Wie kann ich die Verteilung der Hände bei polyphonen Werken regeln?

... abgesehen davon, dass sich zu Bachs Zeiten niemand einfach so in der Kirche an die Orgel gesetzt hätte, um dort ein bisschen galante weltliche Tanzmusik zu spielen.

An eine große Orgel hat sich zu Bachs Zeiten sowieso niemand "einfach so" gesetzt. Ohne einen kräftigen Assistenten waren dem Instrument nämlich keine Töne zu entlocken.

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Wenn man sich zum privaten Zeitvertreib oder zum Üben an eine Orgel gesetzt hat, dann war diese Orgel ein Positiv ohne Pedalklaviatur (Pedale waren dann zum Betätigen der Bälge vorhanden). Solche Orgeln standen beileibe nicht nur in Kirchen, sondern auch in Schulen, Privathäusern, Theatern, Schloßgemächern. Wenn man Clavierwerke mit obligatem Pedal zum Privatgenuß spielen wollte, mußte man sich ein Pedalcembalo zulegen, ein solches besaß auch J. S. Bach.

Cum grano salis: Stücke ohne Pedalstimme konnten problemlos auf der Orgel gespielt werden, Stücke mit Pedalstimme auf dem Cembalo.

Abgesehen davon wurde zu Bachs Zeiten nachweislich auch galante Tanzmusik in der Kirche musiziert. Einen sehr eindrücklichen Beleg für genuine Orgelmusik dieses Genres ist (zwar nicht aus Bachs protestantischem Umfeld, sondern) aus einem süddeutschen Kloster:
https://www.carus-verlag.com/themen/orgelmusik/ochsenhauser-orgelbuch-harmonia-organica.html

Der barocke Autor exemplifiziert das zuvor theoretisch Dargelegte anschaulich in 44 (anonymen) Stück(ch)en, die passgenau auf die registriertechnisch-klanglichen Möglichkeiten des Ochsenhausener Gabler-Werks justiert sind. Erstaunen mag angesichts des durch und durch geistlich-katholischen Umfelds die Tatsache, dass lediglich ein (!) einziges dieser Notenexempel explizit ein geistliches Genus vertritt (Veni Sancte Spiritus). Die übrigen, im empfindsam-galanten Stil der aufbrechenden Rokokozeit gehaltenen [...] Opuscula werden nach Tänzen (Gavotte, Allemande, Sarabande . . .) und/oder den ihnen zugewiesenen Orgelregistern (Flaschinette, Flauto-Dus, Sonaglion etc.) betitelt - ein deutlicher Beleg dafür, wie „liberal“ und unbeschwert-heiter an den oberschwäbischen Klöstern seinerzeit mit (Orgel-)Musik umgegangen wurde.
 
Ich finde schon, dass man das unterscheiden kann, ob es Orgel oder Klaviermusik ist. Bach geht sehr sorgfältig vor mit typischen Cembalonotationen. Gerade gibt es einen Thread zum Pedalgebrauch, wo man style luthé Notationen findet. Das ist sicher keine Orgelmusik, auch nicht bei weltlichen Tanzsätzen.
Bei anderen Stücken ist man eher erstaunt, z.B. in der hübschen Sonate D-Dur mit der Fuge über das Hennergeschrey. Ziemlich sicher Cembalomusik, aber man kann es nicht greifen...keine Ahnung, was er wollte...ein Pedalcembalo?
Was die Handverteilung angeht: Manches haben die alten Meister sehr praktisch geschrieben, z.B. durch Balkung. Carl Philipps Fingersätze und Handverteilungen zur Chromatischen Fantasie machen viel Sinn. Das kann aber in einer modernen Ausgabe aus "orthografischen" Gründen verloren gegangen sein. Oder der Herausgeber wollte es anders. Wenn es darum geht, was "oben" und "unten" steht, ist der Blick ins Autograph sehr sinnvoll. Oft hat die rechte Hand keinen Violin-, sondern einen Diskantschlüssel. Das ändert schon manchmal etwas. Selbstverständlich muss man manchmal Mittelstimmen verteilen. Dann ist die Frage, was Vorrang hat. Ich habe mal einen Orgellehrer gehabt, der teilweise jeden Ton einer Mittelstimme auf eine andere Hand verteilte, um wenig Spannungen in der Hand zu haben. Kann man machen. Ich finde es oft schöner, wenn eine Hand ein Fugenthema oder eine Phrase zu Ende "singen" kann und nehme dafür manchmal den etwas unbequemeren Fingersatz in Kauf.
 
Bach schreibt "gallina", was soviel wie Henne bedeutet. Irgendwo gibt es so etwas auch im Barock mit deutschem Titel, evtl. Poglietti?
 
Das Haushuhn hat schon die Meister früherer Epochen inspiriert: ;-)

 


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