Akzentlehre

Akzentlehre" (das klingt schon so richtig nach einem verstaubten 420-Seiten-Buch, das in der Musikhochschulbibliothek allenfalls alle Jubeljahre von irgendwelchen 65jährigen Spätstudenten ausgeliehen wird)

Das Büchlein von Kinkel hat keine 100 Seiten und ist von einer Recht interessanten Gestalt (frühe Frauenbewegung) verfasst worden. Aber vielleicht wäre es tatsächlich eine gute Idee die elementare metrische Kommunikation im (erwachsenen) Anfängerbereich zum Thema eines an der aktuellen Praxis orientierten Büchleins zu machen!
Die Bedeutung der Akzentlehre lässt sich übrigens auch an den Anmerkungen Beethovens zu den Etüden Cramers ablesen.
https://www.amazon.de/Fingerübungen...+Beethoven&dpPl=1&dpID=517fc6KAYrL&ref=plSrch
 
Musik fängt an zu singen, wenn man sie wie Sätze begreift, aus denen sich Abschnitte bilden, sinnhafte Zusammenhänge entstehen und schliesslich ein komplexes Gebilde, ähnlich einem Roman.

Jein, oder bitte: genauer! (Damit ich es nicht falsch verstehen kann.)

Weil so wie es da steht, wie will es da funktionieren? So wie es da steht unterscheidet sich das (für mich) kaum von dem was eingangs geschrieben, (und wohl missverstanden) wurde.

Ich glaube dass, (zumindest nicht für mich) Musik anfängt zu "singen" (wenn ich es als wirken interpretiere) wenn ich die Sätze begreife.

Nur weil ich Fleischer bin und viele Tiere filetiere, heißt das noch nicht, dass mir, geschweige denn meinem Publikum Schauer über den Rücken laufen... Ich kann meine Meisterprüfung mit Bestnote bestanden habend, die Leute mögen meinen Laden und bin doch nur ein Stock der seinen Job macht, dem keiner dabei abgeht.

Deswegen ist und bleibt mein Lieblingszitat schlechthin: "Wenn ihr´s nicht fühlt, ihr werdet´s nicht erjagen." (Gilt insbesondere und in erster Linie auch für mich.)

(Aber wahrscheinlich schließt du in "Sätze begreifen" und "Roman" schon ein, dass es einen persönlichen Bezug zwischen Spieler und zu spielendem gibt. Und ja, um sich "richtig auszutoben" muss ich das Stück verstanden haben.)
 
Ich bin nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, ich habe diese Briefe von Kinkel schon mal in den Händen gehabt. Wenn ich mich recht erinnere, stand da gleich am Anfang ziemlich überholter Unsinn über das aktive Heben der Finger drin und dass man Kinder immer ermahnen müsse, die Finger möglichst hoch über die Tasten zu heben. Irgendwas über Akzente stand da auch, aber ich habe es vergessen. Vielleicht war es auch ein anderes Buch.

Es ist ein wenig wie mit Hanon - warum sollte man Ratschläge von höchstens mittelmäßigen Musikern beherzigen, solange es jede Menge hervorragende Musiker und Musikpädagogen gibt, die ihr Wissen ebenfalls für die Nachwelt festgehalten haben? Letztere haben das halt selten in Form irgendwelcher "Lehrpläne" getan, die man nur abarbeiten müsse, um ein guter Musiker zu werden. Sie wussten, dass es so einfach eben nicht ist und ein individueller, kompetenter Austausch zwischen Lehrer und Schüler durch nichts zu ersetzen ist. Die Schriften und Studien wenden sich deshalb fast ausschließlich an Musiklehrer und nicht an Schüler. Oder glaubt jemand, dass Brahms seine 51 Übungen etwa für den selbstlernenden Amateur verfasst hat? Ich habe die Befürchtung, dass selbst ein erheblicher Teil der Klavierlehrer mit dem Material überfordert ist. Leider.
 
Ich bin nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, ich habe diese Briefe von Kinkel schon mal in den Händen gehabt. Wenn ich mich recht erinnere, stand da gleich am Anfang ziemlich überholter Unsinn über das aktive Heben der Finger drin und dass man Kinder immer ermahnen müsse, die Finger möglichst hoch über die Tasten zu heben. Irgendwas über Akzente stand da auch, aber ich habe es vergessen. Vielleicht war es auch ein anderes Buch.

Das ist das Buch und in der Tat sind die Teile über das Fingerheben ziemlich démodé. Aber ich hab mich auch auf ziemlich primitive (man vergesse nicht die Adressatinnen des Büchlein) aber elementare Akzentlehre bezogen, die gerade den Erwachsenen Anfängern eine erste Orientierung geben könnte.
 
. Oder glaubt jemand, dass Brahms seine 51 Übungen etwa für den selbstlernenden Amateur verfasst hat? Ich habe die Befürchtung, dass selbst ein erheblicher Teil der Klavierlehrer mit dem Material überfordert ist. Leider.

Die Brahms Übungen sind derart individuell auf Brahms selbst zugeschnitten, dass ich, obwohl ich sie schon seit Studientagen gut kenne, noch nie eine passende Gelegenheit fand diese Übungen selbst bei fortgeschrittensten Schülern anzuwenden!
In diesem Faden etwas hors concours!
 
