Die Sonaten von Alexander Skrjabin

der böse, stänkernde, diabolische und genuin fiese sowie sozialinkompetente, der diesen Beitrag gerade geschrieben hat :D:D
Äääh, und wer hat diese geballte Anhäufung von freundlichen Attributen eigentlich zusammengestellt? Bei verschiedenen Gelegenheiten haben sich in mehreren Fäden einige aggressionsgeladene Mitschreiber(innen) derart intensiv im Austeilen von "Komplimenten" geübt, dass inzwischen keiner mehr so richtig weiß, wer was wem wo mal an den Kopf geworfen hat, meint mit LG

der "bildungshubernde" Rheinkultur:D:D
 
dass inzwischen keiner mehr so richtig weiß, wer was wem wo mal an den Kopf geworfen hat,
deswegen reklamier ich ja die aufgezählten Epitheta für mich :D:D
...ja...was allerdings nichts mit Skrjabin zu tun hat -- also um mal wieder auf den zu kommen: so faszinierend und immergrün die 5. Sonate auch ist, da gibt es auch noch das hochvirtuose und ebenfalls sauschwierige Poeme Vers la Flamme, welches Horowitz geradezu himmlisch zu spielen vermochte (das findet sich unschwer auf YT) -- und es gibt, bis heute ebenfalls am klarsten und deutlichsten von Horowitz gespielt, die umwerfende 10. Sonate mit ihren aberwitzig klingenden Cluster-Tremoli. Und die klingt noch heller als die 5. Sonate!!

mal was ketzerisches, um zu würzen: ein F-Dur Akkord mit großer Septime ist heuer Allerweltskram - aber dem Skrjabin gelang es, diesen Allerweltsklang in seiner 10. Sonate derart zum leuchten zu bringen, dass er ganz anders klingt als gewohnt (was natürlich am nicht mehr so richtig tonalen Kontext liegt, d.h. es ist da eigentlich kein F-Dur Septimakkord) -- wie dem auch sei: die komplette Jazz-Harmonik ist blass im Vergleich mit dem, was der Skrjabin so anstellte!... und schlimmer gar: der free Jazz griff freudig die Skrjabinschen Anregungen auf... Osterhasenbein wird bestimmt mich schlimm stäupen... :D:D
 
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die Sofronitski Aufnahme ist zurecht berühmt - ich präferiere dennoch die spätere Horowitz Aufnahme
 
deswegen reklamier ich ja die aufgezählten Epitheta für mich :D:D

herrlich selbstironisch...! :D bei mir kommt auch eine niedliche Sammlung zusammen: ich weiß nichts, ich kann nichts, und ich raffe grundsätzlich rein gar nichts (wurde mir von einem gewissen, allseits hochbeliebten, Jazzlehrer, der immer mit einem Arzneipaketchen unter dem Arm herumrennt, attestiert :D)

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Bzgl. der Sonaten: bin ich noch am Reinhören. Allerdings muß man sich schon manchmal

mit dem aufnahmetechnisch unbefriedigenden Klangbild abfinden

Schöne Grüße!
 
Viele Vertreter der Spätromantik und der frühen Moderne werden gerne dem musikalischen Expressionismus zugeordnet (Schönberg, Webern, Richard Strauss, Berg, Bartók...)
und unter anderem wird eben auch Skrjabin gerne als Beispiel dafür angeführt. Ich würde das nicht unbedingt ablehnen. Warum würdest du denn zum Beispiel Skrjabins 5. Sonate nicht dem Expressionismus zuordnen?

Weil mir das Eis zu dünn ist, auf dem ich gerade stehe. Das Bild paßt zu meinem Wohnort, an dem gerade wieder Flüsse und Seen zufrieren. Ich halte nichts davon, mit Bildungsgut und diversen "-ismen" um mich zu schmeißen. Das Eis könnte brechen. Als expressionistisch wird eine bestimmte Stilrichtung in der deutschsprachigen Literatur und Malerei bezeichnet. Ist nicht schon die Übertragung dieses Begriffs auf die Musik sehr unpräzise? Wer wird dazugerechnet? Die Musik der Neuen Wiener Schule, die "Elektra" (ein singuläres Werk), der frühe Bartok, der frühe Hindemith? Was kennzeichnet expressionistische Werke? Aufruhr des Trieblebens, Vater-Sohn-Konflikt, Absolutsetzung des Ichs gegenüber der Gesellschaft? Was kennzeichnet expressionistische Musik? Unmittelbarkeit der Gefühlskundgabe, die (fast) alle Form- und Ausdruckskonventionen überrennt? Unter diesem Aspekt wäre die "schwarze Messe" Skriabins größte Annäherung an den Expressionismus (Aufruhr der Triebe).
 
