Troubadix
Dorfpolizist
- Dabei seit
- 3. Mai 2011
- Beiträge
- 2.516
- Reaktionen
- 2.521
Sonate Nr.9 op.68 „Schwarze Messe“
„Wenn die 7. Sonate Dämonen exorziert, so holt die 9. Sie wieder zurück. Verwesung, Perversion und Diabolisches kehren wieder. Von den samtweichen Harmonien der 8. stechen diejenigen der 9. mit ihren dissonanten kleinen Nonenakkorden ab und ersetzen die toten, wohlklingenden Oktaven.“
Ja, wie Bowers richtig bemerkte, haben wir hier ein düsteres Werk vorliegen. Eine schwarze Messe und das so kurz nach Christi Himmelfahrt. Der Beiname „Schwarze Messe“ stammt dennoch nicht von Skrjabin, sondern von seinem Freund Alexej Podgajetski in Anlehnung an die Weiße Messe, Skrjabins 7. Sonate. Skrjabin hat den Beinamen gekannt und ihn nicht abgelehnt, denn tatsächlich wollte Skrjabin hier etwas Böses darstellen.
Entstanden ist sie zwischen 1912-13 zeitgleich mit der 8. und 10. Sonate, wurde aber vor der 8. Sonate fertiggestellt. Uraufgeführt wurde sie 1913 in Moskau durch Skrjabin selbst. Sie war eines der am häufigsten gespielten Werke durch Skrjabin in seinen letzten Lebensjahren.
Der erste Takt ist neben der Tempobezeichnung „Moderato, quasi Andante“ mit „légendaire“ überschrieben. Die meisten der wichtigen Motive dieser Sonate finden sich bereits in den ersten Takten in sehr konzentrierter Form. Das erste Motiv besteht aus zweistimmigen, gleichrhythmischen Abwärtsbewegungen zunächst in der rechten, dann in der linken Hand. Es handelt sich um abwechselnde Terz- und Sext-Intervalle. Dabei fällt die obere Stimme chromatisch, während die untere Stimme im Zickzack verläuft. Die Sequenz des ersten Taktes wird im zweiten Takt um einen Tritonus nach unten geschoben. Der Anfang der Sonate basiert auf dem Klangzentrum f.
Nachdem die Sequenz wiederholt wurde, also nach vier Takten, tritt in der Mittelstimme eine aufsteigende Tonleiter in Erscheinung, bestehend aus den Tönen e-f-g-as-b-h-cis-d begleitet von einer abwärts gerichteten Figuration bestehend aus gebrochenen Sept- und Nonenakkorden und dem Anfangsmotiv in der rechten Hand. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei diesen acht Tönen um eine Rimski-Korsakow-Leiter (Halbton-Ganzton-Halbton…), die auch für diese Sonate wieder von Bedeutung ist.
Nach 4+3 =7 Takten kommt das nächste Motiv. Es ist ein düsteres, repetierendes Stacatto-Motiv, das wohl das Böse darstellen soll. Überschrieben ist es mit „mysterieusement murmuré“ (geheimnisvolles Geflüster/Gemurmel), die Stimme des Bösen. Die gesamte Sequenz wird abgewandelt wiederholt, bis ein flatterndes, flirrendes, auf- und absteigendes Trillermotiv einsetzt, das zum nächsten Abschnitt überleitet.
Solche flirrenden Motive sind gerade für die letzten drei Sonaten von Bedeutung, was ich bereits im Beitrag zu Vers la Flamme beschrieben habe. Das Seitenthema (von der Terminologie der Sonatenhauptsatzform ausgehend) bzw. das weibliche Thema wird in Takt 32 durch den Sekundschritt bereits angedeutet und entfaltet sich ab Takt 34. Überschrieben ist es mit „avec une langueur naissante“ (mit aufkeimender Sehnsucht).
