Wie spiele ich Bach?

Bach und das Pedal:
Weltanschauungen, die aufeinander prallen.
Mein verehrter Prof. an der Hochschule sagte einmal einigermaßen resigniert zu mir: wenn Sie bei Bach Pedal nehmen müssen, dann nehmen Sie es halt.

Inzwischen denke ich: mit dem "müssen" hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Wenn man Pedal nehmen m u s s , hat man Bach nicht verstanden, oder man kann ihn nicht spielen, welchbeide Phänomene letztlich ineins fallen.
Natürlich kann man auf dem modernen Flügel die Klang-, also auch Pedalmöglichkeiten nutzen. Geschmackvoll, ohne die Struktur zu (zer) stören. (sic); andererseits ist es zumindest als Experiment eine lohnende Erfahrung zu sehen, wieweit man hier mit pedallosem Spiel kommt.Was mann an Klangfülle und etlichen Spritzern aus dem großen Farbkasten "Pedal" verliert, gewinnt man an Transparenz und Luzidität.
Das kann wirklich ein kostbares Vergnügen sein. Einen Versuch ist es allemal wert. Kein Pedal zu nehmen ist ein toller Pedaleffekt.

Ich vermisse bei Andras Schiffs Einspielung des Wohltemperierten Klaviers überhaupt nichts. Er nimmt bei genau e i n e m Stück Pedal.
Ich finde u.a. Svjatoslav Richters Einspielung des WC's so langweilig wegen des pauschalen Pedalgebrauchs.
 
Ich spiele viel Bach (8 Paare aus WTK1).
Ich spiele die Stücke so, wie ich sie mir vorstelle.
Es ist mir ziemlich egal, wie die Sachen auf Cembalo oder Clavichord geklungen haben.
Die Kompositionen sind so stark, dass sie mir heute noch was zu sagen haben, ohne die geringste Nostalgie.
Ich benutze dezent ("forte"-)Pedal.
Ich würde auch ein Sostenuto-Pedal benutzen, wenn ich eines hätte.

Grüße
Manfred
 
Empfehlenswert zum Thema finde ich die DVD "Bach Performance on the Piano" von Angela Hewitt.

Liebe Grüße
Gernot
 
Mein verehrter Prof. an der Hochschule sagte einmal einigermaßen resigniert zu mir: wenn Sie bei Bach Pedal nehmen müssen, dann nehmen Sie es halt.
...das war dann sicherlich nicht der, von dem diese schönen (und sehr zutreffenden!) Zitate stammen:
Bachpedal 1.png
Bachpedal 2.png
Bachpedal 3.png
Bachpedal 4.png
Bachpedal 5.png
Bachpedal 6.png
(Prof. Karl Betz - kann man hier finden und nachlesen: http://karlbetz.de/# )

Natürlich kann man auf dem modernen Flügel die Klang-, also auch Pedalmöglichkeiten nutzen. Geschmackvoll, ohne die Struktur zu (zer) stören. (sic); andererseits ist es zumindest als Experiment eine lohnende Erfahrung zu sehen, wieweit man hier mit pedallosem Spiel kommt.Was mann an Klangfülle und etlichen Spritzern aus dem großen Farbkasten "Pedal" verliert, gewinnt man an Transparenz und Luzidität.
Das kann wirklich ein kostbares Vergnügen sein. Einen Versuch ist es allemal wert. Kein Pedal zu nehmen ist ein toller Pedaleffekt.
das ist wohl wahr, aber erstens nicht immer und überall, und zweitens begrenzt sich das nicht auf Barockmusik (!) - z.B. das Kükenballett (Mussorgski) spielt sich prima und klingt prima ohne rechtes Pedal (allerdings una corda - die Trillerkette im Trio hingegen wäre ohne Pedal gräßlich)
 
Ich vermisse bei Andras Schiffs Einspielung des Wohltemperierten Klaviers überhaupt nichts. Er nimmt bei genau e i n e m Stück Pedal.

Schiffs Einspielung ist extrem mit Hall nachbearbeitet oder in einem sehr halligen Ambiente aufgenommen worden - da kann man wohl aufs Pedal weitgehend verzichten.
Ich glaube schon, dass er trotzdem bei mehreren Stücken als nur EINEM Pedal gebraucht, wenn auch immer nur kurz, um einige längere Töne beizubehalten. Das nimmt man bewusst halt nicht wahr - nur wenn man den Notenztext mitliest und genau hinhört.

