Das liegt aber doch (mutmaßt eine Laiin) auch daran, dass er sich – im Vergleich zu seinen Kollegen – am meisten Zeit lässt, oder? Zwischen der Interpretation von Richter und Ugorski liegen mehr als 2 ½ Minuten. Die Dauer der beiden Aufnahmen von Horowitz sind auch unterschiedlich lang, wenn auch deutlich wenige
Das ist sicherlich ein richtiger Aspekt. Das liegt aber vor allem an dem, was vor alla marcia passiert. Man kann das ausprobieren, wenn man mit das Thema bereits schneller angeht. Entscheidend ist die allgegenwärtige Kraft, die das Stück pausenlos vorantreibt, unübersehbar auch durch Scriabins Tempi vorgegeben. Man merkt auch bei Horowitz, das die Tempi sehr bewusst so gewählt sind, er wusste genau, was er er da tat. Bei Ugorski sind die Tempi nie extrem ausgereizt. Sein Spiel ist nicht so ultraexpressiv wie bei Horowitz. Auch nicht bei den anderen Sonaten, soweit ich das bis jetzt gehört habe. Er fokussiert mehr auf Klang und Melodielinie. Das sind zwei verschiedene Ansätze. Ich habe ihn einmal vor vielen Jahren im Konzert gehört. Da hat er sich offensichtlich über das Handyklingeln aus dem Publikum so geärgert, dass er Verzögerungen bei Mussorgski eingebaut hat, die ebenso nervten. Als Zugabe gab's dann Für Elise. Eigentlich wollte ich dieses Konzert aus meinem Gedächtnis streichen.
Auch andere neuere Aufnahmen sind eher auf Klarheit bedacht. Das Stück liegt darüber hinaus sehr gut in den Händen, was bei Scriabin nicht immer der Fall ist. Daher kann man einen weiten Bereich an Tempi ausprobieren ohne an technische Grenzen zu stoßen. Man kann dann zwei Minuten schneller sein oder langsamer: Wenn es gut gemacht ist, kann das eine wie das andere überzeugen.
Ich selbst bin hauptsächlich an der Spannungskurve interessiert. Man entwickelt mit der Zeit eine regelrechte Choreographie dafür. Logische Brüche sind unverzeihlich. Und natürlich an der Entwicklung des Klangs.
Als eine gute Aufnahme bezeichne ich per definitionem eine klar durchdachte, schlüssige und transparent umgesetzte, also nachvollziehbare Interpretation. Ferner muss nach subjektiver Erfahrung der Wunsch auf wiederholtes Hören entstehen. Eine solche Aufnahme gibt es noch nicht für die 9. Allerdings habe ich die Hamelin-Aufnahme noch nicht. Übrigens fehlt auch für die 24 Preludes, die hier ein eigenes Forum bilden, eine entsprechende Aufnahme.
Ich schweife nun etwas ab, ich habe gerade Zeit; Klarheit gibt es auch bei sehr schnellen Tempi. Z.B. die fis-moll Etude von Rachmaninoff in der irrwitzig schnellen Interpretation von Gavrilov. Man hört jeden einzelnen Ton. Alles Staccato. Viel mehr kann das menschliche Gehör zeitlich nicht auflösen. Als Großmeister seiner Zunft weiß er natürlich genau, wieweit er gehen kann, um nicht den Hörer zu überfordern und die Kritikergeduld überzustrapazieren. Leider hat er die Skriabin-Sonaten nie eingespielt.
Ich bedaure, das der Komponist dieses Werk nicht als Aufnahme hinterlegt hat. Wäre hochinteressant gewesen, was er sich konkret unter einer Exstase vorgestellt hat. Denn das Konzept birgt vielleicht einen Widerspruch. Ein Pianist, der am Ende in Exstase verfällt und gleichzeitig überzeugend spielt - wie soll das gehen. Letztlich ist dieses Stück dann doch der Triumph des Willens über die Exstase.
Dass jemand, der so etwas komponiert hat, ein brillianter Pianist gewesen sein muss, ist dringend zu erwarten.