Vier Fragen dazu:
1. Hilft ein Verständnis der Harmonielehre tatsächlich dabei, ein Stück besser zu spielen? (Also taugt es etwas für die Praxis des Klavierspielers?)
Nein. Du kannst tausend Fachbücher über das "in die Wand nageln eines Nagel" lesen, wenn du mit dem Hammer in der Hand nur deinen Daumen aber nicht den Nagel triffst, haben die die Bücher nichts gebracht
Durch Theorie wirst du praktisch kein bessere Pianist.
Aber theoretisch wirst du besser...
2. "Versteht" man das Stück nach harmonischer Analyse besser und was ist da mit "Verstehen" gemeint?
Eigentlich ist es genau so wie du beschreibst. Du verstehst den Text besser.
Die Harmonien zu kennen und zu verstehen bedeutet das du den Aufbau und die Struktur eines Stück kennst.
Befasst du dich zusätzlich mit Formlehre, kennst du die "durchschnittliche" (nicht generell! Zu meinem eigenen Leidwesen gibt es keine "generelle Form" in der Musik) Form eines Stück.
Formlehre sagt dir quasi :
"Du bist in der Tonika, dann kommt der Wechsel in die Dominante bevor es über die Subdominante wieder in die Tonika geht und das war Teil A des Stück.
In Teil B passiert das das und das.
Und eigentlich wird in dem Stück nur A-A-B-A gespielt...."
Die Harmonielehre sagt dir dazu :
" der Wechsel in die Dominate ist eigentlich die Parallel Dur weil du in Moll bist. Der Wechsel in die Subdominante ist eigentlich eine Sextakkord weil der besser in einen Dominant Akkord spielt.
Hier ändert sich die Tonart in dem der Komponist so, so und so moduliert um über den spannungsgeladenen 7er in die neue Tonart Z-Moll zu kommen .. "
Anders und wahrscheinlich kürzer :
Entweder du bist Maurer und kannst Stein auf Stein setzen oder du bist Architekt und verstehst es einen Plan /eine Struktur zu erschaffen.
3. Bei den Rezensionen dieses Buchs von de la Motte habe ich folgende Kritik gefunden
Lass dich von so was gar nicht ablenken.
Wieviel Arten gibt es um ein Fische zu fangen? Angeln mit der Rute, mit einem Netz, mit einem Speer, einen Bogen, Dynamit.....
Gönn dir das Buch (oder irgendein anderes) und lerne Grundlagen.
Danach kannst du dich mit allen anderen beschäftigen.
4. Stimmt es, dass Bach die Funktionsharmonik gar nicht kannte?
"Obwohl
Bach die Funktionstheorie nicht bekannt war, lassen sich seine Choräle (in Grenzen) mit ihr beschreiben."
Das Bach die Funktinsharmonie nicht kennt bedeutet nicht, dass er keinen Plan davon hatte was er da tat.
Zu seinen Zeiten waren Musiker und Komponisten echte" Handwerker".
Die wussten aus Gewohnheit, was gut klingt und wie etwas gespielt wird.
Du kannst das nicht mit heute vergleichen, wo man ein Bach Fuge mal Sonntags in einen Konzert hört und das ganze für "ganz große Kunst" hält.
Das lief, gerade in einer Musiker Familie wie der Familie Bach oder Mozart, Tag täglich - rauf und runter.
Bist du irgendwo einen Kaffee trinken gegangen - > Fuge A gehört. Danach bist du in die Kirche - > Fuge B gehört. Abends in der Kneipe ein leckeren, mit Blei belasteten Weißwein getrunken - Fuge C.
Und wenn du daheim warst hast du deiner Familie am clavichord noch Fuge D vorgespielt.
Mach das ein Leben lang und dein Ohr hört in jeder fuge jede Stimme an jedem Punkt.
Außerdem muss die niemand mehr in die Noten schreiben wann du p, pp, mf, f oder FF spielst und du musst auch nicht mehr (mit Harmonielehre) heraus finden in welcher Tonart du bist, welcher Akkord gerade klingt und was als nächstes passiert.
Bei simpler Pop Musik brauchst du das "große Besteck" ja auch nicht um zu erahnen was als nächstes kommt.
So oft wie du radio hörst weißt du einfach: Intro - Strophe - Refrain - Strophe - Refrain - Outro.
Ich hab zur Zeit eine Telemann Fuge als Übungs stück bei der ich zwei Takt "falsch" gespielt habe.
Ich hab es gar nicht "falsch gespielt" nur ist meinen Lehrer sofort aufgefallen das meine Betonung absolut falsch ist,was daran lag dass ich die Noten gespielt hab aber den Sinn außen vor gelassen hab. Nachdem wir die Stelle richtig erarbeitet haben meinte ich "so hab ich mir das beim Hören auch gedacht aber so hat er es nicht hin geschrieben" worauf mein Lehrer antwortete "Warum auch? Sie selbst haben doch gehört wie es richtig ist und zu seiner Zeit hätte niemand danach gefragt Die wussten ja wie es sein soll ".
Ich hoffe, es gibt Antworten, die dabei helfen zu verstehen, was es mit der Harmonie-Analyse überhaupt auf sich hat.
Ich hoffe auch das mein Beitrag und das wilde QUOTE setzen sich gelohnt hat