Bei allen mir bekannten Vertonungen eben doch!
Bei den Vertonungen gewiß, und es ist klar, dass durch das »Einziehen« von Takten Konflikte zwischen Versiktus und Wortakzent entstehen werden. Aber mir ging es um den Originalvers, und in dem gibt es keine Takte, oder? Denn hier bilden wie in der antiken Lyrik und wie in den ursprünglichen Formen von Sequenz und Tropus Vers und "Metrum" eine Einheit, wobei das "Metrum" durch die Silbenzahl und den Wechsel lang - kurz an bestimmten Stellen (mit etlichen Freiheiten der Auflösung) definiert wird. Und daher gibt es hier auch nicht die angeführten Konflikte mit dem Wortakzent - die gibt es nur, wenn man den Text als Rezitationstext nimmt (wo dann an den zitierten Stellen gegen die Präferenz von Sprachen mit Druckakzent, Länge und Akzent zusammenfallen zu lassen, verstoßen wird) *). Im Singvers wird somit der sog. grammatische Akzent irrelvant. Und daher scheint dieser Begriff von eingeschränkter Brauchbarkeit. Im übrigen habe ich aus euren Beispielen gelernt, dass er offenbar auch nicht konsistent ist, denn (a) bei Vokalmusik ist grammatischer Akzent offenbar gleich Wortakzent, (b) bei instrumentaler Musik dagegen gleich betonter Taktteil; (b) scheint eine Extension von (a) zu sein, oder täusche ich mich da?
Und dass der »oratorische Akzent« überhaupt eine halbwegs konsistente Definition hätte, sehe ich aus den angeführten Beispielen überhaupt nicht. Beethoven verweist nicht auf einen »Akzent«, sondern auf Versfüße, Metren und metrisch gebaute Verse; alles andere sind Mittel der rhetorischen Hervorhebung und der Manipulation des Erwartungshorizonts (Aprosdoketon), die historisch in die rhetorische Ornatus- und vielleicht auch Ehtos-/Pathos-Lehre gehören und mit dem sprachwissenschaftlichen Begriff des Akzents überhaupt nichts mehr zu tun haben.
Nun, aber das scheint ja insgesamt das Schicksal von Metaphern zu sein - die Übertragung in ein anderes Sachfeld macht den Ausdruck oft prägnanter, aber nicht präziser. Dank Euch schön für den Einblick in ein nettes Kapitel terminologischer Rezeptionsgeschichte!
*)
@mick: Ich glaube in den Meistersingern hat das damit zu tun, dass Wagner bewußt den Sach'schen Knittelvers (oder das, was er darunter versteht) imitiert.