Eine grundsätzliche Vorgehensweise bei der Flügelaufnahme ist folgende:
(Wirklich stark verkürzt. Zu dem Thema sind ganze Studienarbeiten, Abhandlungen, Wettbewerbe von Tontechnikern, etc. gemacht worden)
Zunächst wird unterschieden zwischen einer Flügelaufnahme und einer Flügelabnahme. Eine Abnahme ist immer dann der Fall, wenn das Signal verstärkt werden soll, z.B. durch eine PA-Anlage auf der Bühne bei einem Live-Konzert.
Das Vorgehen bei der Mikrofonierung einer Aufnahme eines Flügels wird durch folgende Faktoren maßgeblich bestimmt:
1.) Raumakustik
2.) Repertoire (also eher Klassik oder Jazz, Pop, Rock)
3.) Das Instrument selber mit seinen Eigenschaften
4.) Solo oder Teil einer Gruppe/Ensemble
5.) Ziel der Aufnahme ( gute Ortbarkeit, Stereobild, Räumlichkeit, etc.)
zu 1.) Ist die Raumakustik schlecht muss man mit den Mikrofonen näher ans Instrument. (< 0,5m bis ins Instrument hinein). Ist die Raumakustik gut kann man weiter weg und die Mikros höher aufstellen. ( ab 1m bis 3m und auf ca. 1,60 bis 2,50 in der Höhe). Zu den Maßen gibt es eine Faustformel in der die Raumgröße und Nachhallzeit eingeht. Der Hallradius ergibt sich aus 0,057 x Wurzel (Raumvolumen/Nachhallzeit). Weitere Faustformeln zur Abschätzung der Nachhallzeit kann man googeln.
Der Hallradius ist nützlich, da er den Anhaltspunkt angibt ab dem der Diffusschall gegenüber dem Direktschall überwiegt.
2.) Jazz, Pop, Rock werden meistens sehr direkt am Instrument aufgenommen, da man den percussiven, direkten Klang wünscht. Bei Klassik ist eher gewünscht den Raumklang mehr einzubeziehen und es etwas weicher einzufangen. In der Klassik sollte der Flügel nicht als Punktschallquelle durch eine sehr nahe Mikrofonierung aufgenommen werden. Natürlich nur dann, wenn nicht andere Faktoren das zunichte machen. Es wird ein schlechteres Ergebnis bringen eine miserable Raumakustik einzufangen, als notgedrungen doch sehr nah zu mikrofonieren, und ggfs. in der Nachbearbeitung ein wenig Reverb hinzuzufügen. Hier hilft Erfahrung. Bitte in der Nachbearbeitung keine Kompressoren nutzen. Klaviersignale vertragen meistens keine Kompressoren und es kommt Klangsuppe heraus. In der Nachbearbeitung eines Klaviersignals sind EQs, Reverb und das Verschieben der Stereobasis erlaubt. Alles andere macht mehr kaputt als das es hilft.
3.) Flügel haben ihr Eigenleben. Einen Steinway D kann man sehr gut als Tail-End im Studio aufnehmen. D.h. ich kann ans Ende des Flügels die Mikros aufstellen, und in Längsrichtung ins Instrument zeigen lassen. Bei einem Yamaha würde ich das nicht machen. Hier heißt es ausprobieren. Eine einfache Methode ist während jemand spielt langsam um das Instrument zu laufen (auch mal in die Knie gehen) und zuhören. Dort wo es sich gut anhört und den eigenen Geschmack trifft, ist wahrscheinlich ein Sweet-Spot. Also warum nicht genau dort die Mikros aufstellen.
4.) Ist es ein Solo-Konzert, so steht der Flügel im Zentrum des Geschehens. Das muss sich in der Aufnahme wiederfinden. Das ist aber recht einfach. Schwierig ist es einen Flügel in ein Ensemble zu integrieren. Er darf meistens nicht zu stark dominieren, aber doch präsent sein. Hier gilt es per Pegelmischung und Panning (also Positionierung der Flügelsignale in die Stereomischung) das Instrument abzubilden. Hier gilt es ausprobieren. Am besten offline zuhause am Rechner und nicht vor Ort.
5.) Mikrofonaufstellung: der absolute Allrounder ist die AB Mikrofonierung. Egal ob nah beieinander oder weit entfernt. Egal ob AB direkt über den Saiten oder AB in 1 bis 2 Meter Entfernung und im Abstand zueinander von 20 bis 50cm. Bei Aufstellung im Instrument gibt es eine Faustregel. Die beiden Mikros sollten mindestens 3 mal so weit voneinander entfernt sein, wie der Abstand des Mikros von den Saiten ist. Dabei eins in Richtung des Diskant, das andere hin zu den Basssaiten. Beachte: nicht die Saiten klingen, sondern der Resonanzboden, daher kann es sinnvoll sein mal ein Mikro direkt auf ein Schallloch zu richten. Ansonsten Kopf unter den Deckel stecken und mit den Ohren den Sweet-Spot suchen.
