Es ist immer leicht sich über Unwissenheit bei anderen in Gebieten zu wundern, für die man sich selber interessiert. Gleichzeitig kann man sich selber die Frage stellen, ob man diverse Baustile mit den wichtigsten Architekten und Gebäuden benennen kann oder die wichtigsten Gemälde des Jugendstils, die wichtigsten literarischen Werke und stilistischen Merkmale der Sturm und Drang - Strömung, etc. Selbst wenn man der klassischen Musik nicht abgeneigt ist kann man sich die Frage stellen, ob man die letzten drei Opern Verdis benennen kann oder die Hauptfiguren des Rings. Eine Definition des nötigen Allgemeinwissens in der Kunstmusik halte ich für schwierig.
Viele Grüße!
Guter Punkt. Ich selbst habe diesen Anspruch an mich, ja. Und wäre wohl auch dazu in der Lage, obwohl ich keine Geisteswissenschaft studiert habe. Aber um Deine Beispiele aufzugreifen:
- Baustile: Hier sollte man auf jeden Fall die wichtigsten kennen und sie auch grob geschichtlich einordnen können (Gotik, Renaissance, Jugendstil, Nachkriegsmoderne usw...kein Anspruch auf Vollständigkeit, nur exemplarische Aufzählung)
- Literatur: Auch hier...die Strömung "Sturm und Drang" sollte man zumindest grob mit der Aufklärung in Verbindung bringen können; und wenigstens Goethes "Werther" könnte als Beispiel erwartet werden, ebenso wie Schillers "Räuber". Das war immerhin Pflichtlektüre in der Schule.
Ebenso finde ich es selbstverständlich, dass einem Namen wie Hesse, Mann, Dostojewskij und Gogol keine Fremdwörter sind - trifft auf viele weitere (Schiller, Kafka etc) zu. Dass das Gros der Bevölkerung mit "Heinrich Wilhelm von Gerstenberg" etwas anzufangen weiß, würde ich freilich nicht erwarten.
Ich bin aber in puncto Bildung auch sehr klassisch und konservativ veranlagt und habe eine große Affinität zu Kunst in jeglicher Form; dazu kommt eine von Natur aus unstillbare Neugier.
Obwohl ich selbst nicht in dieser Branche tätig bin, könnte ich aus dem Stegreif auch etwas zu den bedeutendsten Entwicklungen im Automobil-Bereich (Design, Interieur etc.) erzählen; jeder fährt ein Auto und redet ganz selbstverständlich über Linienführung, da sollte einem mMn auch (zum Beispiel) Ian Callum ein Begriff sein; erst recht, wenn man einen Jaguar fährt oder gern den Aston aus diversen 007 - Filmen anpreist.
Außerdem gilt für mich die "goldene Regel": Wovon ich nichts verstehe, davon schweige ich. Und höre demütig und wach zu, wenn ein Connaisseur mir neue Welten eröffnet. Ging mir letztens erst so beim Thema Wein: Natürlich kannte ich die bekanntesten Sorten, wusste über die Grundlagen des Anbaus und des Lagerns Bescheid; aber als ich essen war und wir hatten einen Sommelier in der Runde, habe ich es genossen, mehr darüber zu erfahren. Das ist doch ein Privileg!
Vielleicht bin ich da auch einfach etwas extrem. Ich erwarte sowas ja auch, wie schon erwähnt, nicht (mehr) von meinen Mitmenschen.
Ich freue mich auch aufrichtig über jede Art von musikalischem Interesse!! Echtes und aufrichtiges Interesse an einer Operninszenierung ist mit im Zweifelsfalle auch lieber als zur Schau gestelltes Wissen im Sinne eines elitären Abgrenzungsversuches durch die selbsternannte "Oberschicht".
NACHTRAG: Übrigens gilt dieser Anspruch vor allem auch in Bezug auf die Naturwissenschaften!! Ich finde es wichtig, mathematische, chemische und physikalische Grundlagen verstanden zu haben und auch anwenden bzw. abstrahieren zu können. Vielleicht kommt man auch ohne durchs Leben, aber ich würde sie persönlich im Sinne eines umfassenderen Verständnisses von der Welt und dem Geschehen um mich herum nicht missen wollen.