Als expressionistisch wird eine bestimmte Stilrichtung in der deutschsprachigen Literatur und Malerei bezeichnet. Ist nicht schon die Übertragung dieses Begriffs auf die Musik sehr unpräzise?

Ist das nicht einfach eine Frage der Definition? Wenn ich die Merkmale (nach Will Hofmann) Irritation, Reduktion, Abstraktion und vor allem Expression des Tonraumes dafür ansetze...

Aber egal. Auch Schönberg konnte mit dem Begriff in der Musik nichts anfangen und wenn man mit diesem Begriff in der Musik nichts anfangen kann, wird man logischerweise auch Skrjabin nicht dazuzählen. Es stimmt schon, dass es kein sonderlich präziser Begriff ist und sehr weit ausgedehnt werden kann. Ich finde Expressionismus dennoch nicht ganz unpassend und den von Rolf angesprochenen russischen Symbolismus sogar noch passender. Das nächste Gewässer (die Donau friert eh nicht so schnell zu :D) ist bei mir ca. 1000m entfernt und wir haben Plusgrade. :)

Viele Grüße!
 
Weil mir das Eis zu dünn ist, auf dem ich gerade stehe. Das Bild paßt zu meinem Wohnort, an dem gerade wieder Flüsse und Seen zufrieren. Ich halte nichts davon, mit Bildungsgut und diversen "-ismen" um mich zu schmeißen. Das Eis könnte brechen. Als expressionistisch wird eine bestimmte Stilrichtung in der deutschsprachigen Literatur und Malerei bezeichnet. Ist nicht schon die Übertragung dieses Begriffs auf die Musik sehr unpräzise? Wer wird dazugerechnet? [...]

Wie ich weiter oben schon sagte, wird eine Diskussion, die fragt, "ist x im/-pressionistisch?", zu nichts führen, wenn wir nicht zwei grundlegende Dinge voraussetzen: (1) die in Rede stehenden Begriffe sind metaphorische Übertragungen aus der bildenden Kunst und damit eo ipso »unscharf«. (2) Wie Rheinkultur schon sagte, werden derlei Begriffe gebildet, damit das Kontinuum der Phänomene strukturiert und damit kognitiv verarbeitbar wird. Zu erwarten, daß die Eigenschaften, die man mit einem Begriff X assoziiert, sich an einem Phänomen, das man unter diesen Begriff subsumieren möchte, alle auffinden lassen, ist ein methodischer Irrweg. Wie die Prototypensemantik in der Linguistik seit langem gezeigt hat, ist es aussichtsreicher, Eigenschaften eines - möglicherweise sogar nur idealisierten - Prototyps zu definieren, und dann zu fragen, zu welchem Grad das untersuchte Phänomen an den Eigenschaften des Prototyps partizipiert. Das schließt eben nicht aus, daß es auch an Eigenschaften anderer Prototypen partizipiert.

Simples grammtisches Beispiel:

Dort stehen die Bücher Xenophons, die ihr aufmerksam studieren sollt.

"die..." ist augenscheinlich ein Relativsatz. Mit dem Prototyp hat der hier aber nur gemeinsam (a) die Subordination, (b) die anaphorische Relation zu einem Nominal, nicht aber (c) die begriffseinschränkende Funktion ("Bücher Xenophons" ist bereits maximal determiniert), und nicht (d) die "illokutive" Abhängigkeit vom Hauptsatz, denn jener ist ein Aussagesatz, der Relativsatz aber ist ein Begehrsatz. Offenbar steht das Ding halbwegs zwischen Relativ- und Hauptsatz. Wir können ihm natürlich einen eigenen Begriff verpassen - appositiver Relativsatz -, das ändert aber nix daran, das es / er ein "Bastard" ist.

Also, wenn das hier weiterführen soll, muß bestimmt werden, inwiefern S. am Im-/Expressionismus, an der Romantik, an ... partizipiert, und wie diese (Nicht-)Partizipation motiviert sein könnte.

Bitte, die Herrn und Damen Bildungshuber respektive Bildungshuberinnen, hier wartet ihr gehorsamster Schüler.

Grüße,

Friedrich
 
Ist nicht schon die Übertragung dieses Begriffs auf die Musik sehr unpräzise?
ob sich restlos alle Namen für mehr oder weniger langlebige Stilepochen stets un immer auf eine einzige Kunstform beziehen müssen? Gibt es trotz oder wegen der Malerei keine "expressionistische Literatur"? ...oder gar die Romantik: kunst-, literatur-, musik-, architekturhistor. eine solche Epoche.
Ich sehe jetzt kein ganz so arges Problem darin, auch für die Musik "Expressionismus" zu verwenden.
Und will man ins Detail wegen der Begriffe und ihrer Verwendung, dann ist hilfreich, was sla019 zu bedenken gab.
 
