Durchspielen - VOR dem Üben?

  • Ersteller des Themas Debösi
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Dann - es war in einem Klaviergeschäft und ich probierte ein Instrument aus. Peng - aus heiterem Himmer der ganz alte Fingersatz- Aus!

The first cut is the deepest... ;-)

In "Stress"situationen fällt man auf älteste Verhaltensmuster zurück. Schon verrückt. Es geht leider jedem so, und man darf dankbar sein, wenn es sich nur um so etwas Harmloses wie einen ungünstigen Fingersatz handelt. Das Phänomen ist unter anthropologischen Gesichtspunkten extrem interessant.


Doch zur Eingangsfrage, die ich mit einem selbstverständlich unbefriedigenden "Kommt-drauf-an" beantworten muss.

Den Begriff "Üben" assoziiert man zutreffender Weise mit der gründlichen Erarbeitung eines aufgedröselten Stückes am Klavier selbst, deshalb wähle ich den etwas offeneren Begriff "Lernen". Dazu gehört:
Sogar das erstmalige Lesen gehört ja schon [...zum Lernen...] dazu.
Ich ergänze: Anhören UND Anschauen. Auch wenn es intellektuell unschick ist: Ich lerne gut durch Nachahmung. Wenn ich zuschaue, wie jemand eine motorische Aktion gut und professionell ausführt, übernimmt irgendwas in mir das Bewegungsmuster. – Unabhängig davon: Anhören. Was man vom Anhören noch direkt im Ohr hat, überträgt sich "irgendwie" auf die eigene Aktion.

Mit zunehmendem Fortschritt sollte man dieses innere Klangbild wohl immer selbst erzeugen können, aber das schaffe ich noch nicht verlässlich, auch längst nicht immer und schon gar nicht korrekt.



Grundsätzlich spiele ich beim Erstkontakt jedes unbekannte Stück "vom Blatt" von vorn bis hinten durch. Beidhändig. Erstens aus Neugier/Vorfreude, zweitens um Prima Vista zu üben (nicht aber das Stück zu üben). Anschließend abschnitts- oder sogar taktweise, gern auch rückwärts-additiv. "Durchgespielt" wird nur so weit wie auch konkret geübt wurde.

Hierbei gibt es natürlich die Einschränkung: Das anfängliche "vom Blatt durchspielen" mache ich nicht, wenn klar ist, dass es aufgrund von Spezialherausforderungen kontraproduktiv wäre. Solche Stücke werden abschnittweise im Unterricht besprochen, und die richtige Art zu üben wird via "betreutes Üben" angelernt.;-)

Die Hände getrennt zu üben, bringt mir meistens überhaupt nichts. Das ergibt allenfalls vorübergehend einen Sinn, wenn die eine Hand die musikalische Hauptlast trägt und dabei noch eine technische Herausforderung bislang unbekannter Art zu bewältigen ist, wie z. B. bei Chopins Terzenetüde, "Butterfly" oder op. 10/2.

Bei Bach finde ich es hilfreich, mit beiden Händen die Stimmen getrennt zu üben, eine Stimme pro Hand (sind ja meistens mehr als zwei Stimmen im Spiel, die frei zu kombinieren manche musikalische Erkenntnis birgt).
 
@chiarina Sorry, ich stehe auf dem Schlauch :014:: was verstehst Du genau unter Übeeinheit?
@Barratt genau das ist das Problem: The first cut is the deepest. Das steht im Widerspruch zu @chiarina‘s These, die ich so verstanden habe, dass der erste Kontakt nicht so einschneidend ist wie ein späterer. Ersteres kommt meiner Erfahrung näher.
 
Sorry, aber bei "the first cut..." kommen mir nur Assoziationen von rein mototischem Üben. Wenn mit Beginn des neuen Stückes sofort auswendig gelernt wird, sind die Töne :018: ja bekannt und können bzw. sollen sogar mit wechselnden Fingersätzen gespielt werden (Tipp von pppetc bleistiftsweise).
Da bleibt man bei der Musik und der Cutist nicht so scharf....
 
rein mototischem Üben. Wenn mit Beginn des neuen Stückes sofort auswendig gelernt wird, sind die Töne :018: ja bekannt und können bzw. sollen sogar mit wechselnden Fingersätzen gespielt werden (

Das Üben mit bewusst wechselnden FS ist für viele sehr problematisch!
Ich selbst weiss an vielen Stellen meinen FS gar nicht, der wechselt gelegentlich oder auch nicht!
Aber für viele Schüler wäre eine solche Herangehensweise der sichere Tod auf der Bühne!
 