Das Klangzentrum basiert nun auf as. Das Thema braucht relativ lang um sich zu entwickeln. Das Böse ist nun völlig ausgeblendet. Eine träumerische Atmosphäre entsteht. Im weiteren Verlauf der Sonate wird sich das noch ändern. Das erneute Trillermotiv ab Takt 59 bis 68 schließt den ersten Abschnitt ab, den man als Exposition bezeichnen kann. Von Takt 69 bis 154 werden die vorgestellten Themen nun im Sinne einer Durchführung weiterentwickelt, beginnend wieder mit dem Anfangsmotiv, ab Takt 87 dann wieder das Seitenthema, diesmal mit „pur, limpide“ (rein, klar) überschrieben. Ab Takt 93 wird das Motiv aber immer wieder vom dunklen Stacatto-Motiv unterwandert. Über Takt 95 schreibt Skrjabin sogar „perfide“ und kurz danach „avec une douceur de plus en plus caressante et empoisonnée“ (mit einem sanften Streicheln und zunehmend vergiftet). Skrjabin verbindet hier also das Sanfte mit dem Bösen, ähnlich wie er es bereits beim Poème satanique op.36 gemacht hat, bei dem ein „dolce“-Motiv vom Gelächter des Satans kontrapunktiert wird. Das Tempo wird weiter gesteigert, ab Takt 119 wird „Allegro“ vorgeschrieben, ab Takt 137 „Più vivo“. Der Satz verdichtet sich, ganz im Sinne der für den späten Skrjabin typischen, progressiven Entfaltung. Takt 155 sieht fast wie ein neues Thema aus, tatsächlich handelt es sich aber um das Anfangsthema, nur mit halbierten Notenwerten, forte und Allegro molto. Man kann diese Stelle als Beginn der Reprise, auch wenn „Reprise“ im klassischen Sinne wegen der Steigerung nicht mehr ganz zutreffend ist, ansehen. Ab Takt 179 setzt dann etwas Einzigartiges in Skrjabins späten Sonaten ein. Ein skurriler, düsterer, martialischer Marsch (Alla marcia) der aus dem Nachsatz des ursprünglich zarten Seitenthemas hervorgeht, begleitet vom stampfenden, glockenähnlichen Quartfall e-h. Dieser Marsch kann wohl zum Genialsten gezählt werden kann, was der späte Skrjabin hervorgebracht hat. Das Seitenthema nimmt hier Satanische Bosheit an und fegt wie ein unaufhaltsamer „Zug der Teufelsmächte“ über den Zuhörer hinweg.
Nach einer kurzen Unterbrechung durch das Trillermotiv schreitet der Marsch unaufhaltsam voran und steigert sich bis zur Ekstase, bis ins Presto, bevor alles wieder zusammenbricht und zum Schluss noch einmal fast unverändert das Anfangsmotiv erklingt, in dem die Sonate endet, so als wäre nichts geschehen.
Diese Sonate ist die mit Abstand am häufigsten gespielte Sonate des späten Skrjabins und die einzige der letzten Sonaten, die man ruhigen Gewissens zum Standardrepertoire zählen kann. Demzufolge liegen auch viele Einspielungen der Sonate vor. Allerdings kommt meiner Meinung nach keine an Horowitz heran. Bei ihm bekommt man wirklich Angst, wenn er das Böse marschieren lässt.
Viele Grüße!
„Wenn die 7. Sonate Dämonen exorziert, so holt die 9. Sie wieder zurück. Verwesung, Perversion und Diabolisches kehren wieder. Von den samtweichen Harmonien der 8. stechen diejenigen der 9. mit ihren dissonanten kleinen Nonenakkorden ab und ersetzen die toten, wohlklingenden Oktaven.“
Ja, wie Bowers richtig bemerkte, haben wir hier ein düsteres Werk vorliegen. Eine schwarze Messe und das so kurz nach Christi Himmelfahrt. Der Beiname „Schwarze Messe“ stammt dennoch nicht von Skrjabin, sondern von seinem Freund Alexej Podgajetski in Anlehnung an die Weiße Messe, Skrjabins 7. Sonate. Skrjabin hat den Beinamen gekannt und ihn nicht abgelehnt, denn tatsächlich wollte Skrjabin hier etwas Böses darstellen.
Entstanden ist sie zwischen 1912-13 zeitgleich mit der 8. und 10. Sonate, wurde aber vor der 8. Sonate fertiggestellt. Uraufgeführt wurde sie 1913 in Moskau durch Skrjabin selbst. Sie war eines der am häufigsten gespielten Werke durch Skrjabin in seinen letzten Lebensjahren.
Der erste Takt ist neben der Tempobezeichnung „Moderato, quasi Andante“ mit „légendaire“ überschrieben. Die meisten der wichtigen Motive dieser Sonate finden sich bereits in den ersten Takten in sehr konzentrierter Form. Das erste Motiv besteht aus zweistimmigen, gleichrhythmischen Abwärtsbewegungen zunächst in der rechten, dann in der linken Hand. Es handelt sich um abwechselnde Terz- und Sext-Intervalle. Dabei fällt die obere Stimme chromatisch, während die untere Stimme im Zickzack verläuft. Die Sequenz des ersten Taktes wird im zweiten Takt um einen Tritonus nach unten geschoben. Der Anfang der Sonate basiert auf dem Klangzentrum f.