Also, wenn das hier weiterführen soll, muß bestimmt werden, inwiefern S. am Im-/Expressionismus, an der Romantik, an ... partizipiert, und wie diese (Nicht-)Partizipation motiviert sein könnte.
zunächst ganz oberflächlich:
- anfangs orientierte sich der junge S. an Chopin (in seinen ersten Kompositionen)
- bald darauf erweiterte er seine Orientierung infolge Klavierstudium um Liszt (Etüden op.8 )
- und immer weiter wurde der Horizont des jungen Komponisten, sodass die Harmonik von Wagner hinzukam
das lässt sich ohne große Gedankenmühen als recht typisch spätromantisch bezeichnen, damit macht man nichts falsch

allerdings geht es weiter mit S., der zunehmend weniger Interesse an Überchromatik hatte, und peu a peu sein eigenes harmonisches System erarbeitet - zu den Anlässen hierzu zählte für ihn u.a. der Kontakt zu symbolistischen Literaten etc. Zu dieser Anregung / Orientierung gesellten sich esoterische theosophisch-messianische "Überlegungen" (die sich teilweise recht komisch lesen, gottlob aber eigentlich nicht in der Klangsprache von S. zu finden sind)

tja, S. sah sich selber im Umfeld des russ. Symbolismus - da seine späte Klangsprache allerdings einerseits nicht mehr tonal, andererseits aber recht bewußt strukturiert war, wurde er von außen als zeitweilig dem musikalischen Expressionsimus nahestehend aufgefasst -- Prokovev beispielsweise hielt S. allerdings nicht für einen Expressionisten.

Ob solche rezeptionsgeschichtlichen Einordnungsversuche jetzt sehr hilfreich waren oder sind, steht vermutlich auf einem anderen Blatt.
 
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Also, wenn das hier weiterführen soll, muß bestimmt werden, inwiefern S. am Im-/Expressionismus, an der Romantik, an ... partizipiert, und wie diese (Nicht-)Partizipation motiviert sein könnte.

Dann also "Fakten" (H.Markwort). Skriabin kannte die drei Klavierstücke op.11 (1909) von Arnold Schönberg, und sie mißfielen ihm, von ein paar "glücklichen Wendungen" abgesehen, deren Vorhandensein er gleich wieder relativierte: "kein Wunder: wenn man die ganze Zeit jeden Quatsch schreibt, dann ist es zufällig immer möglich, auch etwas Besseres zu schreiben". Wer Schönberg zu Kontinuumsstrukturierungszwecken in die Expressionismusschublade stopfen will, könnte aus Skriabins Votum die Ablehnung der expressionistischen Ästhetik herauslesen. Aber Skriabins Werturteile sind nicht beweiskräftig. Seine Egomanie hat ihn alles verdammen lassen, was neben ihm Rang und Namen hatte. Auch Debussy, Ravel, Strawinsky und der junge Prokofjew fanden keine Gnade vor seinen Ohren.

Dann bleibt nur der Blick in sein Werk: Der weitgehende Verzicht auf die funktionelle Harmonik im Spätwerk und die Konstruktivität der letzten Sonaten und Klavierstücke (vom "Prometheus" mal ganz zu schweigen) finden in der Musik jener Zeit nur bei Schönberg, Webern und Berg ihre Entsprechung. Schönberg hat Skriabins Musik im Wiener "Verein für musikalische Privataufführungen" aufführen lassen. Es bliebt aber ein Unterschied in der Ästhetik, der am Notenbild demonstriert werden könnte. Die Unmittelbarkeit der Gefühlskundgabe, die in der Wiener Schule (fast) alle Form- und Ausdruckskonventionen überrennt (z.B. in Schönbergs "Erwartung", Bergs 3 Orchesterstücken op.6, Weberns 6 Orchesterstücken), größte emotionale Kontraste auf engstem Raum bündelt, Musik in musikalische Prosa verwandelt, all das fehlt bei Skriabin (womit kein Werturteil ausgesprochen werden soll). Skriabin bleibt dem Ideal einer gebundenen, poèmeartigen Sprache treu, und er liebt formale Symmetrien, wörtliche Wiederholungen.

