Braucht man das Absolute Gehör?

Vielen Dank @Kref für die Erklärung. Du kannst sehr gut erklären :super:. Ich habe es jetzt verstanden.

Mein Denkfehler war, dass ich dachte, dass eine Oktave aus a * x Halbtonschritten besteht, und eine Quinte sich aus exakt b * x dieser Halbtonschritte zusammensetzt. So ein Baukastenprinzip ist es aber gar nicht.

Bachs "Wohltemperiertes Klavier" scheint seinen Namen auch von der Lösung dieses Problems her zu haben, oder?
 
Mein Denkfehler war, dass ich dachte, dass eine Oktave aus a * x Halbtonschritten besteht, und eine Quinte sich aus exakt b * x dieser Halbtonschritte zusammensetzt.
In der gleichschwebend temperierten Stimmung ist das so (auf einer logarithmischen Skala). Nur ist diese Quinte eben nicht die reine Quinte mit exakt 3:2.

Der mathematische Hintergrund, warum es nicht passt (und nie passen kann), ist die Zahlentheorie; konkreter: die eindeutige Primfaktorenzerlegung. Einfach formuliert: Wenn wo eine 3 enthalten ist (oder irgendeine andere ungerade Primzahl), dann kann man das nie exakt durch nur den Faktor 2 darstellen.
Die Quint enthält eine dreifache Frequenz und kann daher nie durch Oktaven (die nur aus dem Faktor 2 bestehen) exakt getroffen werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Tonbeispiele sind sehr interessant. Man hört, dass es bei den "unrein gestimmten" Quinten etwas jault.

Interessant ist, dass ich beim Cello-Stimmen im Abgleich mit dem E-Piano immer das Gefühl hatte, dass da mit dem Klavier etwas nicht stimmt, wenn ich die am Cello soeben gestimmte Quinte am Klavier nachspielte. Was da nicht stimmte, konnte ich aber nicht benennen. Jetzt ist es klarer: Am Klavier sind alle Quinten etwas unrein. Krass, ist mir zuvor nie aufgefallen.

Da schließt sich noch eine weitere Frage an: Wird diese "Unreinheit" der Stimmung umso stärker, je kürzer der Flügel ist? Oder hat das damit nichts zu tun?
 
Da schließt sich noch eine weitere Frage an: Wird diese "Unreinheit" der Stimmung umso stärker, je kürzer der Flügel ist? Oder hat das damit nichts zu tun?
Nein, bei kürzeren Flügeln hast du ein anderes Problem: "Inharmonizität".

Eine Saite schwingt in ihrem Grundton und in den Obertönen, also den ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz. Das ist das ideale, mathematische Modell einer Saite. Bei der echten Saite dehnt und verformt sich das Material, wodurch zusätzliche, in dem einfachen Modell nicht berücksichtigte Effekte auftreten. Die Obertöne haben dadurch eine etwas höhere Frequenz als sie haben sollten.

Je kürzer und dicker die Saite ist, desto stärker ist der Effekt. Deswegen sind niedrige Pianinos und kurze Flügel problematisch.

Das Komma bei der Stimmung ist theoretisch bedingt, die Inharmonizität kommt aus der Physik in der realen Welt.
 

aber wenn dort mehr gespreizt werden muß, sind dann die Quinten näher am 'Reinsein'?
Also, ich habe das jetzt so verstanden, dass die notwendige Quinten-Unreinheit bei jeder Flügel-Länge in gleicher Weise auftritt.
Nur sind sind die Töne bei einem kürzeren Flügel insgesamt mehr mit nicht dazupassenden Obertönen gespickt, als bei einem längeren Flügel.

Vermutlich beeinflussen sich beide Effekte beim kürzeren Flügel gegenseitig, so dass ein insgesamt noch "unreinerer" Höreindruck entsteht?
 
aber wenn dort mehr gespreizt werden muß, sind dann die Quinten näher am 'Reinsein'? :denken:
Wenn die Töne in sich schon nicht mehr rein sind, ist das wahrscheinlich sekundär. Außerdem haben dann die Grundtöne der beiden Töne ein anderes Frequenzverhältnis zueinander als die Obertöne (jeweils nah an 3:2, aber eben nicht gleich).
Ich wüsste gar nicht, wie man da sinnvoll die Reinheit des Intervalls messen soll.
 
Das Gitarrenbild mit den krummen Bundstäbchen stellt keine reine Stimmung dar, sondern eine gleichmäßig temperierte. Bei normal bundierten Instrumenten hat man nicht 12 genau gleiche Halbtonschritte. Daher stimmt man in der Regel auch lieber ein paar cent zu tief, damit man durch Drücken und Ziehen die richtigen Töne erzeugen kann.

Dass manche Gitarrenstimmgeräte schon so eingestellt sind, dass sie diese Ungenauigkeit etwas ausgleichen, wurde mir bewusst, als ich meinen Flügel mit einem Gitarrenstimmgerät stimmen wollte (Guitar Tuna App).

Jeder Raum klingt anders und jedes akustische Instrument hat bestimmte Klangstrukturen. Wenn ich eine gewisse Zeit in einem Raum Geräusche erzeuge, kann ich nach kurzer Zeit anhand der Reflektionen die entsprechenden Töne bestimmen. Diese Raummoden sind meine Referenztöne.

Gleiches passiert mit meinen Gitarren. Nach einer gewissen Zeit weiß ich einfach, wie die Töne klingen und ich kann ohne Stimmgerät z.B. beim Saitenwechseln bis auf 10 Cent genau stimmen.

Aber auch nur in bekannten Räumen und mit meinen Gitarren.

Man merkt sich Töne und Klänge.

Jeder kann einen Rasenmäher von einer Harfe unterscheiden. Den Unterschied zwischen Rasenmäher und Moped zu hören wird schon schwieriger. Wenn man 2 Rasenmäher besitzt und diese auch regelmäßig benutzt, erkennt man sogar diese am Klang.

Dicke Saiten haben eine hohe Masse, die durch die Auslenkung die Spannung der Saite erhöht. Dadurch verstimmen sich auch die Obertöne. Je lauter gespielt wird, desto stärker die Auslenkung, desto verstimmter der Ton. Bestes Beispiel: Tomtom beim Schlagzeug hat einen abfallenden Ton. Je länger die Saite, desto weniger fällt das ins Gewicht – darum klingen längere Saiten sauberer. Eine Pauke ist im Prinzip das gleiche wie eine Tomtom ... größeres, dünneres Fell (für gleiche Tonhöhe) bringt deutliche Stabilität und der Ton fällt kaum noch ab nach dem Schlag.

...ich bin kein Absoluthörer (ich liege in unbekannter Umgebung mit unbekanntem Instrument meist bis zu einer Quinte daneben). Aber mein relatives Gehör ist ziemlich gut. Bekannter Raum, bekanntes Instrument … da schaffe ich ca einen Halbton Genauigkeit. Mit Referenzton schätze ich etwa 20 Cent Genauigkeit. Wenn ich auf Schwebungen achte, höre ich sogar Ungenauigkeiten von weniger als 0,5 Hz.
 

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