@all: "Übt" ihr im Unterricht?
Lieber Don Mias und @alle,
für mich ist alles Üben, was man am Instrument tut. Alles, was ich dort mache, hat einen Einfluss auf mich und meine pianistischen Fähigkeiten, alles, was ich dort mache, "übt" mich.
Spielen und Üben lassen sich m.E. nicht trennen. Selbst wenn ich "vorspiele" oder ein Stück "durchspiele", übe ich. Nämlich, ein Stück vor- oder durchzuspielen. :)
Die reine Beschäftigung mit Musik, dem Klavierspiel, dem Instrument ist schon Übung. Üben wird leider oft als Vorstufe des Spielens gesehen und das ist aus meiner Sicht grundfalsch! Üben als lustvolles und kreatives Erforschen von Musik zu begreifen geht doch ohne Spielen gar nicht, wenn man mal vom mentalen Üben absieht, das aber auch nur mit viel Spielpraxis ernsthaft möglich ist.
Wenn man etwas tut, in diesem Fall also Klavier spielt oder übt, übt man seine musikalischen, pianistischen und sogar persönlichen Fähigkeiten. Und alles, was man am Klavier tut, beeinflusst das eigene Spiel. Es lohnt sich aus meiner Sicht, sich darüber klar zu werden.
Insofern übt natürlich auch jede Klavierstunde und jede Klavierstunde ist ein Üben. Üben ist allerdings so vielfältig, dass sehr viele verschiedene und individuelle Schwerpunkte gesetzt werden können und sollten. Je nachdem, was die Ziele des Übens und des Übenden sind.
Im Klavierunterricht werden Impulse gesetzt, die der hoffnungsvolle, glückliche oder auch manchmal unglückliche Übende in den nächsten Tagen/Wochen weiter entwickeln, umsetzen und automatisieren will. In diesem Übeprozess ist er auf sich allein gestellt. Bei seiner Arbeit kann es je nachdem flugs voran gehen, es kann aber auch zu Fragen und Problemen kommen. "Wie ging das noch mal?", "Heute klappt es gar nicht!", "Warum klappt das nicht", "Verdammt noch mal!".... . :)
Wenn es also in der nächsten Klavierstunde nicht so klingt, wie man sich das vorgestellt hat, wird man gemeinsam mit dem Lehrer daran arbeiten, dass es so klingt, wie man es sich vorstellt. Gemeinsam wird man den Kern des Problems herausfinden, die Voraussetzung, um eine Lösung zu finden. Das Problem kann z.B. eine mangelnde Klangvorstellung sein, ein technisches Problem, mangelndes musikalisches Verständnis u.v.a..
Kennt man das Problem, findet man gemeinsam eine Lösung. Auch die ist sehr individuell und im Unterricht muss man probieren und experimentieren, auch als Lehrer, um der Lösung auf die Spur zu kommen. Und hurra - endlich hat man das Problem gelöst, meistens indem man das Problem in viele kleine Schritte zerlegt, die aufeinander aufbauend die letztendliche Realisierung der Lösung leicht machen.
Wie so eine Lösung aussieht, muss sehr oft im Unterricht herausgefunden werden und das ist natürlich auch Üben. Nebenbei lernt der Schüler, wie man ein größeres Problem in viele kleinere und leichtere Einzelschritte zerlegt (Übetechniken), und wie wichtig kreative Herangehensweisen sind. Zu Hause wird er diese Schritte wiederholen, dadurch automatisieren und kann schließlich die vielen kleinen Schritte wieder zusammenfassen (so habe ich dich auch verstanden, lieber Don Mias). Das geht aber nur, wenn im Unterricht durch Proben/Probieren sicher gestellt wurde, dass die einzelnen Teilschritte wirklich verstanden wurden!
Abgesehen von Problemlösungen wird man im Unterricht aber auch viel Neues entdecken, sein Ohr und musikalisches Verständnis schulen, seine Technik verbessern. Der Lehrer wird Wege und Möglichkeiten eröffnen, wie das gelingen kann (Improvisation, Gehörbildung, Liedbegleitung, Blattspiel......) und auch das ist Üben, beinhaltet und erfordert Übung.
Bei der Erarbeitung von Stücken ist es mir extrem wichtig, den Schüler durch Vermittlung kluger Herangehensweisen und Übemöglichkeiten das Stück selbst hören und entdecken zu lassen in seiner musikalischen Aussage. Dann muss man als Lehrer gar nicht mehr sagen "mach dies", "mach das" ... .
Eine Entdeckungsreise in das Land der Klänge soll es sein, mit wachen Ohren und Händen, staunend, lauschend, fühlend, berührt. Die musikalische Beschäftigung mit einem Stück am Instrument ist die Grundlage jeden Übens - dabei lernt man es automatisch spielen, Kenntnisse über unser Lernverhalten und grundsätzliche Übetechniken vorausgesetzt.
Die manuelle Umsetzung ist die Folge der musikalischen Beschäftigung mit dem Stück und nicht umgekehrt!!!
Mich stört, dass Üben oft als eine recht technische Angelegenheit verstanden wird, ein Stück manuell hinzubekommen. Das hat oft ein sehr mechanisches und unlebendiges Klavierspiel zur Folge. Üben ist aus meiner Sicht das genaue Gegenteil! :)
Und deshalb finde ich solche Messungen wie in diesem Faden sehr fragwürdig, denn sie legen den Schwerpunkt genau auf "technische Merkmale" wie eine Anzahl von Tönen, Takten anstatt auf die musikalische Aussage und Struktur, die auch bei wenigen Tönen extrem anspruchsvoll und schwierig zu spielen sein kann.
Liebe Grüße
chiarina