 'survival of the fittest' noch immer weitaus genügend Menschenmaterial für den Pianisten-Zirkus zu liefern!
 
40 Mio. lernen dort Klavier? Echt toll. Müssen ja nicht alle Stars werden. Spaß?
 
Kein Spaß!!! 40 000 000 Mal brutale Arbeit!

Ist natürlich etwas übertrieben! Es gibt in Peking inzwischen Klavierschulen für Erwachsene Anfänger, die zum Spaß (!!!) Klavierspielen lernen!
Aber für die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ist das Klavierspielen lernen harter Drill!
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo, ich hab mich hier bei Clavio mal ein bisschen umgeschaut und gesehen, das in ganz unterschiedlichen Threads sehr kontrovers (öfters auch in Form der überaus beliebten Abschweifung vom Thema) über das Lebenswerk von Herrn Hanon geschrieben und gedacht wird.

Hier gibt es auch eine tiefgreifende Diskussion über Hanon et.al.:
http://www.pianosociety.com/threads/practising-hanon-and-czerny-exercises-a-waste-of-time.3395/

Die Meinungen sind wie so oft gespalten und teils widersprüchlich. Jeder muss wohl für sich selbst entscheiden, welche Übungen für welche Fertigkeiten bzw. das Warm-up nützlich sind.
Man sollte hierbei bedenken, dass man nur sicher beurteilen kann, was man aus eigener Erfahrung kennt.
 

Eines der größten Probleme bei Hanon u.ä. besteht darin, dass Technik und Klang, Technik und musikalisches Verständnis voneinander getrennt werden. Hanon soll dem "Fingertraining" dienen und hat den Zweck, "schnellere" Finger zu bekommen und so werden alle Hanonübungen ähnlich gespielt unabhängig davon, welche Intervalle dort erklingen.

Intervalle hören zu lernen und den Raum und die Spannung zwischen ihnen wahrzunehmen, ist aber sehr wichtige und herausfordernde Aufgabe und so schadet Hanon, wie er normalerweise angewendet wird, dem musikalischen Verständnis.

Ein weiteres großes Problem sehe ich in der Notation. Es stehen dort Sechzehntel und wenn man dann in Stücken Sechzehntelpassagen sieht und spielen will, besteht die Gefahr, dass man das, was man an Hanon geübt hat, auf diese Passagen überträgt. Ich spreche aus Erfahrung als KL und es ist sehr schwer, sich diese Automatismen wieder abzugewöhnen.

Selbst solche Übungen zu erfinden, wenn sie denn gewollt sind, ist viel besser, auch wenn manche denken, das sei das Gleiche. Aber erstens wird die Übung auditiv erschaffen und man hört von Anfang an die Intervalle, die man dann transponiert und mit denen man kreativ umgeht (Sätzchenspiel...). Und zweitens hat man dann nicht einen Wust von Sechzehntelnoten vor Augen und es entsteht nicht der Automatismus "Schnelle Sechzehntel = losrasen, schnell spielen, auf Schnelligkeit und Gleichmäßigkeit achten". Denn Sechzehntelpassagen sind oft wie Koloraturen von Sängern zu betrachten, wie Melodien. Sie sind fein zu gestalten in Artikulation, Dynamik und Phrasierung und wer viel Hanon spielt, spielt solche Passagen oft mechanisch und unlebendig.

Der Vergleich mit Sprintern oder Läufern ist daher aus meiner Sicht zu einseitig, weil die einfach nur schnell sein müssen. Gestaltung oder B-Note fällt weg. :-D

Die Übungen, die man macht, sollten immer auch einen Bezug zum aktuellen oder künftigen Stück haben - spannend ist es, wenn man die (unterschiedliche) Verwendung solcher Bausteine in vielen Stücken untersucht.

Liebe Grüße

chiarina
 
Das klingt spannend. Kannst du hier ein konkretes, nachvollziehbares Beispiel aufführen?

Lieber ehenkes,

gern! Nur die Auswahl fällt schwer. :D Nehmen wir mal die Figur, rot umkreist, aus dem Präludium BWV 927 von Bach:

Bach, Präludium F-Dur_LI.jpg .

Manchmal machen solche Figuren technische Probleme. Im Unterricht wird man zusammen mit dem Schüler eine Strategie erarbeiten, wie er das Problem schrittweise lösen kann. Man wird an der Bewegungsfindung arbeiten und dann eine Übung erfinden. Z.B. könnte der Schüler die Figur transponierend weiter verarbeiten, in verschiedenen Lagen, mit rechts kooperierend spielen etc..

