Es ist ein Unterschied, ob man Zyklen, Variationswerke u.ä. im Konzert aufführt oder sie nutzt, um bestimmte Dinge daran zu üben.
Im Konzert wiederum muss man unterscheiden zwischen Zugabe und Programm. Wenn im Programm ein Zyklus oder Variationen genannt sind, muss man ihn/sie in der Regel komplett spielen. Es ist auch absolut unüblich, einzelne Stücke daraus ins Programm zu nehmen, weder z.B. aus den Preludes von Chopin oder den Kinderszenen.
Ganz anders sieht es bei den Zugaben aus. Da hört man sehr wohl einzelne Stücke aus Zyklen wie das Regentropfenprelude oder die Träumerei. Auch einzelne Sätze von Sonaten sind möglich. Es geht dabei u.a. um eine Ergänzung des Programms, darum, dem Programm ein Sahnehäubchen aufzusetzen, auch darum, sich selbst gut zu verkaufen und die Bandbreite seiner Kunst dem Publikum zu zeigen.
Gerade wenn das Programm aus längeren Stücken bestand, ist die (häufige - wer war das nochmal, der die Goldbergvariationen als Zugabe gegeben hat? :D ) Kurzform von Charakterstücken, die Brillanz von Etüden oder "Rausschmeißern" als Zugabe eine für das Publikum sehr angenehme, abwechslungsreiche und dabei wirkungsvolle Sache. Es werden gern bekannte Stücke genommen, die dem Publikum das Gefühl von "zu Hause" geben oder auch Extravagantes oder Überraschendes. Für Zugaben gilt also die allgemein gültige Regel, einen Zyklus (einzelne Variationen mit Thema habe ich noch nie gehört) komplett zu spielen, nicht.
Was das häusliche Üben betrifft, ist es aus meiner Sicht durchaus vorteilhaft, auszuwählen und einen Zyklus/Variationenwerk nicht komplett zu spielen. Das Thema muss allerdings bei Variationen immer dabei sein! Ohne den direkten Bezug zum Thema sind die Variationen nicht verständlich, auch wenn sie einzelne kleine Meisterwerke sind. Beim Hören und Spielen ergibt sich aber als wesentliches Element die Spannung auch immer aus dem Gerüst, dem Thema, und dem, was der Komponist in einer Variation draus macht.
Beim Üben und im Unterricht, beim didaktischen und methodischen Aufbau können jedoch einzelne Stücke aus Zyklen und Variationen (mit Thema) sehr sinnvoll sein! Viele Schüler haben nicht so viel Zeit zum Üben (Folge: sorgfältige Auswahl der Stücke) und die Schwierigkeitsgrade von Stücken aus Zyklen können sehr unterschiedlich sein.
Wer das Regentropfenprelude spielen kann, kann noch lange nicht die virtuosen Preludes spielen. Er kann aber trotzdem viel lernen, wenn er "nur" das Regentropfenprelude spielt. Von einzelnen Variationen der c-moll-Variationen von Beethoven ebenso. Es wäre aus meiner Sicht methodisch verfehlt, nur deshalb NICHT einzelne Variationen zu üben, weil man nicht das ganze Werk spielen kann.
Das didaktische Ziel ist es dabei nicht, das ganze Stück bis ins kleinste zu verstehen, sondern bestimmte technische und musikalische Aspekte zu erlernen oder zu vertiefen. Es ist aus meiner Sicht kein Missbrauch eines solchen Stücks, es zur Verbesserung der eigenen technischen und/oder musikalischen Fähigkeiten zu verwenden! Ich bin eher froh, dass wir diese Stücke haben. Sowohl als Pädagogin wie als Pianistin wie als Hörer.
Liebe Grüße
chiarina