Eine andere Form ist die XY-Mikrofonierung. Kann man bei Jazz sehr gut direkt auf die Saiten in der Nähe der Hämmer anwenden. Ergibt eine gute Stereoabbildung mit einem sehr direktem Klangbild. XY außerhalb des Flügels ergibt auch eine gute Räumlichkeit und der Einbezug der Raumakustik ist grösser als bei AB, bei gleicher Entfernung zum Flügel.
Ist die Raumakustik hervorragend, es sind keine störenden Umgebungsgeräusche vorhanden und evtl. noch dazu ein kleines Ensemble dabei, dann ist ORTF eine gute Wahl. Bei guten äußeren Bedingungen ist ORTF so was von einfach anzuwenden und ergibt sehr gute Ergebnisse.
Noch ein Tipp: Das Phänomen Signalauslöschungen durch Phasenverschiebungen kann ärgerlich sein, wenn man das Problem erst nach der Aufnahme erkennt. Das bedeutet, wenn man mit 2 Mikrofonen aufnimmt, kann es sein, das ein und der selbe Ton von beiden Mikros so phasenverschoben aufgenommen wird, das plötzlich ein Ton leiser als die anderen sind. Kritisch durch die längere Wellenlänge ist der Bass. Falls die Aufnahme zu wenig Bass hat, könnte es an der Phasenauslöschung liegen. Ein Mikro um wenige Zentimeter verschieben kann das Problem lösen. Hier kann eine Probeaufnahme mit einer sauber, sehr gleichmässig gespielten chromatischen Tonleiter Probleme aufdecken. Merkt man es erst nach der Aufnahme, so kann man versuchen in einem Audiobearbeitungsprogramm einen Kanal zu invertieren, also die Phase um 180 Grad zu drehen. Wenn man Glück hat ist der Bass plötzlich wieder in seiner erwarteten Lautstärke da. Die gewollte Phasenumkehr ist für höhere Frequenzen unkritisch und wird nicht wahrgenommen.
Tipp Nr. 2: Bei einem Flügel bitte nie Mikrofone direkt auf den geöffneten Deckel richten, sondern immer auf die Saiten zielen. Auf der sicheren Seite ist man, wenn die Mikrofone höher als die obere Kante des Deckel stehen und die Längsachse der Mikrofone parallel zum Deckel liegt (salopp ausgedrückt: die Mikros stehen genauso schräg wie der Deckel). Der sogenannte Kammfiltereffekt kann die ganze Aufnahme unsauber klingen lassen. Auch hier hat man mit Überlagerungen von Direktschall und Reflexionen vom Deckel zu tun, die einem die Aufnahme sehr verunstalten kann.
Tipp Nr. 3: Den Aufnahmepegel eher konservativ wählen. Die lautesten Spitzen sollten noch genügend Abstand zur 0dB Grenze haben. Über 0 dB wird das Signal unwiederbringlich durch das Übersteuern zerstört. In der alten analogen Rundfunktechnik gab es die Vorgabe -9 dBFS nicht zu überschreiten. Hier die Regel anzuwenden höherer Pegel nutzt mehr Signal/Rauschabstand, birgt die Gefahr, das ein fff vielleicht doch durchs Clipping zerstört wird. Wir befinden uns heute halt in der Digitaltechnik, das bedeutet: Clipping -> kaputt. Früher in der Analogtechnik war es etwas unkritischer, da es kein hart einsetzendes Clipping gab, sondern ein weich einsetzendes Übersteuern, das etwas härter klang.
Auspegeln ist Gefühlssache. Ich lasse lieber etwas mehr Luft nach oben (Headroom) als zu wenig. Wenn ich in der Nachbearbeitung doch noch die Höhen oder den Bass im EQ anheben will brauche ich den Headroom sowieso, so spare ich mir das Runterrechnen im Pegel um mir künstlich einen Headroom zu erzeugen.
Zum Aussteuern gerne mal ordentlich in die Akkorde greifen (Bass und die oberen Lagen) und dabei Pedal treten und den Pegel bei der lautesten Stelle die man spielen wird bei ca. -6 dB ungefähr auspegeln.
Alle Ausführungen sind meine Ansichten, Erfahrungen und stellen nicht das Maß aller Dinge dar.
Grüße
Dirk