Wann spielt man Bach legato?

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Und vielleicht nochmal zur Erinnerung: es geht natürlich nicht um Stellen, die explizite Anweisungen in Form von Binde- oder Haltebögen enthalten.
Das ist kein gutes Argument, denn Bögen hat Bach bei Musik für Tasteninstrumente ja kaum explizit notiert. Schaut man sich allerdings seine Violinsachen an (z.B. das Finale der 1. Sonate für Violine solo), wird man konstatieren müssen, dass Bach diese Regel mit den Taktgrenzen ganz offensichtlich nicht beachtet hat.
 
Und vielleicht nochmal zur Erinnerung: es geht natürlich nicht um Stellen, die explizite Anweisungen in Form von Binde- oder Haltebögen enthalten.
Haltebögen (Verlängerung des Notenwerts!) sind selbsterklärend.

Aber die "Bindebögen" in den zwei- & dreistimmigen Inventionen: finden sich da viele originale? Und wenn ja, machen sie pünktlich Stop vor Taktstrichen? ...nochmal zur Erinnerung: kein Taktstrich ist eine "Grenze" für Phrasierung und Artikulation, auch nicht für motivische/thematische Zusammenhänge.

Ich hatte eigens die erste Invention bzgl. Motivik & Taktstrichen erwähnt, hier werden diese Zusammenhänge sehr deutlich gezeigt:
(Invention I Takt 3-4 Busoni-Ed.)
Bildschirm­foto 2023-03-04 um 14.34.55.png
Achtung:
die (auch doppelten) Bögen von Busoni zeigen die motivischen Zusammenhänge, sie sind nicht als einzig wahre Artikulationsvorgabe gemeint, sondern als erste und einfachste Möglichkeit für Lerrnende (!!) - dasselbe gilt auch für Fingersätze, Tempovorgabe und ausnotierte Verzierungen
==> für uns hier ist interessant, dass diese Edition für jeden SICHTBAR macht, wie hier die Motive stets auftaktig in das erste und dritte Viertel als Ziel hineinlaufen, und das auch über Taktstriche hinweg!!!)

ergo: Taktstriche als Artikulations"grenzen" sind offensichtlich Quatsch!
 
Es ist übrigens supertypisch für Bach und auch andere Barockkomponisten, dass die Motive permanent auftaktig mit der "1" oder "3" als Schlusston liegen. Dadurch ergibt sich ein permanenter "Vorwärts-Drive".

Gerade angesichts der vielen typischen Sechzehntel-Vierergruppen, die man im Notenbild sieht, eine ganz zentrale Aufgabe des KL, den Schüler dahin zu trimmen, dass dieser weiß: Beginn einer Balkengruppe bedeutet in der Regel mitnichten Beginn einer Phrase! Die "Kästchen", die der unbedarfte Spieler auf dem Notenblatt sieht, sind eben keine musikalischen Abschnitte! Und somit ist es natürlich auch grundfalsch, doof "erste Sechzehntel" zu betonen, um "den Rhythmus klar herauszuarbeiten"...
 
Wie gesagt, ich frage gern nach, wie er dazu kommt.
@hasenbein Legato und Phrase sind doch nicht gleich zu setzen? Nur weil ich kein Legato mehr spiele ist doch die Phrase nicht zu automatisch zu Ende? :konfus:
 
Rolf schrieb es doch klar und deutlich: "die (auch doppelten) Bögen von Busoni zeigen die motivischen Zusammenhänge, sie sind nicht als einzig wahre Artikulationsvorgabe gemeint, sondern als erste und einfachste Möglichkeit für Lerrnende (!!)..."

Vergiss mal das olle Legato. "Legato" ist ein weiterer Bereich, in dem unglaublich viele Missverständnisse und Fehlinformationen herrschen.
 
Ich spreche aber die ganze Zeit nur von Legato und nicht Phrasengestaltung.
Ist ja auch die Fadenfrage.
 
Ja, und die Fadenfrage sollte für Dich nun hinreichend dahingehend beantwortet sein, dass die Fragestellung "wo genau soll ich denn nun legato spielen und wo nicht" falsch gestellt und in die Irre führend ist.
 
Ich hab ja gar nicht gefragt ;-)
 
Er bezieht sich auf Ludger Lohmann "Die Artikulation auf den Tasteninstrumenten des 16.–18. Jahrhunderts" und ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir, im 3. Jahr, diese "Leitplanken" in verdaubaren Happen serviert und wir Stück für Stück die Ausnahmen und Erweiterungen an den Inventionen entdecken.
Würde mich ehrlich gesagt wundern, das Buch von Lohmann ist eigentlich gut.
 

