Ich finde, Musik machen ist so ähnlich wie Schauspielerei, nur daß man eben selten Text, Mimik und Körperbewegungen zum Hauptausdrucksmittel macht. Musik beschränkt sich ja im wesentlichen auf die Darstellung von Stimmungen und Atmosphäre und deswegen muß man schon zusehen, daß man sich auf den Charakter des Stückes einstellt. Allerdings ist es kann es hinderlich sein, sich in den Emotionen treiben zu lassen. Wenn ich wütend werde, während ich das Cis-Moll-Präludium von Rachmaninoff spiele, nützt das garnichts. Ein bischen Wut und viel Aufregung gehören zwar in die Musik aber die gibt auch vor, wieviel und wann. In dem Moment, wo man sich aber den eigenen Emotionen hingibt, verliert man die Kontrolle. Stattdessen muß man das Vokabular der Musik verwenden, um diese Gefühle auszudrücken, so als ob man jemandem eine lebendige Erinnerung erzählt.
Auf der anderen Seite wäre es ja furchtbar, wenn die Musik, die wir spielen, keinen Einfluss auf unsere Gefühle hätte. Und wie sollte man etwas ausdrücken, was man selbst nicht kennt? Nur muß man als klassischer Musiker eben eine klare Linie zwischen sich selbst und der Musik ziehen. Popmusiker können sich schon eher gehen lassen, vor allem dann, wenn sie sehr persönliche Musik spielen, aber auch die müssen diese Grenze ziehen, um bei dem zu bleiben, was sie geplant hatten. Sinead O'Connor soll in einem Musikvideo echte Tränen geweint haben aber trotzdem ist ihre Stimme weiterhin klar und sicher, so wie es das Stück verlangt. Das Gegenteil konnte man in der Sesamstraße unter dem Titel "manamana" sehen, wo der Sänger in seinen Soloausbrüchen komplett den Faden verlor und alle drei neu ansetzen mußten (
http://www.youtube.com/watch?v=dwYFFEf_ohc - ok, er verliert den Faden nur einmal wirklich).
Es gibt auf jeden Fall bei Rockfans aber sicherlich auch bei Klassikern die Vorstellung, daß Emotionen möglichst echt sein sollten. Diese Meinung teile ich insofern, daß man unmöglich etwas musikalisch ausdrücken kann, was man nicht selbst verstanden hat. Glücklicherweise muß man nicht seine Familie bei einem Autounfall verlieren, um darüber ein Stück vortragen zu können aber man muß sich schon in diese Situation hineinfühlen können.
Hallo Guendola,
du sagst gute Dinge, finde ich. Besonders wichtig ist, dass man in bezug auf die Emotionen beim musikalischen Ausdruck die Kontrolle behalten muss und sich nicht in den Gefühlen verlieren darf. Allerdings würde ich nicht sagen, dass man eine Linie zwischen sich selbst und der Musik ziehen müsse. Ich denke, du möchtest mit diesem Bild die Kontrolle des Musikers über die musikalischen Emotionen beschreiben. Deshalb lies das Folgende, wenn möglich, nicht als Antwort auf dich, sondern eher als Ergänzung. Ich möchte nur etwas zu dem Bild der Linie zwischen sich selbst und der Musik sagen, weil es bei mir die Assoziation hervorruft, dass man zwar Emotionen in der Musik ausdrückt, aber so als hätten diese nichts mit einem selbst zu tun.
Ich denke, man kann die Musik nicht von dem Menschen trennen, der sie hervorbringt. Ein Musiker, der versucht, seinen emotionalen Ausdruck von seinen eigenen Gefühlen zu trennen, macht uninteressante Musik. Aus meiner Sicht ist Musik eine andere Form der Sprache. Und wie in der verbalen Sprache gibt es auch in der Musik alle Möglichkeiten, diese zu benutzen. Man kann oberflächlich plaudern, man kann bloße Informationen mitteilen, man kann Witze erzählen, man kann aber auch tiefsinnige Dinge sagen und Gefühle ausdrücken, und man kann sich auf eine Bühne stellen und einen dramatischen Vortrag halten. Interessant ist vor allem das, was einen emotional berührt. Bei Alltagsgeplauder ist dies sicher weniger der Fall als bei einem dramatischen, künstlerischen Vortrag auf der Bühne.
Was Musik bewirkt, hat weniger mit der Musik an sich zu tun, als vielmehr mit dem Menschen, der sie als Sprache und Ausdrucksmittel einsetzt. Wenn jemand mir gegenüber nicht echt und authentisch ist, sondern nur etwas darstellen will, also seinen emotionalen Ausdruck "schauspielert", dann kann mich das nicht berühren, sondern im besten Fall amüsieren. Das gilt für die verbale Sprache genauso wie für die Musik. Ein Schauspieler ist auch nur insofern ein guter Schauspieler, als er echte Gefühle in kontrollierter Form ausdrückt. Sobald er versucht, etwas auszudrücken, was er nicht wirklich innerlich erlebt, sondern sich nur ausdenkt, wird er lächerlich und uninteressant.
Was bedeutet dies jetzt alles in bezug auf das Thread-Thema? Haydnspaß hat meiner Meinung nach einen der wichtigsten Beiträge geliefert:
Es ist ein bißchen wie der Frage, ob der Körper die Psyche beeinflusst oder die Psyche den Körper. Sowohl als auch - es ist eine Wechselwirkung! Beides entwickelt man besten zusammen.
Manchmal sind die technischen Probleme eben gerade dadurch verursacht, daß man emotional blockiert ist. Daß man einer Stelle rein technisch eben garnicht beikommen kann Perfektionismus kann da ein großes, eventuell unüberwindliches Hindernis werden. Deshalb sollte man sich - auch wenn man "technisch" noch nicht sicher ist, ruhig mal ganz schrecklich schlecht und falsch spielen, aber dabei mit dem musikalischen Ausdruck experimentieren. Am besten, wenn niemand in der NÄhe ist, der zuhört ;)
Wenn man sich klarmacht, dass Musik eine Sprache ist, mit der man anderen Menschen gegenüber etwas ausdrückt und dadurch
offenlegt, dann ist gut nachvollziehbar, inwiefern das Üben und Spielen eines Klavierstücks durch emotionale Blockaden beeinflusst sein kann. Ich denke, man sollte sich in der Musik folgende Fragen stellen: Was will ich aussagen? Habe ich etwas zu sagen? Was will ich zeigen? Es gehört viel Mut dazu, sich hinzustellen und etwas auszudrücken, was andere Menschen emotional berührt. Denn das ist nur möglich, wenn man seine
eigenen Gefühle ausdrückt und dadurch zeigt. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, sich selbst zu kennen und sich im eigenen Gefühlshaushalt "heimisch" zu fühlen. Denn andernfalls kann die Kontrolle beim musikalischen Ausdruck von Emotionen kaum aufrecht erhalten werden. Womit der Kreis zum Anfang des Beitrags geschlossen wäre.
Grüße von
Fips