Sorry, aber bei "the first cut..." kommen mir nur Assoziationen von rein mototischem Üben

Ist es ja auch, wenn man nur Fingersätze lernt und dann rausfliegt, wenn man mal spontan kreativ wird.

Ich freue mich immer, wenn ich etwas spiele und plötzlich kein Finger mehr übrig ist.
Das zeigt mir, dass ich mir kein Tastendrücken reindressiert habe, sondern die Musik die ich spielen will auf die Tasten bringe.
Fehlt dann nur die Aufmerksamkeit rechtzeitig genügend Finger in Stellung zu bringen ;-)
 
The first cut is the deepest. Das steht im Widerspruch zu @chiarina‘s These, die ich so verstanden habe, dass der erste Kontakt nicht so einschneidend ist wie ein späterer.
Sorry, aber bei "the first cut..." kommen mir nur Assoziationen von rein mototischem Üben.

Das ist halt genau der springende Punkt. Es ist tatsächlich NUR die Motorik, die so persistent bleibt. Sobald die Musik die Hauptrolle spielt, ist der Fingersatz oft sogar nachrangig, die Finger sortieren sich oft so zurecht, wie es der Hand am besten behagt, um die innere musikalische Vorstellung zu realisieren.

Ganz ehrlich, als Anfänger hat man nicht zu jedem Zeitpunkt eine sichere "innere musikalische Absicht" parat. Ich jedenfalls nicht. Deshalb schrieb ich auch vor einiger Zeit den etwas bespöttelten Satz, dass ich ein Stück (oder eine Stelle) erst musikalisch kapieren muss, ehe ich sie sicher lernen kann. Auch bei Bach. Und dann bedarf es meistens keines "eingeübten" Fingersatzes mehr, sondern die Musik läuft organisch aus einem heraus.
(Ja, das IST eine Steilvorlage für Kalauer – nur zu! :005: )

Ich selbst weiss an vielen Stellen meinen FS gar nicht, der wechselt gelegentlich oder auch nicht!

Aber für viele Schüler wäre eine solche Herangehensweise der sichere Tod auf der Bühne!

Oh ja, das glaube ich. Wenn man vor Aufregung "den Text" vergisst, ist das schnöde motorische Gedächtnis als das evolutionär ältere zuverlässiger als das intellektuelle.
 
Wir reden hier aber vom Üben und Einstudieren neuer Stücke, nicht wahr? Ich habeja nicht behauptet, dass man sich dann nicht den besten Fingersatz angewöhnen soll, denn das Unsichere ist wirklich auf der Bühne recht ungünstig... Aber: am Anfang bekommt man ein sichereres Gedächtnis für das Stück, das Tastengelände, den Ablauf, wenn man alles auch mal mit der anderen Hand, ganz verquere Fingersätze etc. spielt. Der "richtige" FS kommt dann, unterstützt vom KL :007:, von ganz alleine. Großer Vorteil ebenfalls: wenn später mal, z.B. durch höhere Tempi, doch ein FS- Wechsel erforderlich ist, hat man den im Nu drinnen.
 

@chiarina Sorry, ich stehe auf dem Schlauch :014:: was verstehst Du genau unter Übeeinheit?
@Barratt genau das ist das Problem: The first cut is the deepest. Das steht im Widerspruch zu @chiarina‘s These, die ich so verstanden habe, dass der erste Kontakt nicht so einschneidend ist wie ein späterer. Ersteres kommt meiner Erfahrung näher.

Lieber Debösi,

vielleicht hätte ich tägliche Übeeinheit schreiben sollen. :003:

Es geht in diesem Faden ja darum, wie man es vermeiden kann, sich falsche Dinge anzutrainieren.