Ich spreche aber die ganze Zeit nur von Legato und nicht Phrasengestaltung.
...sehr schlagfertig und in der Sache spitzfindig - letztlich aber so schlau, als würde man einen Koch fragen, wann und wo genau die Bolognese Sauce mit Salz aus dem gläsernen Salzstreuer und keinesfalls mit einer Prise Salz aus einem anderen Salzstreuer oder gar aus einem Salzpäckchen gewürzt wird und restlos alle anderen Zutaten/Gewürze ausblenden.

Wenn genau das (grummel, ich bin wortgewandt, ich rede nur von legato, alles andere ist irrelevant) das erwünschte Informationsniveau sein soll, dann gibt es nur eine einzige Antwort: ganz nach dem jeweiligen Belieben.
 
Hinweis für Interessierte: Das Buch von Lohmann gibt's als Hochschulschrift (nämlich als seine Dissertation, 1981) und als schönes Buch (1990).

Werde ich mal in den nächsten Tagen aus einem Magazin herausholen lassen :musik032:
 
Es gibt keine Regeln, es gibt nur Wirkungen. (Ich liebe und preise meinen alten Gestaltungslehrer bis heute für diesen Satz)

Er meint damit nicht auf die 1 und 3, sondern "off-beat"
yeah, bach must schwing :musik024:
ich dachte mutiger ...
Ja, und die Fadenfrage sollte für Dich nun hinreichend dahingehend beantwortet sein, dass die Fragestellung "wo genau soll ich denn nun legato spielen und wo nicht" falsch gestellt und in die Irre führend ist.
Hee alter weisser Mann, komm mal wieder runter.
Die Leute sind hier, weil sie Spaß am Musizieren haben und nicht um Deinen Ansprüchen zu genügen.
 
Juchhu. "Lohmann" erbeutet. Dazu das Pedalbuch von Banowetz und denjenigen Scarlatti-Auswahlband mit dieser derzeit hierzuforum parallel besprochenen Repetitionssonate.

Lesen bildet und übt. Ganz bestimmt. :musik032:
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Buch von Lohmann ist ja der Hammer! Sehr gründlich.

ad "Legato bis Taktgrenze": bei Lohmann ab S. 347 des Typoskripts (Kap. IV Abschnitt c) wird die "auftaktige Bindung" diskutiert.

Erstes Fazit: auf Tasteninstrumenten mit sehr großer Vorsicht zu genießen. Kommt "sehr selten" vor, und dann auch erst in späterer Zeit (1800+-x).
 
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Das Buch von Lohmann ist ja der Hammer! Sehr gründlich.

ad "Legato bis Taktgrenze": bei Lohmann ab S. 347 des Typoskripts (Kap. IV Abschnitt c) wird die "auftaktige Bindung" diskutiert.

Erstes Fazit: auf Tasteninstrumenten mit sehr großer Vorsicht zu genießen. Kommt "sehr selten" vor, und dann auch erst in späterer Zeit (1800+x).
Eine auftaktige Bindung ist allerdings nicht dasselbe wie ein Legato über Taktgrenzen. Auftakte kommen auch innerhalb eines Taktes vor (klingt komisch, ist aber so) und werden auch dort im Regelfall nicht gebunden. Für Bögen über Taktgrenzen hinweg gibt es bei Bach zahlreiche Beispiele - nur sind es dann eben keine Auftakte:

1678130817744.png

1678130994039.png
 
Für Bögen über Taktgrenzen hinweg gibt es bei Bach zahlreiche Beispiele - nur sind es dann eben keine Auftakte:
@mick: dies sieht für mich nicht wie ein Autograph von J.S.Bach aus, aber ich kenne auch nur ein paar davon (Bach Digital ist ja eine Fundgrube dafür). Kannst du bitte die Quelle angeben, wo du das her hast?
Ich würde mich sehr für die zahlreichen Beispiele interessieren, bei denen Bach Bögen über Taktgrenzen angegeben haben soll (also Autographen, keine Abschriften mit mglw. Ergänzungen, und schon gar keine Notenherausgeber, die irgendwas dazugedichtet haben).
Ich kenne nur ein paar ganz wenige aus der Orgelliteratur, die in dem Kontext nur als Ausnahme von der Regel (siehe weiter unten) anzusehen sind.