Vom sogenannten Impressionismus (ich würde ja sagen: von der frühen Moderne in Frankreich) unterscheidet sich Skriabin durch die Abstraktheit seiner Stücke, die weder Genrebilder malen noch durch ihre Titel poetische Assoziationen erzeugen (à la Barke auf dem Ozean, Tänzerinnen aus Delphi etc.), sondern als absolute Musik gehört werden sollen; die Stücke heißen Sonate, Poème, Prélude, Etude, Valse. Programmatische Titel sind bei ihm selten (Poème satanique; schwarze Messe, die am ehesten programm-musikalisch wirkt). Auch seine Symphonien, die bis auf die zweite allesamt programmatische Titel tragen, haben nur das übliche "per aspera ad astra"-Programm, wenn man davon absieht, daß die beiden letzten Symphonien schon mit "astra" beginnen. Man tut Skriabin nicht Unrecht, wenn man ihn als Weltanschauungssymphoniker bezeichnet. Da ergäbe sich eine Querbeziehung zur deutsch-österreichischen Musik ("Zarathustra", "Alpensymphonie"). Kann man von Skriabin nicht einfach sagen, dass er als Komponist schon zur frühen Moderne gehört, aber seine Ästhetik noch in der Spätromantik wurzelt?
 
Kann man von Skriabin nicht einfach sagen, dass er als Komponist schon zur frühen Moderne gehört, aber seine Ästhetik noch in der Spätromantik wurzelt?

Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass es hier eben verschiedene Sichtweisen gibt. Expressionismus ist ein sehr weit gedehnter Begriff, der eher schwammig und teilweise auch unterschiedlich formuliert ist und daher häufig in der Fachwelt bewusst vermieden wird. Folgt man der Definition von z.B. Will Hofmann, so kann man Skrjabin dennoch dort einordnen. Am ehesten ist der russische Symbolismus zutreffend, Skrjabin sah sich auch selbst dort und die Ideologie passt auf ihn. Kann man diesen Begriffen allen nichts abgewinnen, so belässt man es eben bei der Spätromantik bzw. frühen Moderne. Ich kann allen Seiten etwas abgewinnen und möchte diesen schönen Prolog langsam beenden. Ich möchte nämlich zu etwas anderem kommen, nämlich der…
 
Sonate Nr.1 op.6 in f-moll

übrigens bei seiner Pianistenprüfung, die er mit Goldmedaille abschloß, spielte er u.a. Liszts Don Juan Reminiszenzen

Hier haben wir gleich das erste Stichwort, um zu Skrjabins erster Sonate überzuleiten. Diese Sonate komponierte Skrjabin im Sommer 1892 also in jenem Jahr, als er die kleine Goldmedaille (die große gewann Rachmaninoff) gewann. Wie Rolf schon angemerkt hat, lernte er für die Prüfung einige Brocken, wie die Don Juan Reminiszenzen und Islamey. Diese beiden Stücke übte er wie ein Besessener, was letztendlich zu einer Verletzung der rechten Hand (wahrscheinlich eine Sehnenscheidenentzündung) führte. Skrjabin befürchtete, nie wieder seine rechte Hand für das Klavierspiel nutzen zu können und die Ärzte bestärkten ihn in seinen Befürchtungen. Somit drohte das Ende, seiner vielversprechenden Pianisten-Karriere.

Als Verarbeitung dieser misslichen Lage, schrieb Skrjabin die erste Klaviersonate, die er als gültig anerkannte. 1906 schrieb er als Notiz: „Grollen gegen das Schicksal und gegen Gott. Komposition der Ersten Sonate mit Trauermarsch.“

Skrjabin wählt als Form eine viersätzige Sonate mit Scherzo an dritter Stelle. Auch bei dieser Sonate setzte sich Skrjabin mit der „Krise der Sonatenform“ auseinander und diesmal beschloss er, einen anderen Lösungsweg zu gehen, nämlich den des „Basismotivs“, wie es einige Romantiker vor ihm ähnlich getan haben (siehe Beitrag 1). Diese motivische Keimzelle, ist die Tonfolge f-g-as, die das Ausgangsmaterial für den ersten, dritten und vierten Satz bildet. Nur im zweiten Satz ist sie nicht enthalten, dafür erscheint die analoge Tonfolge g-a-b, die im Rhythmus bereits den Trauermarsch andeutet.

Hier ein paar Beispiele aus den vier Sätzen:

Basismotiv f_g_as.JPG

Ein anderer Grund für die Verwendung dieses Basiselementes in dieser Form, ist programmatischer Natur. Skrjabin bereitet das Finale in Form des Trauermarsches auf diese Weise bereits vor und lässt den Rest der Sonate auf dieses Finale vordeuten und hinarbeiten.

Zu den einzelnen Sätzen: Der erste Satz „Allegro con fuoco“ beginnt gleich dunkel und stürmisch im Forte, wechselt aber schon bald in Piano mit einer schnellen 16tel-Passage. Mit der Bezeichnung „Meno mosso“ geht es in das beruhigte Seitenthema in As-dur in dem sich die Sonate zu einem fast pathetischen Charakter aufschwingt. Der erste Teil des Satzes soll eigentlich wiederholt werden, diese Wiederholung wird aber nicht immer gespielt (Ashkenazy z.B. spielt sie nicht). In der anschließenden Durchführung werden beide Themen virtuos und vollgriffig verarbeitet. Am Ende geschieht etwas interessantes, denn statt das Thema des zweiten Satzes als Überleitung anzudeuten, ertönt zum ersten Mal bereits das Thema des vierten Satzes, in böser Vorahnung.