Meine persönliche Meinung ist natürlich: mit Pedal (linkes und rechtes) - man sollte doch die Klangfarben eines modernen Klaviers nutzen. Ich persönlich sehe keinen Sinn darin, z.B. das 1. Präludium in einem normalen Raum ohne Pedal zu spielen - es klingt etwas zu flach.
 
Schiffs Einspielung ist extrem mit Hall nachbearbeitet oder in einem sehr halligen Ambiente aufgenommen worden - da kann man wohl aufs Pedal weitgehend verzichten.
Ich glaube schon, dass er trotzdem bei mehreren Stücken als nur EINEM Pedal gebraucht, wenn auch immer nur kurz, um einige längere Töne beizubehalten. Das nimmt man bewusst halt nicht wahr - nur wenn man den Notenztext mitliest und genau hinhört.

Meine persönliche Meinung ist natürlich: mit Pedal (linkes und rechtes) - man sollte doch die Klangfarben eines modernen Klaviers nutzen. Ich persönlich sehe keinen Sinn darin, z.B. das 1. Präludium in einem normalen Raum ohne Pedal zu spielen - es klingt etwas zu flach.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er fälschlicherweise behauptet, aufs Pedal zu verzichten. Hat er doch nicht nötig.
Im youtube-Video ist bei den Musikausschnitten kein Hall, und er sagt, Bach mit Pedal ist wie Reden mit vollem Mund.

 
Zwei Zwischenfragen:
1) Gibt es nicht auch Cembali(?) mit Pedal? Für was sind die da? und
2) Ist ein Trillio mit Schleifer wie ein idem zu spielen?
 

zu 1.: Ja, bei sog. Panzern des 20 Jh. zur Schaltung der Register. Bei einem gut klingenden Instrument ist allerdings die Schalterei überflüssig. Das braucht man nur, wenn es - wie bei diesen Kisten - nach nix klingt.

zu 2.: Die Frage ist nicht zu verstehen. "Idem" heißt gleich oder genauso.
 
Jein, die Aufklärung mit ihrem Bestreben, das verfügbare Wissen enzyklopädisch festzuhalten brach damals ja erst an. Die klassischen Instrumentalschulen von Mozart, Quantz und Carl Philipp sind eine Generation später. Trotzdem würde ich letzteren für eine gute Quelle halten. Wobei es ja um Spielen grundsätzlich geht, nicht um die Interpretation Bachscher Werke.
Auch wenn die erwähnten Instrumentalschulen erst später entstanden sind, so geben sie doch einen Einblick in Gestaltungsfragen und Interpretationsansätze in der ersten Hälfte und in der Mitte des 18. Jahrhunderts, ohne das tatsächliche Spiel nachvollziehbar akustisch abbilden zu können - erst weitere ein bis anderthalb Jahrhunderte später änderte sich das, als die Möglichkeit bestand, Schall zu konservieren, also auch nicht notierte respektive notierbare Ereignisse. Dennoch sind selbstredend spärliche Angaben immer noch mehr wert als gar keine. Des weiteren ist der Umstand in Betracht zu ziehen, dass sich die direkte Nachfolgegeneration der Interpreten mit Bach'scher Literatur ebenso befasst hat wie dies auch die Komponisten taten: Selbstverständlich hat sich Mozart mit dem "strengen Satz" ebenso abgegeben wie Beethoven, dessen intensive Beschäftigung mit polyphonen Gattungen und Formen im Spätwerk ohne kontrapunktische Kenntnisse barocker Vorbilder niemals zu gelungenen Resultaten hätte führen können. Eine "Große Fuge" ohne geistige Verbindung zu Bach halte ich für unvorstellbar - gerade dann, wenn sie nicht eine vorgegebene Form schulmäßig ausfüllt, sondern einem eigenen Duktus folgt.

