Bechstein - Globalisierung
Auch ich stand vor ein paar Monaten vor der Wahl, was für ein Klavier ich mir anschaffen sollte, und habe mich dabei intensiv mit Bechstein beschäftig
- Gegen die Mehrmarkenstrategie, einhergehend mit globalisierten Produktionsstandorten, ist im wesentlichen nichts zu sagen. Im Gegenteil: da international nur noch sehr wenige Klavier in Deutschland gebaut werden (weniger als 5%), müssen sich die Klavierbauer innovative Wachstumsstrategien überlegen, um zu überleben. Wenn sie das nicht tun, wird es bald keine deutschen Klavierbauer geben. Als Marketingstratege find ich die Art und Weise, wie das bei Bechstein gemacht wird, sogar ziemlich beeindruckend (aus kommerzieller / betriebswirtschaftlicher Sicht). Eine globale Komponenten- und Sourcingstrategie ist ein wesentlicher Treiber zur Kostensenkung, so kann man die Teile dort produzieren lassen, wo man sie am besten und preiswertesten Macht. Dies ist in anderen Industrien seit langem Standard. Auch der Kunde hat diverse Vorteile - mehr Auswahl von einem Hersteller, vom Einstiegsmodell bis zum echten Premium-Klavier
- Was ein wenig irritiert, ist aber die Intransparenz, welche Bauteile nun wo verbaut werden (siehe die gesamte Renner-Thematik, die seit langem diskutiert wird). Während im Einsteiger und Mittelsegment der Kunde wohl oder übel damit leben muss, dass asiatische oder ost-europäische Komponenten im Klavier verbaut werden (Zimmermann und Hoffmann), so bin ich der Meinung, dass Bechstein beim Premiumklavier (Marke Bechstein) klare Aussagen zu Hauptkomponenten wie Resonanzboden und Mechanik machen sollte. Hier ein Vergleich mit der Automobilindustrie: wenn ich einen BMW kaufe, erwarte ich auch, dass ein BMW Motor drin ist (auch wenn der dann in Österreich gefertigt wird). Kaufe ich einen Mini (auch Teil der BMW Group), so ist der Motor eben von Peugeot oder einem anderen Hersteller zugekauft - das sollte mir dann auch egal sein (der Mini Motor kommt eben nicht von BMW)
- Was ebenso irritiert, ist die Positionierung der Bechstein Academy. Hier wird auf Teufel komm raus versucht, für ein nicht so hochwertiges Klavier den Bechstein Namen herzunehmen. Ich habe mir die Dinger angesehen, und bin nicht sonderlich begeistert. Ein Klavierbauer meinte auch mal kürzlich, der Innenaufbau sei im wesentlichen mit dem Zimmermann vergleichbar. Auch klanglich liegt das Academy eher beim Zimmermann als beim Bechstein (meiner bescheidenen Meinung nach). Anscheind macht die Academy Serie damit auch Zimmermann Konkurrenz (Kannibalisierung) - laut Auskuft Bechstein Zentrum Frankfurt laufen seit Einführung der Academy Serie die Zimmermänner nicht mehr so gut. Die Leute geben dann doch lieber die paar hunder Euro aus, um ein scheinbar "richtiges" Bechstein zu haben
- Das neue Vertriebskonzept mit den Zentren finde ich auch interessant. Leider gibt es Schwächen in der Ausführung. In Frankfurt z.B. wird man 30 Minuten vor Ladenschluss gar nicht mehr wargenommen und einfach ignoriert. Kommt man dann zu einer für die Verkäufer "angenehmeren" Zeit, wird zwar viel über die Klaviere geplaudert, aber vorführen / spielen wollen sie die dann doch eher nicht. So manch andere, traditionelle Familienbetrieb ist da dann doch noch persönlicher, auch wenn der Laden nicht so schick auf Hochglanz poliert ist
Also: willkommen in einer globalierten Klavierindustrien, wo Brand-Management und Mehrmarkenstrategie den Markt verändern. Das hat manche Vorteile, aber Bechstein muss aufpassen, dass sie die Substanz sowohl bei Klavieren als auch im Vertriebe nicht verlieren.
Bis dann
U.