Es ist spannend, in anderer Literatur nach solchen Figuren zu suchen, z..B. bei Mozart:


Mozart, facile, 2. Satz.PNG
Sonate C-Dur, facile, KV 545, 2. Satz - langsames Tempo, anderer Klang, Fingerpedal....

Es wird dabei klar werden, dass das alles Dreiklangsbrechungen sind, die in Klassik/Vorklassik Albertibässe genannt werden. Und schwupps kann man sich genüsslich mit Harmonielehre und Gehörbildung beschäftigen. Was kann man denn alles mit einem Dreiklang so anstellen? Was gibt es dazu in der Literatur?

Hier aus dem Rondo D-Dur KV 485 von Mozart:

Mozart, Rondo D-Dur 2.PNG
Mozart, Rondo D-Dur 3.PNG
Mozart, Rondo D-Dur.PNG

Oder klanglich ganz anders in Tschaikowskys "Die kranke Puppe" aus dem Jugendalbum:

Tschaikowsky, Die kranke Puppe.PNG

Die linke Hand besteht auch aus Dreiklängen, aber wie anders komponiert und eingesetzt!

Und wenn man weiter in Bachs Präludien sucht, stößt man vielleicht hierauf

Bach, Präludium d-moll.PNG

und hierauf

Bach, Präludium C-Dur.PNG .

Alles Möglichkeiten, Dreiklänge und Harmonien auf sehr verschiedene Weise kennen und spielen zu lernen. Das kann man wunderbar mit Improvisationen verbinden.

Weiter kann es dann darum gehen, wie Chopin so etwas macht und feststellen, dass er die Klangräume weitet, indem er einen Basston eine Etage tiefer zu begleitenden Akkorden komponiert und das Pedal einsetzt:

Chopin, Walzer a-moll.jpg .

Ende offen. Wenn man mit bestimmten Figuren aus Passagen/Sechzehntelketten Probleme hat, kann man daraus eine Übung machen. Und dann schauen, wo solche oder ähnliche Figurationen in der Literatur noch vorkommen, wie sie sich klanglich unterscheiden. Das erweitert sowohl das musikalische als auch das technische Spektrum.

Liebe Grüße

chiarina
 
Danke! Nehmen wir mal den Alberti-Bass f-c-a-c (LH). Wie würdest du das in eine Hanon-analoge LH/RH-Übung wandeln?
 
Danke! Nehmen wir mal den Alberti-Bass f-c-a-c (LH). Wie würdest du das in eine Hanon-analoge LH/RH-Übung wandeln?


Ich fürchte, das in eine Hanon-Übung umzuwandeln, wäre mir zu langweilig. Schöner fände ich es, wenn der Schüler zum Beispiel eine Kadenz nach dem Muster gestaltet. f-c'-a-c', f-c'-a-c', f-d'-b-d', f-d'-b-d' - e-c'-g-c', e-c'-g-c', f-c'-a-c', f-c'-a-c' o.ä. (also F-B-C-F) und dazu eine kleine Melodie improvisiert. Dann mit Parallelen etc., dann das Ganze in anderen Tonarten, mal schnell, mal langsam, in verschiedenen Charakteren, auch die o.g. Literaturbeispiele anspielen. Das schult Technik, Ohr und Musikalität gleichermaßen.

Aber wenn du darauf bestehst: man könnte auch mit links F-Dur, f-moll, f vermindert, Fis-Dur, fis-moll, fis vermindert, G-Dur ..... links spielen, rechts dazu gegenläufig, später unisono. Für mich klingt das aber zu mechanisch und ich habe schon beim Schreiben keine Lust dazu. :D

Liebe Grüße

chiarina
 
Viel wichtiger als womöglich endlos irgendwelche Übungen aus der Musik zu destillieren ist doch eine angemessene, das heißt der Musik und dem je eigenen Körpergefühl entsprechende Bewegung zu finden. ( Ein Lehrer kann helfen...)., Die Frage bei der Bachschen Figur ist z. B. : wieviel Gewicht setze ich ein, mache ich das mit Unterarmrotation, ist der Oberarm beteiligt, was machen die Finger ( machen die irgendwas) usw..
Die Vorschläge von chiarina sind gut; was ich gerne machen lasse: ich übertrage die Gegenläufigkeit der Hände auf die Spiegelbildlichkeit des Tastenreliefs.
D.h. wenn links in Stufentransposition aufwärts spielt: f c a c / g d b d usw., spielt die Rechte h e g e / a d fis d usw..
Gleichzeitig gespielt gewöhnt dies schon an eine elementare Bitonalität ( danke, Ferruccio).
 
Im Sinne der Harmonielehre sind eure Vorschläge eindeutig hilfreicher. Danke!
 

Zurück
Top Bottom