Ende erster Satz.JPG

Der Adagio-Satz in c-moll schreitet in schwermütigen, vollgriffigen Akkorden voran. Im Marcato wird schließlich wie bereits erwähnt der Trauermarsch angedeutet. Die linke Hand wechselt in eine 16tel-Bewegung und in einem „molto ritardando“ kommt der Satz schließlich zum Ende.

Es folgt ein Scherzo in Form eines Rondos und dieses Scherzo hat es manuell in sich. Die schnellen Staccato-Oktaven in der linken Hand, später auch in größeren Sprüngen, sorgen für eine aggressive Grundstimmung. Viele Ruhepunkte bringt der Satz nicht mit sich, der Pianist hat einiges an Sprüngen, weiten Akkordgriffen und Oktaven in hohem Tempo (Presto) zu bewältigen. Am Ende des Satzes wird noch einmal das Seitenthema des ersten Satzes zitiert, dann folgt das Finale in Form eines Trauermarsches. Der gesamte Satz ist düster gehalten. Endlich darf die vorbereitete Tonfolge f-g-as als Hauptmotiv erklingen. Nachdem sich der Satz zum Forte aufgeschaukelt und wieder beruhigt hat, folgt eine sehr interessante Passage. „Quasi niente“ schreibt Skrjabin als ungewöhnliche Vortragsbezeichnung vor. Die Passage ist im pppp und vollen Akkorden gehalten, die nach der Vortragsbezeichnung fast nicht zu hören sein dürfen. Nur kurz wird die Stimmung durch einen Takt im Forte durchbrochen, versinkt aber sofort wieder in der Stille. Letztlich wird wieder das Hauptthema des Satzes aufgenommen und bringt den Satz und damit die Sonate zum Ende.

Skrjabin selbst spielte die Sonate nur ein einziges Mal komplett im Konzert, den Trauermarsch allein jedoch öfter. Harmonisch bleibt er im Rahmen der Spätromantik. Trotz des vollgriffigen Akkord-Satzes, wirkt der Satz nicht überladen, wie bei einigen seiner Zeitgenossen. Teilweise sind schon seine typischen Polyrhythmen wie 3/2, 4/3, vereinzelt sogar 3/7 (im zweiten Satz) oder 5/2 zu finden, wirklich auffällig ist der Rhythmus aber noch nicht.

Zum Schwierigkeitsgrad hat Rolf schon alles gesagt. Der Trauermarsch bietet nur gestalterische Schwierigkeiten, der zweite Satz ist etwas schwieriger und der erste und dritte Satz haben es ziemlich in sich. Wolters vergibt keine einzelnen Schwierigkeitsgrade für diese Sonaten, er erwähnt nur, dass alle 10 Sonaten im Bereich 14 und 15 (von 15) liegen. Ist mir irgendwie unverständlich, warum diese Sonaten bei ihm nur in einem kleinen Absatz nebenbei gewürdigt werden, aber das nur am Rande.

Alles in allem hat Skrjabin hier bereits eine beachtliche Sonate als offizielles Erstlingswerk vorgelegt. Der Einfall mit der motivischen Keimzelle und der Umgang mit der selbigen ist originell und letztendlich ein weiterer Schritt in Richtung Einsätzigkeit. Den einzigen Kritikpunkt, den ich persönlich habe, sind die pathetischen Momente im ersten Satz. Auf mich wirken diese irgendwie künstlich aufgesetzt, das macht er in der ähnlich angelegten dritten Sonate für meinen Geschmack deutlich besser. Skrjabins rechte Hand hat sich übrigens wieder vollständig erholt und die Pianisten-Karriere konnte weitergehen.

Wenn Rolf sie schon empfiehlt, dann hören wir uns auch die tolle Aufnahme von Lazar Berman an.

Lazar Berman: Skrjabin - Sonate Nr.1 op.6 in f-moll

Hier sind die Noten.

Kommentare, Ergänzungen und Korrekturen sind herzlich willkommen!

