Guten Abend!
So schlecht bin ich ja gar nicht, daß ich jemandem seine Glücksgefühle
beim Anhören irgendeines romantischen Virtuosenkonzerts mißgönne -
gespielt von der gerade am dransten seienden pianistischen Neuentdeckung.
Aber ein paar Fragen muß ich doch loswerden.
Liegt dem prinzipiellen Mißtrauen, das den Selektionsverfahren in den Wettbewerben (Chopin, Rubinstein)
begegnet, nicht die Erfahrung zugrunde, daß der Handlungsspielraum der Juroren objektiv immer kleiner wird,
auch wenn sie nicht ihre Privatschüler durchzuboxen versuchen?
Eine irrwitzige Verwertungskette klirrt allen Beteiligten an den Fußgelenken, bei jedem Schritt, den sie tun,
vorab schon mal durch die Verpflichtung zur massentauglichen Repertoireauswahl.
Jedenfalls erinnern mich die obligatorischen "Skandal!"-Rufe an die Protestchöre
vor den Ruinen des Stuttgarter Hauptbahnhofs: in beiden Fällen Reaktionen der Ausgesperrten
auf das eigennützig wirkende Verhalten der in ihrer Festung Eingemauerten.
Zum Thema Massentauglichkeit der Stückauswahl: Fällt denn niemandem auf,
was für museale Veranstaltungen diese Wettbewerbe sind? Es werden jahrauf, jahrab
dieselben, über hundert Jahre alten Klavierkonzerte gespielt. Chopin oder Rubinstein
würden nicht nur in den nach ihnen benannten Wettbewerben durchfallen,
weil sie ihre Musik in einer Form spielten, die den Juroren mißfiele,
sie würden sich überhaupt weigern, ihr eigenes altes Zeugs zu spielen.
Das mindeste wäre, der Phalanx anrückender Wettbewerbsteilnehmer
mal als Pflichtstück Werke wie das Klavierkonzert von Jolivet aufzubrummen -
oder Cages Klavierkonzert (beide auch schon keine taufrischen Stücke mehr):
damit umzugehen erbrächte jedenfalls den Nachweis musikalischer Intelligenz.
Es würde nur kein Schwein mehr zuhören - außer (und dann erstmalig!)
Gomez