Unser Hirn prägt sich das ein, was entweder mit sehr starken Emotionen besetzt ist (dann prägen sich auch einmalige Ereignisse tief ins Gedächtnis ein), oder was oft wiederholt wird. Unser Hirn unterscheidet also nicht zwischen falsch und richtig, sondern speichert das ab, was wir oft wiederholen.

Im Fall deines falschen Fingersatzes hast du diesen Fingersatz über mehrere Tage oft wiederholt. Dazwischen lagen noch die Nächte, in denen dein Hirn diesen falschen Fingersatz sich noch zusätzlich wunderbar eingeprägt hat. Denn im Schlaf und in Pausen geschieht die Gedächtnisbildung und -konsolidierung.

Ich habe Barratt so verstanden, dass sie das mit dem first cut meinte. Also diesen Zeitraum von mehreren Tagen.

Wenn du nun zum Kennenlernen des Stücks beim Erstkontakt das Stück vom Blatt spielst, mit freien Fingersätzen und jede Menge Fehlern, wird sich dieses einmalige Ereignis nicht einprägen. Denn du wiederholst diesen Vorgang ja nicht, schon gar nicht über mehrere Tage, zwischen denen noch die Nächte liegen.

Zudem fängst du ja nach dem Blattspiel mit dem Üben an. Und da wirst du (richtige) Dinge wiederholen, die sich dann einprägen und über Nacht verarbeitet werden. Das richtige Üben "überschreibt" nicht das vorherige Blattspiel, weil sich bei diesem einmaligen Ereignis gar keine Rille gegraben hat.

Auf unseren Körper und unserer Sinnesorgane wirken sekündlich (!) viele Millionen Sinneseindrücke ein. Nur ein winziger Bruchteil davon wird abgespeichert, sonst wäre unser Hirn binnen kurzem wegen Überlastung geschlossen. :003: Wir müssen also unserem Hirn durch Wiederholung mitteilen, was wir uns merken wollen. Zunächst gehen diese Informationen ins Kurzzeitgedächtnis, nach noch sehr viel mehr Wiederholung ins Langzeitgedächtnis.

Selbst wenn du einen Tag den falschen Fingersatz durch Wiederholung anwendest, gräbt sich noch keine Rinne, sondern allenfalls ein zartes Grübchen. :003: Bei mehreren Tagen hintereinander sieht das schon deutlich anders aus!

Es kommt auch immer auf den Schwierigkeitsgrad der Stelle an. Die Stelle mit deinem falschen Fingersatz scheint auch nicht ganz einfach zu sein, oder? Bei solchen Stellen halte ich einen festgelegten Fingersatz für wichtig!

Hier wurde angesprochen, dass ein flexibler Fingersatz doch auch mehr Flexibilität insgesamt trainiert. Das stimmt zwar, aber aus mannigfaltiger Erfahrung schließe ich mich @Alter Tastendrücker an. Gerade in Auftrittssituationen kann das äußerst unangenehm werden.

Frag ruhig weiter, falls es noch nicht klar sein sollte!!!

Liebe Grüße

chiarina
 
Wir reden hier aber vom Üben und Einstudieren neuer Stücke, nicht wahr? Ich habeja nicht behauptet, dass man sich dann nicht den besten Fingersatz angewöhnen soll, denn das Unsichere ist wirklich auf der Bühne recht ungünstig... Aber: am Anfang bekommt man ein sichereres Gedächtnis für das Stück, das Tastengelände, den Ablauf, wenn man alles auch mal mit der anderen Hand, ganz verquere Fingersätze etc. spielt. Der "richtige" FS kommt dann, unterstützt vom KL :007:, von ganz alleine. Großer Vorteil ebenfalls: wenn später mal, z.B. durch höhere Tempi, doch ein FS- Wechsel erforderlich ist, hat man den im Nu drinnen.

Lieber Klavirus,

wenn du damit gut zurecht kommst, ist alles bestens! Die Menschen sind unterschiedlich! Gerade das Ausprobieren von "verqueren Fingersätzen! finde ich sehr gut! Da speichert sich nichts ab.