Nachdem die Sequenz wiederholt wurde, also nach vier Takten, tritt in der Mittelstimme eine aufsteigende Tonleiter in Erscheinung, bestehend aus den Tönen e-f-g-as-b-h-cis-d begleitet von einer abwärts gerichteten Figuration bestehend aus gebrochenen Sept- und Nonenakkorden und dem Anfangsmotiv in der rechten Hand. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei diesen acht Tönen um eine Rimski-Korsakow-Leiter (Halbton-Ganzton-Halbton…), die auch für diese Sonate wieder von Bedeutung ist.
Nach 4+3 =7 Takten kommt das nächste Motiv. Es ist ein düsteres, repetierendes Stacatto-Motiv, das wohl das Böse darstellen soll. Überschrieben ist es mit „mysterieusement murmuré“ (geheimnisvolles Geflüster/Gemurmel), die Stimme des Bösen. Die gesamte Sequenz wird abgewandelt wiederholt, bis ein flatterndes, flirrendes, auf- und absteigendes Trillermotiv einsetzt, das zum nächsten Abschnitt überleitet.
Solche flirrenden Motive sind gerade für die letzten drei Sonaten von Bedeutung, was ich bereits im Beitrag zu Vers la Flamme beschrieben habe. Das Seitenthema (von der Terminologie der Sonatenhauptsatzform ausgehend) bzw. das weibliche Thema wird in Takt 32 durch den Sekundschritt bereits angedeutet und entfaltet sich ab Takt 34. Überschrieben ist es mit „avec une langueur naissante“ (mit aufkeimender Sehnsucht).
Das Klangzentrum basiert nun auf as. Das Thema braucht relativ lang um sich zu entwickeln. Das Böse ist nun völlig ausgeblendet. Eine träumerische Atmosphäre entsteht. Im weiteren Verlauf der Sonate wird sich das noch ändern. Das erneute Trillermotiv ab Takt 59 bis 68 schließt den ersten Abschnitt ab, den man als Exposition bezeichnen kann. Von Takt 69 bis 154 werden die vorgestellten Themen nun im Sinne einer Durchführung weiterentwickelt, beginnend wieder mit dem Anfangsmotiv, ab Takt 87 dann wieder das Seitenthema, diesmal mit „pur, limpide“ (rein, klar) überschrieben. Ab Takt 93 wird das Motiv aber immer wieder vom dunklen Stacatto-Motiv unterwandert. Über Takt 95 schreibt Skrjabin sogar „perfide“ und kurz danach „avec une douceur de plus en plus caressante et empoisonnée“ (mit einem sanften Streicheln und zunehmend vergiftet). Skrjabin verbindet hier also das Sanfte mit dem Bösen, ähnlich wie er es bereits beim Poème satanique op.36 gemacht hat, bei dem ein „dolce“-Motiv vom Gelächter des Satans kontrapunktiert wird. Das Tempo wird weiter gesteigert, ab Takt 119 wird „Allegro“ vorgeschrieben, ab Takt 137 „Più vivo“. Der Satz verdichtet sich, ganz im Sinne der für den späten Skrjabin typischen, progressiven Entfaltung. Takt 155 sieht fast wie ein neues Thema aus, tatsächlich handelt es sich aber um das Anfangsthema, nur mit halbierten Notenwerten, forte und Allegro molto. Man kann diese Stelle als Beginn der Reprise, auch wenn „Reprise“ im klassischen Sinne wegen der Steigerung nicht mehr ganz zutreffend ist, ansehen. Ab Takt 179 setzt dann etwas Einzigartiges in Skrjabins späten Sonaten ein. Ein skurriler, düsterer, martialischer Marsch (Alla marcia) der aus dem Nachsatz des ursprünglich zarten Seitenthemas hervorgeht, begleitet vom stampfenden, glockenähnlichen Quartfall e-h. Dieser Marsch kann wohl zum Genialsten gezählt werden kann, was der späte Skrjabin hervorgebracht hat. Das Seitenthema nimmt hier Satanische Bosheit an und fegt wie ein unaufhaltsamer „Zug der Teufelsmächte“ über den Zuhörer hinweg.
Nach einer kurzen Unterbrechung durch das Trillermotiv schreitet der Marsch unaufhaltsam voran und steigert sich bis zur Ekstase, bis ins Presto, bevor alles wieder zusammenbricht und zum Schluss noch einmal fast unverändert das Anfangsmotiv erklingt, in dem die Sonate endet, so als wäre nichts geschehen.
Diese Sonate ist die mit Abstand am häufigsten gespielte Sonate des späten Skrjabins und die einzige der letzten Sonaten, die man ruhigen Gewissens zum Standardrepertoire zählen kann. Demzufolge liegen auch viele Einspielungen der Sonate vor. Allerdings kommt meiner Meinung nach keine an Horowitz heran. Bei ihm bekommt man wirklich Angst, wenn er das Böse marschieren lässt.
Viele Grüße!