Viele Grüße!
 
die Stücke heißen Sonate, Poème, Prélude, Etude, Valse. Programmatische Titel sind bei ihm selten (Poème satanique; schwarze Messe, die am ehesten programm-musikalisch wirkt).
...manchmal heißen die Poemes aber auch Flammes sombres, Fragilite, Etrangete, Vers la Flamme, Caress dansee usw - zu schweigen von den (zumeist franz.) sehr ungewöhnlichen Spielanweisungen (hier u.v.a in der 9. Sonate typisch) -- also bloße Gattungsbezeichnungen wie bei Chopin wählte der mittlere und späte Skrjabin nun wirklich nicht immer ;)

Kann man von Skriabin nicht einfach sagen, dass er als Komponist schon zur frühen Moderne gehört, aber seine Ästhetik noch in der Spätromantik wurzelt?
das wäre die einfachste Formel :)
...wenn sie neutral gemeint ist. Wenn "noch in der Spätromantik wurzelnd" allerdings ein Gegensatz zur Frühmoderne sein soll, dann wirkte diese Formel wertend a la S. macht ja schon dolle Sachen, aber so ganz echt frühmodern ist er nicht - und das, wenn es intendiert sein sollte, halte ich für nicht zutreffend
 
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Troubadix,
deine Beschreibung der ersten Sonate ist klasse!


Den einzigen Kritikpunkt, den ich persönlich habe, sind die pathetischen Momente im ersten Satz. Auf mich wirken diese irgendwie künstlich aufgesetzt, das macht er in der ähnlich angelegten dritten Sonate für meinen Geschmack deutlich besser.
stilistisch ist das russ. Spätromantik, wir finden das bei Rachmaninov, Rimski-Korsakov, Medtner, ja sogar schon bei Tschaikowski - könnte es sein, dass es dir manchmal ähnlich geht beim hören von diesen? Ich kann dazu nur sagen, dass mir zwar die meisten einzelnen Preludes und Etudes von Rachmaninov und Skrjabin sehr gefallen, aber wenn ich 10 oder 20 Stück davon in Folge hören oder spielen muss, dann stellt sich bei mit Überdruß ein - es ist dann einfach zu viel von dieser Sauce :) (merkwürdig: 24 Prelude von Chopin wirken nicht so ermüdend wie 24 von Skrjabin) - ja klar, liegt an mir.
die von dir genannten pathetisch-kämpferischen Abschnitte im ersten Satz: gottlob findet er ja immer zu einem hellen (marschmäßig rhythmisierten) Dur-Grandioso, das übrigens furchtbar weitgriffig ist (z.B. am Ende der Exposition) und das doch effektvoll für die Mühen davor belohnt. Aber da hab ich was angesprochen, was sich auch im herrlichen fis-Moll Konzert als äusserst lästig erweist: es ist nicht nur ohnehin enorm schwierig, es ist obendrein arg weitgriffig.

Skrjabins rechte Hand hat sich übrigens wieder vollständig erholt und die Pianisten-Karriere konnte weitergehen.
für Skrjabin, dessen Zeit ohne rechte Hand wir Prelude und Nocturne fürdie linke Hand allein verdanken, blieb danach aber typischerweise, dass die linke Hand in seinem Klavierwerk sehr gefordert wird - ein weiterer Umstand, der diese Sachen halt technisch anspruchsvoll macht :)
 
könnte es sein, dass es dir manchmal ähnlich geht beim hören von diesen?

Gelegentlich, aber nicht sehr häufig. Ich liebe zum Beispiel den Geist der russischen Folklore. Auch bei Skrjabins Prelude op.13 Nr.1 habe ich kein Problem mit der majestätischen Haltung, ganz im Gegenteil sogar, weil ich diese Haltung dort auch glaube, auch in seinem Klavierkonzert... Diese pathetischen Momente im ersten Satz von op.6 wirken aber auf mich einfach nicht echt. Für mich klingt es, als hätte Skrjabin lediglich nach einem starken Kontrast zum restlichen, doch recht düsteren Satz gesucht. In seiner dritten Sonate stellt er diese Kontraste, sowohl im ersten, als auch im vierten Satz absolut herzzerreißend und sehr viel raffinierter her. Das ist natürlich meine rein subjektive Meinung, die ich schwer mit Fakten untermauern kann. Sie soll dieses schöne Werk auch nicht wirklich schmälern.

Viele Grüße!
 
Eine Frage… Beim Rumstümpern in der ersten Sonate bin ich auf die markierten Akkorde im dritten Satz gestoßen. Kann die jemand wie notiert spielen? Den ersten kann ich knapp noch greifen, aber der zweite ist für mich absolut unmöglich und dann soll das auch noch presto gespielt werden...

ufff.JPG
 
Hi Troubadix !

Ich sehe da kein "non arp." :D

Ligeti und Skriabin konnten sich aber anscheinend die HAND - oder besser gesagt: die PRANKE reichen ;) .

LG, Olli !
 
