mehrere Punkte fand ich interessant, fasse das kurz zusammen, denn es wird ja u.a. ein Konnotationsdiagramm über Begriff „Virtuose“ über Nachschlagewerke und Zeiten gezeichnet. Fange aber mit Punkt 7 an:
7. – Virtuosität gilt als nichts Bewundernswertes i. d. Musik, in anderen Bereichen schon
(antike) Kunst, z.B, oder Dichtung.
Was die Antike betrifft, sollte man den Artikel mit großer Vorsicht genießen. Daß etwa der Aulet Midas v. Akragas die Pythien nur aufgrund seiner überlegenen Virtuosität gewonnen haben kann, ist sicher falsch - der Autor kann es sich aus moderner Sicht einfach nicht anders vorstellen. Erstens bestehen die Richterkollegien bei den Pythien wie auch bei den anderen "Spielen" aus Laien, die keineswegs (ausschließich) künsterlischen Kriterien folgen, zum andern ist Kunst im 5. Jh. kultisch gebunden, d.h. "Gottesdienst". Und da wird es als äußerst störend empfunden, wenn die Künstler sich in den Vordergrund schieben; das wirkte v.a. auf die konservative Adelsschicht (der u.a. Platon angehörte) ungefähr so, wie wenn ein katholischer Priester die Wandlung durch einen Handstandüberschlag verzieren wollte.
Zum andern bedient sich die antike Kunstkritik oft fachfremder Kriterien, z.B. ethischer und psychologischer. Platon lehnt die Tragödie (das "Musikdrama") wegen seiner abstoßenden Stoffe, wegen seiner vermeintlichen schädlichen psychologischen Folgen (Tragödien anschauen erzeugt sozusagen Weicheier) und schließlich aus erkenntnistheoretischen Gründen (das Drama ist eine bloße Mimesis der Realität) ab, ästhetische Gründe spielen da keine allzugroße Rolle. Aber auch aus ästhetischen G'ründen wird das Virtuosentum gebrandmarkt: Aristoteles sieht im Geltungstrieb der Virtuosen den Grund für den Niedergang der Tragödie, weil er zur Folge hat, daß die subtile tragische Struktur zugunsten des virtuosen "Nummernstücks" vernachlässigt wird. Ganz bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Schiedsgericht ziwschen den Tragikern Aischylos und Euripides in der Komödie "Die Frösche" des Aristophanes, wo am Ende ersterer gewinnt und aus der Unterwelt zurückgeholt wird, weil seine Stücke patriotisch gewesen seien - aus politisch-ethischen Gründen also und nicht aus ästhetischen.
Erst in nachklassischer Zeit gewinnt das Virtuosentum an Raum, und auch da nur gegen den
erbitterten Widerstand der Kunstkritik. Haupt"einfallstor" ist der Dithyrambos, wo man
neben astrophischer Form, Rhythmenwechsel und Modulationen von einer Tonart in die andere
auch das Vokal- und Instrumentalsolo findet (NPauly, s.v. Dithyrambos).
Summa summarum: es ist gut, wenn wir versuchen, fremde Kulturen mit ihren eigenen Maßstäben zu verstehen; nur so lassen sich Fehlurteile wie die in der verlinkten Arbeit unter Nr. 5 vermeiden.