Rhythmus in BWV 874

Also die Achtel im 2. Takt inegal auf drei (Viertel plus Achtel)?
 
aber es ist klar, dass die Achtel ternär zu denken sind
Wenn das so klar ist, dann müsste dasselbe auch für BWV 738 gelten. Allerdings sind die nicht punktierten Achtel dort ohne jeden Zweifel duolisch gemeint. Es ist also offensichtlich, dass Bach diese Form der Polyrhythmik gekannt und verwendet hat.

Mich überzeugt die ternäre Ausführung nicht.
 
Interessant wäre es zu wissen, wie es Zeitgenossen oder frühere Komponisten gemacht haben. Wann kam dieses Problem in die Welt, gibt es frühere Beispiele, ab wann wurde sowas zur Selbstverständlichkeit? Ich kann da gar nichts beitragen, weiß es schlicht nicht.
 
Wenn das so klar ist, dann müsste dasselbe auch für BWV 738 gelten. Allerdings sind die nicht punktierten Achtel dort ohne jeden Zweifel duolisch gemeint. Es ist also offensichtlich, dass Bach diese Form der Polyrhythmik gekannt und verwendet hat.

Mich überzeugt die ternäre Ausführung nicht.

Ah, da finde ich ist Vorsicht geboten. Im viertletzten Takt gibt triolische und duolische Achtel, die eben genau gleich aussehen. Und auch hier ist zu sehen, dass Bach eben sehr eigenwillig und nicht modern mathematischen Konventionen gehorchend schreibt. Auch bei diesem Stück muss man das mal durchmeditieren. Grundsätzlich erschließt sich 738 etwas besser.

Ich frage mich immer, warum Pianisten solche Probleme mit historischer Musikwissenschaft haben. Es muss dann immer alles so gespielt werden, wie es in den Noten steht. Das Totschlagargument ist dann immer: Er hätte es ja anders notieren können, wenn er gewollt hätte. Das ignoriert eben, dass man Notentexte früher anders gelesen hat und gewisse Notationen sich erst entwickelt haben. Bach war vermutlich der Überzeugung, seinen Willen eindeutig festgehalten zu haben, weil er davon ausgehen musste, dass der Spieler mit den Konventionen der Zeit vertraut war. Ähnliches gilt für Verzierungen. Man schaue sich mal die verzierte Fassung von 588 an. Auf jeder zweiten Note ein Ornament. Wenn man das damals so gemacht hat, spielen wir alle falsch, Ton Koopman vielleicht ausgenommen.
 
Interessant wäre es zu wissen, wie es Zeitgenossen oder frühere Komponisten gemacht haben. Wann kam dieses Problem in die Welt, gibt es frühere Beispiele, ab wann wurde sowas zur Selbstverständlichkeit? Ich kann da gar nichts beitragen, weiß es schlicht nicht.
In ganz frühen Sachen gibt es das nicht. Und im Barock behilft man sich mit so erstaunlichen "doppelten" Taktvorzeichnungen. Die moderne Triole kommt dann erst langsam. Diese "schlampige" Notation gibt es bis ins 19. Jh. Ich verweise da nochmal auf den sehr erhellenden Artikel von Ferguson.
 
Im Jazz ist Vergleichbares üblich: Auch dort wird nicht alles so notiert, wie es erklingen soll, sondern es wird vorausgesetzt, dass der Spieler die Konventionen kennt bzw. weiß, wie es gemeint sein muss (weil es anderenfalls nicht wie in dem betreffenden Stil üblich klingen würde und jeder Insider das sofort bemerken würde). Grund dafür ist meist, dass es so einfacher und übersichtlicher ist.

(Der Wahn, alles so exakt wie möglich aufschreiben zu wollen, kam erst im 19. Jahrhundert auf, parallel zum Trend, die Noten des Komponisten als unantastbares Heiligtum zu betrachten, das keinesfalls durch eigene kleine Abwandlungen oder Improvisationen verunstaltet werden durfte. Gipfeln tat es dann in den absurden Kompliziertheitsorgien Neuer Musik, denen man nicht selten anmerkt, dass es dem Komponisten genau darum geht: durch Kompliziertheit Eindruck zu schinden und höchstes Können vorzutäuschen.)

Insofern halte ich Axels Argumentation für wirklich ernstzunehmend.

Meine Vermutung ist, dass Bach nichts dagegen gehabt hätte, wenn seine Stücke auf unterschiedliche Weise gespielt worden wären (schließlich war er selbst ein Gigant unter den Improvisatoren, und es gibt ja sogar Passagen in seinen Werken, wo man ausdrücklich improvisieren soll und er nur ein "Framework" aus Akkorden vorgegeben hat). Er hätte vielleicht sogar eine Diskussion wie hier etwas belustigt verfolgt.
 