LG von Rheinkultur
 
Ah ja: Da das Gewichtspiel genannt wurde. Auch das ist ein primär pianistisches Mittel. Ob man das so oder anders macht, bleibt zu diskutieren. Auf historischen Tasteninstrumenten wird völlig ohne Armgewicht gespielt.
Das mag zutreffen bei Instrumenten bis zum fortgeschrittenen 18. Jahrhundert, gilt aber nicht mehr für Instrumentarium aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

LG von Rheinkultur
 
zu 1.: Ja, bei sog. Panzern des 20 Jh. zur Schaltung der Register. Bei einem gut klingenden Instrument ist allerdings die Schalterei überflüssig. Das braucht man nur, wenn es - wie bei diesen Kisten - nach nix klingt.
Wozu die Schalterei da ist, kann man hier sehr deutlich hören:



Spätestens jetzt ist klar, weshalb Cembalo und Orgel mehr Gemeinsamkeiten haben als Cembalo und Klavier. Allerdings ist diese Art und Weise des Bach-Spiels heute so nicht mehr anzutreffen. Sie ist vergleichbar mit Furtwänglers Interpretation Bach'scher Orchestersuiten, die sich wie die Kreuzung mit einer Bruckner-Symphonie anhören.

Möchte man zurück zu der Pedalisierungsfrage für Pianisten, eignet sich diese Aufnahme als Zeitbezug:



Ebenso pianistisch wie vernünftig pedalisierend agierte bereits der junge Wilhelm Backhaus, der eine der frühesten Bach-Einspielungen überhaupt hinterlassen hat:



Vergleichbares gilt für Scarlatti:



Und für Händel ebenfalls:



Insofern sind diese Aufnahmen bemerkenswert, als in der Frühzeit des Zeitalters der Schallplatte klassische und vor allem vorklassische Literatur in vergleichsweise geringem Umfang eingespielt wurde. Im Laufe der Jahrzehnte änderte sich dieses ungleiche Verhältnis.

LG von Rheinkultur
 
Meine zweite Woche mit der D-Dur Invention neigt sich bald dem Ende und meine ersten Eindrücke und Spielweisen:

  • Glenn Goulds Aufnahme gefällt mir hier gut - sie ist flott, lebhaft und übertreibt nicht mit zusätzlichen Verzierungen
  • Die eingezeichneten Legtaobögen habe ich meistens streng beachtet - dass es noch bessere Wege gibt, innerhalb einer Stimme zu phrasieren, ist natürlich klar - aber mir gefällt diese Art ganz gut
  • Die so geschaffenen Phrasen trenne ich deutlich voneinander ohne den Fluss der Musik zu stören
  • Sämtliche Triller spiele ich mit einer kurzen Verzögerung zu Beginn und einer Beschleunigung zum Ende - mein KL meint, so sei eher ein barocker Triller zu spiele und ich finde es hört sich genial an und auch ähnlich zu den meisten Aufnahmen
  • Das hervorheben der Zweitstimme in der l.H. ist schwer aber unbedingt am Klavier umzusetzen
  • Am Cembalo gespielt hat das Werk noch einen ganz anderen Klang und sollte unbedingt auch an einen solchen zusätzlich gespielt werden
  • Pedal ist bei dieser Invention nicht nötig
  • Bachs Musik gefällt mir sehr gut - es macht extrem Freude mit ihr zu üben und sie zu spielen - entsprechend sollte diese Invention in paar Tagen grob fertig sein
 
Ich vermisse bei Andras Schiffs Einspielung des Wohltemperierten Klaviers überhaupt nichts.

Das geht mir auch so!

Ich hatte neulich Gelegenheit zu beobachten, dass Andras Schiff zumindest bei den Goldbergvariationen und beim Italienischen Konzert auch mit Pedal gespielt hat, allerdings sehr sparsam. Bei seiner (herrlichen) neueren Aufnahme der Partiten habe ich ebenfalls den Eindruck, dass er Pedal verwendet. Er selbst scheint also auch kein Dogma daraus zu machen, dass man Bach grundsätzlich ohne Pedal spielen muss.

Das beschreibt und demonstriert er auch hier im Gespräch mit Arik Vardi (ab ca. 02:30 bis ca. 07:00 min). Ich finde das Argument, dass man Bachs Musik ohne Pedal spielen sollte, weil die Instrumente der Bachzeit keines hatten, allerdings auch ein bisschen merkwürdig, besonders wenn man gleichzeitig befürwortet, Bachs Musik auf einem modernen Flügel zu spielen. Aber aus dem Interview geht auch hervor, dass es Schiff weniger um die Etablierung eines Dogmas „Du sollst Bach nicht mit Pedal spielen“ geht, sondern darum, dass Transparenz das oberste Gebot ist.



