Woher sollte irgend jemand heutzutage wissen, warum Chopin das gemacht hat.
Interessante Frage - woher sollte irgend jemand wissen, ob sich Chopin bei seiner eigenen Be- oder besser Verurteilung des cis-Moll Impromptu geirrt hat? ...evtl. kennt sich ja irgendwer besser in Chopins Klaviersachen aus als der tumbe Fryzek selber?
Wie dem auch sei, faschingshalber kann man sich ja - nachdem sich das verschollene Chopinstück als blamable Eselei herausgestellt hatte
- über die nicht von Chopin zur Publikation bestimmten Werke unterhalten
Da gibt es:
- etliche in damaligen Privatkreisen kursierende Jugendwerke
- einige Studienwerke
- verschenkte Gelegenheitskompositionen
- "weggegebene" Werke wie die Hexameronvariation und die drei neuen Etüden
-
im Nachlass gefundene Manuskripte (Schriften & Partituren), die vernichtet werden sollten (Testament) - während seiners letzten Lebensjahrs war Chopin wohl zu bettlägerig, zu krank, um das noch selber zu erledigen
Interessant ist die letzte Gruppe: vieles davon hat Nachlassverwalter Julius/Julian Fontana (1810-69) unter von ihm selbst gewählten Opuszahlen und teilweise Fantasietiteln veröffentlicht. Hier handelte es sich um die Sachen, die Chopin explizit
nicht veröffentlicht haben wollte. Fontana setzte sich darüber hinweg, allerdings legitimiert durch eine briefliche Aufforderung seitens der Hinterbliebenen (!) von 1853 (Chopins Schwester und Mutter) - unklar ist, ob die Hinterbliebenen Chopins letzten Willen kannten oder nicht.
1855 publizierte Fontana op.66-73 posth. und 1859 als op.74 posth. 17 Lieder
...viel genützt hatte es dem Fontana nicht, jedenfalls nicht dauerhaft: trotz dieser seinerzeit sehr beachteten Publikationen und trotz einer nicht ungünstigen Heirat in New York verstarb Fontana 1869 völlig verarmt (Suizid)
Und nun natürlich, nachdem die Rezeptionsgeschichte der von Fontana publizierten Sachen lang genug ist, nachdem ohnehin aus weiteren Quellen weitere Chopinsachen aufgetaucht waren (der Brown Index listet eine ganze Menge an nicht von Chopin publizierten Jugend-, Studien- & Gelegenheitswerken auf) und die Forschungsgeschichte ebenfalls lang genug ist - nun sind eben auch die Sachen in Umlauf, die der Frederic nicht öffentlich haben wollte. Und da stellt sich hinterher natürlich die Frage, warum er dieses oder jenes nicht vors Publikum lassen wollte. Diese Frage an jedes einzelne posthum publizierte Werk zu stellen, ist verlorene Mühe: zwei Weltkriege und einige private Zankereien über Briefe und Manuskripte haben den kompletten Nachlass Chopins nachhaltig zerfleddert. Aus den vorhandenen Briefen geht nur wenig über die nicht publizierten Werke hervor... Immerhin ein Brief weist aus, dass op.66 posth. für Chopin von zu niedriger Qualität war: "zu sehr im Stile der Kontski und anderer Tiere" (
Humor hatte der Frederic nicht wenig, war ja auch mit Heine befreundet) Über die Lieder findet sich fast nichts, ebensowenig über seine letzte Komposition, eine trübsinnig tristaneske Mazurka in f-Moll.
Fontana war offenbar nicht fähig oder nicht willens, die nachgelassenen Manuskripte chronologisch zu ordnen, man sehe nur die
4 Mazurken op.68 posthum:
op.68 Nr.1 entstanden 1829
op.68 Nr.2 entstanden 1827
op.68 Nr.3 entstanden 1829
op.68 Nr.4 entstanden 1849 (letzte Komposition)
- da hat er drei ganz frühe Kompositionen mit der allerletzten zusammengepfercht...
...genug fürs erste - Humba Täterä