... und war es nicht so, dass Bach in seinen "Inventiones" die Schüler dazu inspirieren wollte, erfinderisch zu spielen?
 
Wenn das so klar ist, dann müsste dasselbe auch für BWV 738 gelten. Allerdings sind die nicht punktierten Achtel dort ohne jeden Zweifel duolisch gemeint. Es ist also offensichtlich, dass Bach diese Form der Polyrhythmik gekannt und verwendet hat.

Mich überzeugt die ternäre Ausführung nicht.
Die Situation in BWV 738 ist anders als in BWV 874.
Im Choralvorspiel sind die 6 Sechzehntelnoten ab Beginn eindeutig als 3+3 aufzufassen, also Triolen zu jedem Achtel. (oder würdest Du diese Sechzehntel als 2+2+2 spielen? Also das ganze Stück über als Konfliktrhythmus zu den Achteln?).
Takt 8f. weicht durch die Punktierungen von diesem Schema ab, zu komplexeren Überlagerungen kommt es in T. 12, wo unvermittelt Achteltriolen auftauchen und es so zu einer komplexen Überlagerung mit den Sechzehntel links und den Achteln im Pedal kommt. Dieser Takt wirkt aber sehr konstruiert, der musikalische Sinn erschließt sich mir hier nicht so recht.
In BWV 874 sind die Sechzehntel durchgehend als Untergliederung des 12/8 Taktes als 2+2+2 aufzufassen, dadurch kommt ja erst die seltsame Polyrhythmik in Takt 18 zustande.
Z. B. in der Allemande von BWV 829. Da sind sowohl normale Sechzehntel (duolisch) als auch punktierte Sechzehntel (triolisch) notiert.
Die Allemande ist rhythmisch nicht weiter undurchschaubar oder einzigartig. Dass Punktierungen je nach Umfeld triolisch aufzufassen sind, ist nichts besonderes und kommt ständig vor. Auch 3 gegen 2 wie am Ende von T. 20, oder etwas verdeckter in T 17 ff. sind nicht selten oder außergewöhnlich..
 
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Ja klar. Damals hätte man verständnislos auf dich herabgeschaut, wenn du versucht hättest, "nur genau das zu spielen, was dasteht".
Naja.
Der zeitgenössische Musiker und Musikkritiker J. A. Scheibe hat Bach vorgeworfen, dass er zu oft Ornamente genau ausschreibe, also dem Spieler zu wenig der damals üblichen Freiheit lasse:
"Scheibe veröffentlichte 1737 eine Glosse,[2] in der er darlegte, was ihn an Bachs Musik störte: sie sei unnatürlich, gekünstelt und sein Stil verwirrend. Weil er alle Ornamente ausschreibe, anstatt die Verzierung dem Spieler zu überlassen, überdeckten sie die Schönheit der Melodien und Harmonien. " (zitiert aus Wikipedia).

Von einigen Inventionen gibt es in der Tat stark verzierte Fassungen, zum größten Teil aus dem Schülerkreis.
Ob wir daraus aber die Schlussfolgerung ziehen sollten, auch andere Bachstücke entsprechend mit Durchgangsnoten, Verzierungen etc. anzureichern......
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Vermutung ist, dass Bach nichts dagegen gehabt hätte, wenn seine Stücke auf unterschiedliche Weise gespielt worden wären (schließlich war er selbst ein Gigant unter den Improvisatoren ...
Das glaube ich eher nicht, denn Bach ist einer der wenigen Komponisten aus der Zeit, die alles ziemlich genau ausnotiert haben. Ich kann jetzt keine Quelle benennen, aber ich meine, dass das so manche Kollegen eher genervt hat.
Edit: da war einer schneller als ich :-)
 
... und war es nicht so, dass Bach in seinen "Inventiones" die Schüler dazu inspirieren wollte, erfinderisch zu spielen?
die Inventionen sollten neben der Absicht, die Spieltechnik zu lehren, vor allem zeigen, wie man 2 bzw. 3 Stimmen sauber setzt und helfen "am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen." (Bachs eigenes Vorwort zu den Inventionen).
Also vor allem Komposition - nicht improvisatorische Ausschmückung von bereits komponierten Sätzen.
 
Naja.
Der zeitgenössische Musiker und Musikkritiker J. A. Scheibe hat Bach vorgeworfen, dass er zu oft Ornamente genau ausschreibe, also dem Spieler zu wenig der damals üblichen Freiheit lasse:
"Scheibe veröffentlichte 1737 eine Glosse,[2] in der er darlegte, was ihn an Bachs Musik störte: sie sei unnatürlich, gekünstelt und sein Stil verwirrend. Weil er alle Ornamente ausschreibe, anstatt die Verzierung dem Spieler zu überlassen, überdeckten sie die Schönheit der Melodien und Harmonien. " (zitiert aus Wikipedia).