Auch von Murray Perahia kann man eine Menge über die Frage „Wie spiele ich Bach?“ lernen. Z.B. beschreibt er hier, dass „unter der Oberfläche“ von Bachs Instrumentalstücken oft ein Choral zu finden ist, und dass es für die Entwicklung einer guten Klangvorstellung wichtig ist, dies aufzuspüren. Zur Verwendung von Pedal sagt er auch etwas (ab ca. 13:20), nämlich dass die häufig anzutreffende Vorstellung, Bach müsse irgendwie trocken klingen, seiner Meinung nach ein Missverständnis ist. Bachs Instrumente (hauptsächlich Orgel und Cembalo) haben nämlich einen gewissen Nachhall bzw. Nachklang, den das moderne Klavier nicht hat, so dass eine 1:1 von der Orgel/dem Cembalo auf das Klavier übertragene Artikulation völlig anders (trockener, kürzer) klingt als auf dem Originalinstrument. Er sagt außerdem, dass der Klavierklang lebendiger (bewegter bzw. weniger statisch) wird, wenn er Pedal einsetzt und demonstriert das auch.



Sowohl Perahia als auch Schiff höre ich sehr gern Bach spielen. Es kommt vielleicht gar nicht so darauf an, ob man nun Pedal verwendet oder nicht.
 
Ob bei Aufnahmen von Schiff nachträglich Hall zugemischt wurde oder die Mikrofonierung anders war als eine trockene Direktaufnahme, weiß man wohl nicht. Aber wie hört denn der Hörer im Livekonzert? Er erlebt die Raumaukustik.
Die Vorlieben der Pianisten sind wohl unterschiedlich. Ich meine zu erinnern, daß Gould sich bei seinen Tontechnikern beschwert hat, weil die Mikrofone zu viel vom Raum aufgenommen haben und meinte, er hätte sich so viel Mühe für sein Nonlegato-Spiel gegeben und nun machen die bei der Aufnahme alles wieder kaputt.
Von Richter wurde gesagt, daß er bei der Aufnahme seiner Schubert B-Dur Sonate zu den Technikern gesagt haben soll "Bleibt mir bloß mit den Mikrofonen vom Leibe". Er mochte also die trockene Direktaufnahme nicht.
Als ich die erste Schiff-Einspielung der Goldberg-Variationen gehört habe, war ich begeistert von der Klangfarbigkeit seines Spiels. und nun gefiel mir dies besser als die trockene Art von Gould. Auch das lag vielleicht nicht nur am Spiel sondern auch an der Aufnahmetechnik und nicht unbedingt am künstlichen Zumischen von Hall.
Liveaufnahmen werden wohl auch anderes behandelt als Studioaufnahmen. Aber ich lese immer mal wieder, daß die Aufnahmen nicht im Studio sondern in akustisch günstigen Sälen aufgenommen wurden.

Gruß
Manfred
 
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Reaktionen: Joh
Da mir von Klavierlehrern immer wieder gesagt wird, dass zu Zeiten Bachs es diese ganzen Zusätze in den Noten (insbesondere Legato-Bögen) nicht gab, frage ich mich, ob man sie vielleicht getrost ignorieren sollte?
 
Da mir von Klavierlehrern immer wieder gesagt wird, dass zu Zeiten Bachs es diese ganzen Zusätze in den Noten (insbesondere Legato-Bögen) nicht gab, frage ich mich, ob man sie vielleicht getrost ignorieren sollte?

Wenn es überzeugt probier es doch... wobei du selbst Achteln binden kannst wenn du es magst. Oder du bindest achteln nur auf Zählzeiten oder dazwischen genauso mit den 16teln. Bestimmte seufzermotive kann man mit legato hervorheben oder es lassen. Ein Stück kann durchs martelato schnell aufmüpfig klingen oder durch starkes binden der noten/Phrasen kann es genauso cantabel werden.

Wichtig ist das du dir einfach Gedanken über die Stimmen und Phrasen machst und du dich dann quasi für eine Idee entscheidest. Denn deine Idee sollte sich schon wie ein roter Faden durch das Stück hindurchziehen.

Höre dir echt mal viele verschiedene interpreten an! An ein und dem selben Stück. Und sperr deine Ohren ganz weit auf. Es ist echt spannend wie unterschiedlich bach gespielt wird! Phrasierung/legato/nonlegato/ die tempis/ ab und an rubatis, welche stimmen führen uvm.

Ganz flax zu behaupten "einfach so" gibst da nicht:-)

Lg lustknabe
 

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