Sonate Nr.2: Sonate Fantaisie op. 19 in gis-Moll

Sonate Fantaisie? Zwei Sätze, einer langsam und einer schnell? Gis-Moll? All das kommt doch sehr bekannt vor. Orientierte sich Skrjabin bei seiner ersten Sonate noch an seiner Jugendsonate in es-Moll, so scheint er hier eine Neuauflage seiner Jugendsonate in gis-Moll geplant zu haben. Zumindest thematisch gibt es keine Gemeinsamkeiten, die Problemlösungsstrategie für die Krise der Sonatenform ist aber dieselbe. Auch gibt es klare strukturelle Unterschiede. Bestand die Jugendsonate noch aus einer klaren, dreiteiligen Liedform mit anschließendem Sonatensatz, so gibt es bei op.19 keine zwei wirklich kontrastierenden Themen, wie es die Sonatenform fordern würde und daher auch keine Durchführung im klassischen Sinne. Möchte man die Sonate dennoch ins klassische Schema bringen, so haben Reprise und Exposition einen unverhältnismäßig großen Umfang, im Vergleich zur Durchführung, die ja bis dahin das Herzstück eines Sonatensatzes war. Der Beginn der Sonate erscheint wie eine Frage, die in der Sonate mehrfach gestellt wird, aber zunächst ohne Antwort bleibt. Beendet wird diese Frage durch ein Klopfmotiv (was Skrjabin mit bestimmten Motiven so alles anstellt, werden wir noch in der fünften Sonate sehen), bestehend aus drei Triolenachteln, das des Öfteren wiederholt wird. Dieses Klopfmotiv wirkt wie ein drängender Aufruf, so als wenn um Antwort gebeten wird und kommt in einigen Skrjabin-Werken ähnlich vor.

Frage und Klopfmotiv.JPG

In den folgenden Takten schaukelt sich das Geschehen immer wieder auf und fällt plötzlich ins piano zurück. Diese plötzlichen Dynamikschwankungen sind typisch für Skrjabin und werden auch weiterhin fester Bestandteil seiner Kompositionen sein. Typisch sind auch die Oktaven im Bass, die das Thema sogar an sich reißen können.

Dazu muss ich etwas ausholen. Skrjabins Verleger, Mitrofan Beljajew, war so etwas wie eine Vaterfigur für ihn geworden. Dieser hatte zum Ziel, Skrjabin zunächst als reinen Klavierkomponisten berühmt zu machen und unterdrückte jeden Wunsch Skrjabins, sich dem Orchester zuzuwenden, er verspottete ihn später sogar für dessen erste Sinfonie. Skrjabin war das nicht gerade recht, auch wenn er den Aufstand noch nicht wagte, zumindest nicht für jeden offensichtlich. Beljajew forderte zum Beispiel nach den 24 Preludes op.11 noch einen weiteren Zyklus aus Preludes, der den gesamten Quintenzirkel abdeckt (also insgesamt mit op.11 2x24 Stücke angelehnt an Bachs WTK) und setzte Skrjabin deswegen ziemlich unter Druck. Dieser schrieb bis 1896 nach op.11 genau 23 Preludes, also eins zu wenig. Auch die Abfolge des Quintenzirkels hält er bereits ab op.15 nicht mehr ein. Das war wohl seine Art des Protestes. Bereits in seinem Konzert-Allegro op.18 ist deutlich die Absicht zu erkennen, das Orchester auf einem Klavier darzustellen. Skrjabin erreicht das, durch Klangschichten in unterschiedlichen Höhenlagen. Das ist mit ein Grund dafür, warum es bei ihm sehr häufig Vorschläge gibt, damit er eben mit zwei Händen die Schichten möglichst breit über die Klaviatur verteilen kann. Hier mal ein Beispiel aus op.18 für Klangschichten.

Klangschichten op.18.JPG

Auch diese Technik wird Skrjabin noch sehr viel weiter entwickeln und bis an die Grenzen des Spielbaren steigern, aber dazu später mehr (wer ungeduldig ist, kann sich mal das Prelude op.27 Nr.1 oder die Fantasie op.28 ansehen). Als Vorbilder würde ich mal Schumann und Liszt vermuten. In Schumanns Symphonischen Etüden z.B. nutzt er ähnliche Klangschichtungen, um orchestrale Effekte zu erzeugen. Auch dazu ein Beispiel.

Klangschichten Symphonische Etüden.JPG

Auch im op.19 finden sich solche Klangschichten, wenn auch noch nicht sehr ausgeprägt. Die Oktaven im Bass sind ein weiteres Element, um orchestrale Effekte zu erzeugen. Ab Takt 12 kommt etwas weiteres, sehr typisches für Skrjabin, das er auch weiterhin beibehalten wird: Die Verrückung zwischen Begleitfiguren und Takt, so dass die Begleitfigur den Takt überlappt. Dadurch verschiebt sich auch die Begleitung zur Melodie. Chopin hat das auch schon gelegentlich gemacht, Skrjabin war aber ein großer Fan davon und brachte die Technik recht häufig zum Einsatz, oft auch kombiniert mit Polyrhythmik.