Von einigen Inventionen gibt es in der Tat stark verzierte Fassungen, zum größten Teil aus dem Schülerkreis.
Ob wir daraus aber die Schlussfolgerung ziehen sollten, auch andere Bachstücke entsprechend mit Durchgangsnoten, Verzierungen etc. anzureichern......
Ich lese es so, dass es hier wirklich um Diminutionen geht, also solche bei Bach häufiger vorkommende 32-tel Ketten. Das sagt dann noch nichts über Triller, Mordente usw.
Für die englischen Suiten gibt es - wenn ich mich recht erinnere - auch einen konkreten Vorschlag zur Auszierung der Sarabanden.
Es gibt genug Orgelwerke, von denen verzierte Fassungen existieren, die aber in den gängigen Ausgaben nicht auftauchen oder nur auf der beiliegenden CD-ROM. Dadurch wird der Eindruck einer eindeutigen Quellenlage erweckt, was aber nicht der Fall ist. Spontan fallen mir das genannte 588, aber auch 538, 572 und der Anfang von 582 ein.
 
Naja.
Der zeitgenössische Musiker und Musikkritiker J. A. Scheibe hat Bach vorgeworfen, dass er zu oft Ornamente genau ausschreibe, also dem Spieler zu wenig der damals üblichen Freiheit lasse:
"Scheibe veröffentlichte 1737 eine Glosse,[2] in der er darlegte, was ihn an Bachs Musik störte: sie sei unnatürlich, gekünstelt und sein Stil verwirrend. Weil er alle Ornamente ausschreibe, anstatt die Verzierung dem Spieler zu überlassen, überdeckten sie die Schönheit der Melodien und Harmonien. " (zitiert aus Wikipedia).

Von einigen Inventionen gibt es in der Tat stark verzierte Fassungen, zum größten Teil aus dem Schülerkreis.
Ob wir daraus aber die Schlussfolgerung ziehen sollten, auch andere Bachstücke entsprechend mit Durchgangsnoten, Verzierungen etc. anzureichern......
Woraus entnimmst Du, dass aus dem Ausschreiben so vieler Verzierungen folgt, dass Bach wollte, dass man alles genau so und nicht anders spielt?

Im Jazz gibt es Leute, die schreiben als Akkordsymbole nur die basic chords hin, also nur "C7" oder "Am6". Andere schreiben gerne viele detaillierte Optionstöne hin ("C7b9#11" etc.). In beiden Fällen ist es aber in aller Regel so, dass selbstverständlich der Spieler nach seinen Kenntnissen und seinem Geschmack die Voicings mit oder auch ohne Optionstöne spielt, wie es die Situation erfordert. Jeder, der Jazz lernt, weiß, dass man Akkordsymbole nie zu "wörtlich" nehmen darf.

Kann es nicht bei Bach ganz ähnlich sein? Dass er einfach sagen wollte "also, ich hielte hier beispielsweise folgende Verzierung für passend"? Oder "ich spiele hier gerne so was"?
 
Woraus entnimmst Du, dass aus dem Ausschreiben so vieler Verzierungen folgt, dass Bach wollte, dass man alles genau so und nicht anders spielt?

Kann es nicht bei Bach ganz ähnlich sein? Dass er einfach sagen wollte "also, ich hielte hier beispielsweise folgende Verzierung für passend"? Oder "ich spiele hier gerne so was"?
Wenn man Bach mit seinen Zeitgenossen vergleicht, fällt schon auf, dass er viel mehr ausgeschrieben hat. Daraus würde ich schon folgern, dass er das dann an den Stellen, wo er ausgeschrieben hat, es auch so haben wollte und nicht eine der vielen Möglichkeiten aufzeigen. Wenn man sich auch anschaut, wie lange er z. B. an der Koloratur von BWV 659 gefeilt hat, da würde ich mich nicht trauen irgendetwas hinzuzufügen - vielleicht noch einen Mordent irgendwo, aber das macht es doch nirgends schöner. Oder was hältst Du bei einem Stück wie der 25. Variation aus den Goldbergvariationen für veränderbar?
Das heißt nicht, dass es nicht auch bei Bach Stellen gibt, wo man mehr verzieren etc. kann.
Aber sehr oft hat er alles ziemlich genau und für seine Zeit auffallend genau so notiert, wie er es haben wollte, natürlich in den orthographischen Möglichkeiten und Gewohnheiten seiner Zeit.
 

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