@rolf: du hast die Busoni-Ausgabe herangezogen bzgl. Binde-Bögen in der C-Dur-Invention.
Das ist wunderbar, man sollte nur wissen, dass das natürlich eine romantisierende Ausgabe ist und zu der Zeit Mode war, Bach-Noten mit solchen Bögen zu versehen, die in die Taktschwerpunkte bzw. über Taktgrenzen hinweggingen. Bei Orgelmusik kann man sich da z.B. auch an der Straube-Ausgabe ergötzen.

Man sollte weiterhin wissen, dass das nix, aber auch gar nix mit dem Urtext zu tun hat. Bach hat dort keine legato-Bögen gezeichnet, siehe Autograph der 1. Invention

Bevor man die Frage beantwortet, wann man Bach legato spielt oder ob man in Taktschwerpunkte hineinbindet, sollte man sich erst einmal die Frage beantworten, ob man der Aufführungspraxis des Barock im Allgemeinen und J.S.Bach im Besonderen nahekommen möchte (das kann man für viele Aspekte völlig instrumentenunabhängig sehen) oder ob einem das völlig egal ist.

Wenn man sich mit der historischen Aufführungspraxis beschäftigen möchte, gibt es Primärquellen wie die von C.P.E.Bach "Versuch über die wahre Art...) und andere, und dazu jede Menge aktueller Quellen, die sich damit beschäftigen. Lohmann wurde schon genannt, Paul Heuser "Das Clavierspiel der Bachzeit" ist kompakter und erschwinglich und finde ich ebenso empfehlenswert. Die Standardspielweise ist demnach so, dass NICHT in Taktschwerpunkte oder über Taktgrenzen hinweg gebunden gespielt wurde.

Ebenso das genannte Argument, dass die Inventionen eine Lernhilfe für das cantable Spiel ist, was zweifellos stimmt, spricht dem nicht entgegen. Auch beim Singen sowie Bogen - oder Blasinstrumenten soll man "an geeigneten Orten Beide, Athem und Bogenstrich, wechseln, und am allerwenigsten einer anderen als Hauptnote, vor welcher auch allein nur jener Wechsel stattfinden kann, einen Accent geben" (Quelle: P. Heuser S.75 bzgl. Artikulation/Legato, aus einer Encyclopädie der damaligen Zeit)

Wichtig ist auch zu wissen, dass diese grundlegende Artikulationsweise unabhängig vom Instrument zu sehen ist und somit unter anderem auch für alle Tasteninstrumente jener Zeit galt. Das Clavichord kommt dem Klavier in der Hinsicht am nächsten, als das es - im Gegensatz zum Klavier - beliebig feine Dynamikabstufungen zulässt (es gibt keinen Hammer, der "verhungern" kann, sondern eine Tangente, die unendlich zart anschlagen kann). Den Grund, dass diese grundlegende Artikulationsweise bzgl. Taktschwerpunkten nicht auch für das heutige Klavier gelten soll, bloß weil es damals noch nicht existierte, sehe ich nicht so. Diese Basisdinge barocker Spielart sind Instrumentenunabhängig.
 
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@Mindenblues du missverstehst das, was ich mit diesem Notenbeispiel gezeigt habe:
1. verdeutlicht es motivische Zusammenhänge: diese laufen in dieser Invention stets auftaktig ins erste und dritte Viertel, also auch über den Taktstrich hinweg - ergo ist der Taktstrich keine "Grenze", vor welcher man absetzen muss, wenn man denn legato artikuliert; zuvor kam aber die irrige Behauptung auf, dass Taktstriche solche Grenzen seien.
2. explizit legato-Bögen soll Busoni da notiert haben? Warum notiert er dann zwei Bögen übereinander (einen langen, unter dem sich mehrere kürzere befinden)? Die widersprechen einander doch... Primär, wie ich zuvor schon angemerkt hatte, zeigt Busoni instruktiv die motivischen Zusammenhänge, die sich Anfängern nicht ohne weiteres erschließen.
Kurzum: das ist kein "romantisierender" Legatoexzess ;-)

Die Standardspielweise ist demnach so, dass NICHT in Taktschwerpunkte oder über Taktgrenzen hinweg gebunden gespielt wurde.
...das müsste zu einem Schluckauf vor jedem Taktschwerpunkt führen, den ich in keiner gesungenen Bacharie je zu hören bekam. Und was Tasteninstrumente betrifft, so müsste das Praeludium BWV 904 mit seinen massenhaften Überbindungen wohl eigens gegen diese "Regel" komponiert worden sein ;-)
 

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