Liebe Grüße

chiarina
 
@chiarina Damit wir uns nicht auf dem speziellen Thema Fingersatz festbeißen: Analoges gilt für Sprünge: Erinnerst Du Dich an das vollkommen idiotische Problem in meiner Rachmaninow Prélude op.23/5, als ich simple a-c-d Oktaven nicht sauber getroffen habe? Wahrscheinlich hatte ich in der Vergangenheit durch Überspielen dieser nicht perfekten Stelle zugelassen, dass sich der Fehler sozusagen in mein Gehirn eingegraben hat. (Übrigens ist es zu Hause jetzt gut, aber warte, bis eine Stress-/Vorspielsituation kommt).

Ich glaube, den Zusammenhang jetzt verstanden zu haben. Es gibt den möglicherweise tiefen „first cut“, aber auch „den letzten Eindruck“, der im Gehirn weiter arbeitet und sich fest verankert.
Aus diesem Grund spiele ich vor dem Ende der Übeeinheit die Stellen möglichst sorgfältig und nicht im möglichen Endtempo. Das führt oft dazu, dass sich am nächsten Tag die vermeintlich hartnäckigen Probleme in Luft aufgelöst zu haben scheinen. Dies ist in der Regel dann auch ein nachhaltiger Effekt.
 
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Damit wir uns nicht auf dem speziellen Thema Fingersatz festbeißen: Analoges gilt für Sprünge: Erinnerst Du Dich an das vollkommen idiotische Problem in meiner Rachmaninow Prélude op.23/5, als ich simple a-c-d Oktaven nicht sauber getroffen habe? Wahrscheinlich hatte ich in der Vergangenheit durch Überspielen dieser nicht perfekten Stelle zugelassen, dass sich der Fehler sozusagen in mein Gehirn eingegraben hat.
Naja, man muss schon unterscheiden zwischen Grundlagen und spezifischen Anforderungen eines Stückes. Als Amateur oder Hobbyspieler gerade im leicht fortgeschrittenen Bereich ist man oft versucht Stücke zu spielen, deren Grundlagen noch nicht solide "trainiert" sind. (Solche Erfahrungen habe ich auch gemacht....nicht dass das jetzt besserwisserisch gemeint ist:-D)
Neue Stücke , die man im Groben eben nicht gleich vor dem eigentlichen Üben durchfingern kann, sind eigentlich technisch eben noch zu anspruchsvoll. Gut ist dann eben, diese erforderliche Technik vorzubereiten mit angemessenen Etüden. (Und es gibt wunderschöne Etüden um mal dem Einwand vorzubeugen, man könne das doch auch am Stück lernen, vielmehr missbraucht man das Stück und vermiest es sich selbst am Ende noch..)
 
Fatal ist, dass das Gehirn sich alles merkt, besonders das, was beim ersten Mal gemacht wurde und dies genau dann wieder herausholt, wenn es unpassend ist (Stresssituation).
Mit allem, was geschrieben wurde, gehe ich nicht mit, nur wurde mir beim Lesen klar, warum mir das mit veränderten Fingersätzen einfacher fiel.

In Deinem Beispiel wurden für ein unverändertes musikalisches Werk zwei Fingersätze erarbeitet. Bei meinem Beispiel veränderte sich, wenn man es so bezeichnen möchte, das Werk, so dass Fingersatz 1 und 2 gar nicht mehr passen konnten.

Beim Beispiel mit dem Blinkschalter, erst links neben dem Lenkrad, dann mittig vor dem Schaltknüppel, nur etwas höher. Nun, nach einigen Wochen gab es da auch unter Stress keine Probleme mehr. Wenn man so will gab es dabei keine weiteren Verknüpfungen, weil ja jede Situation einzigartig war, nur der Richtungswechsel gleichbleibend.
 
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Ich habe Barratt so verstanden, dass sie das mit dem first cut meinte.

Ja, so meinte ich es.

Übrigens habe ich dieser Metapher keine tiefere Bedeutung beigemessen, mir ist nur just in dem Moment zufällig der Song eingefallen. Eine Bemerkung fast schon auf Kalauer-Niveau. ;-)

"Cut" geht tiefer als nur "Touch". "Touch" wäre, um gleichwohl in dieser Metapher zu bleiben, ein oberflächliches Ausprobieren. Damit es zum "Cut" kommt, muss man tatsächlich ein paar Tage lang üben und überzeugt sein, es sei angemessen.
 

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