Verschiebung von Begleitfigur zum Takt.JPG

In diesem relativ frühen Stück finden sich also schon viele Sachen, die Skrjabin sein ganzes Leben lang beibehalten wird. Es folgt eine ruhige, ornamentale Übergangs-Passage in H-Dur. Ab Takt 46 kann man von einem Seitenthema reden, das in mittlere Lage gelegt ist und von Ornamenten umringt ist. Man kann dieses Thema also als Synthesethema bezeichnen. In Takt 58 beginnt so etwas wie eine Durchführung, die nur ca. 30 Takte (bis Takt 86 um genau zu sein) andauert und eher als dramatischer Kontrast und nicht als Themenverarbeitung dient. Das Seitenthema kommt gar nicht vor. Die Durchführung steigert sich zum Fortissimo. Den Kopf der Reprise bildet das verkürzte Anfangsmotiv, diesmal fortissimo und dadurch mit völlig anderem Ausdruck. Der Rest des ersten Satzes steht in E-dur (Subdominante der Tonikaparallele), sonst passiert nichts Aufregendes mehr. Der erste Satz endet mit dem Klopfmotiv pianissimo.

Ganz anders präsentiert sich der zweite Satz. Im Presto mit Triolen in der rechten und Oktaven in der linken Hand stellt sich zu Beginn fast ein etüdenhafter Charakter ein. Thematisch sind beide Sätze eng miteinander verwoben, wegen der sehr unterschiedlichen Charaktere wird man das aber ohne genaueres Hinsehen kaum bemerken. Wer Lust hat, kann ja mal ohne hier gleich weiterzulesen versuchen, das Klopfmotiv im zweiten Satz zu finden oder sogar rauszuhören. Ich warte so lange…












Gefunden? :) Man findet es in Takt 19 und Takt 23 im Bass angedeutet und wie ein Echo an den ersten Satz wirkend.

Klopfmotiv im zweiten Satz.JPG

In der Überleitung zum Seitenthema des zweiten Satzes in es-Moll, verbirgt sich ein Anklang an den Überleitungsgedanken in H-dur des ersten Satzes (Takt 12 bis 45 im ersten Satz). Sehr interessant ist, was Skrjabin in diesem Seitenthema des zweiten Satzes anstellt. Den Zielton b2 (als Quinte zum Grundton es) vermeidet er in der Melodie konsequent. Diesen erreicht er erst in der Reprise (Takt 99), diesmal als dis3 (also als Quinte zum dortigen Grundton gis) zum ersten Mal als Spitzenton des Themas. Ich kann nur jedem empfehlen, mal anhand der Noten zu versuchen, das nachzuvollziehen und genau hinzuhören, wie sich das auswirkt. So was kann tatsächlich spannend sein. ;) Der gesamte zweite Satz ist fließend und im Charakter recht unterschiedlich im Vergleich zum ersten Satz. Erstaunlich ist die thematische Verflechtung der beiden Sätze, obwohl der erste Satz 1892 und der zweite 1897 geschrieben wurde. Beide Male befand sich Skrjabin in der Nähe des Meeres. So legte Skrjabin dem Stück auch ein kleines Programm zugrunde, das das Meer behandelt. Der erste Satz soll die abendliche Ruhe an einer Meeresküste darstellen, der E-Dur-Abschnitt stellt dabei den Mondschein in der frühen Dunkelheit dar. Interessant ist, dass auf Skrjabins später entworfenem Farbenklavier tatsächlich der Ton E zu blau-weißlich, mondfarben passt. Der zweite Satz dagegen mit seiner strickten Periodenstruktur (jeweils 4+4 Takte) und seinen wellenförmigen Figuren stellt das stürmisch bewegte Meer dar. Wassermusik? Tatsächlich wird diese Sonate gelegentlich mit dem Impressionismus in Verbindung gebracht. Ob gerechtfertigt oder nicht sei mal dahingestellt.

Auch diese Sonate gehörte nicht unbedingt zu Skrjabins größten Lieblingen (im Gegensatz zu den beiden folgenden sowie der siebenten und der neunten Sonate), dennoch erfreut sie sich einer gewissen Beliebtheit. Yuja Wang hatte sie kürzlich im Programm, Evgeny Kissin wird sie in der nächsten Saison spielen.

Hier sind die Noten.

Und hier meine Lieblingseinspielung.

Ashkenazy_ Skrjabin Sonate Fantaisie op.19 in gis-Moll 1.Satz; 2.Satz

Viele Grüße!
 
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