Lieber Alter Tastendrücker,

ich kenne leider die Akzentlehre nicht, deswegen kann ich mir kein Urteil erlauben.

Allerdings aus praktischer Erfahrung sehr wohl, denn in den 60ger/70ger Jahren (wahrscheinlich auch vorher?) wurde diese metrische Betonung des ersten Taktteils sehr viel gelehrt. Mit dem Ergebnis, dass Professoren an Musikhochschulen und gute Klavierlehrer sich über diese weit verbreitete Unsitte beklagten. Es sei fast unmöglich, den Schülern und Studenten dieses von Beginn an erlernte und leider sehr mechanische Muster, das fast immer zu unlebendigem und unmusikalischem Klavierspiel führt, abzugewöhnen.

Stattdessen nicht den Takt als musikalische Einheit zu begreifen, sondern die Phrase oder das Motiv, Auftaktigkeit zu erkennen, über Taktstriche hinwegzuspielen etc. wurde als essentiell wichtig gesehen für die Kandidaten, die gelernt hatten, ständig die "1" zu betonen.

Natürlich ist Metrik ein sehr wichtiger Baustein von Musik. Aber man muss ihn in den Kontext vieler anderer Parameter einzuordnen wissen!

Liebe Grüße

chiarina
 
Mit dem Ergebnis, dass Professoren an Musikhochschulen und gute Klavierlehrer sich über diese weit verbreitete Unsitte beklagten. Es sei fast unmöglich, den Schülern und Studenten dieses von Beginn an erlernte und leider sehr mechanische Muster, das fast immer zu unlebendigem und unmusikalischem Klavierspiel führt, abzugewöhnen.

Komisch, an mir ging diese Moderscheinung im Gegensatz zu vielen anderen Mödeli vollkommen vorüber.
 
Erwachsene Anfänger spielen auch bei mir erstmal nach Gehör. Sie kennen die Lieder, die sie spielen und übernehmen deren Phrasierung nach ihren Möglichkeiten beim Spielen. Diese innere Klangvorstellung ist m.E. genug Orientierung.

Bei den ersten Stücken nach Noten wird man sie u.a. nach der Struktur der Stücke fragen und beginnen, das Ohr der Schüler auf die Phrasierung zu lenken. Man wird ihnen ein Gefühl für Rhythmus und Metrum vermitteln. Wenn man Glück hat, sind die Schüler bereit, zu singen/sprechen und niemand spricht oder singt wie ein Roboter alle Töne gleich laut. All das gibt doch genug Orientierung!
 
Stattdessen nicht den Takt als musikalische Einheit zu begreifen, sondern die Phrase oder das Motiv, Auftaktigkeit zu erkennen, über Taktstriche hinwegzuspielen etc. wurde als essentiell wichtig gesehen für die Kandidaten, die gelernt hatten, ständig die "1" zu betonen.

Leider ist das lebendige Phrasieren auch heute oft noch ein Problem! Vielleicht weil es schwierig ist?
Das Drücken der richtigen Tasten beschäftigt ja wohl ausreichend! Vor allem, wenn man stets Stücke an der oberen Leistungsgrenze oder darüber spielt!
 

@chiarina
Nicht mein Habitat!
 
Leider ist das lebendige Phrasieren auch heute oft noch ein Problem! Vielleicht weil es schwierig ist?
Das Drücken der richtigen Tasten beschäftigt ja wohl ausreichend! Vor allem, wenn man stets Stücke an der oberen Leistungsgrenze oder darüber spielt!

Man muss so üben, dass eben die Leistungsgrenze durch das Spielen nicht erreicht ist und man noch Zeit und Raum hat fürs Zuhören und die Wahrnehmung des Körpers. Das erreicht man durch ein sehr vielfältiges und variables Üben (stimmenweise üben, langsam üben, Abschnitte machen, Töne weglassen und nur das Gerüst herausfiltern etc.).
 
wurde diese metrische Betonung des ersten Taktteils sehr viel gelehrt. Mit dem Ergebnis, dass Professoren an Musikhochschulen und gute Klavierlehrer sich über diese weit verbreitete Unsitte beklagten. Es sei

Jede ernstzunehmende Akzentlehre befasst sich ja nicht ausschließlich, ja nicht mal primär mit dem grammatischen Akzent (Takteins!), sondern mit dem oratorische Akzent, der besondere Ereignisse (Dissonanz, melodischer Höhepunkt, harmonische Spannung, Phrasierungsverlauf, ...) mehr oder weniger nachdrücklich unterstreicht.
Kurz und für Anfänger gedacht bei Kinkel oder ausführlich bei Carl Czerny 'Vom Vortrage'. Und alles dazwischen!
 
Die Brahms Übungen sind derart individuell auf Brahms selbst zugeschnitten
???...warum soll sich Brahms, der seiner eigenen schwierigen Sonaten, Variationen und Konzerte spielen konnte*), individuelle Übungen für sich selber schreiben und dann veröffentlichen?
Die Übungen sind weitenteils sehr knifflig, aber prima; und ein paar darin sind auch für Anfänger lehrreich & nützlich.
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*) wenn er übte - wenn er aufs üben verzichtet hatte, attestierte die Clara ihm manche Schlampigkeiten
 

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