Was macht eine Komposition bekannt/beliebt?

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9. Sep. 2007
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Bei mir kam gerade vorhin die Frage auf, warum denn so extrem viele Leute ausgerechnet "Für Elise" von Beethoven spielen wollen. Oder den ersten Satz der Mondscheinsonate. Usw... eben die altbekannten Standardwerke, die selbst diejenigen kennen, die mit klassischer Musik sonst gar nichts am Hut haben.

Was ist der Grund, dass ausgerechnet "Für Elise" heutzutage so bekannt ist und keine andere ähnliche Beethoven'sche Komposition?

Was zeichnet gerade den ersten Satz der Mondscheinsonate aus und hat ihn so enorm beliebt gemacht. Warum ist es z.B. der Beethovensonate op. 74 in Fis-Dur nicht so ergangen (das Beispiel ist willkürlich, ebenso könnte hier jede andere eher unbekannte Beethovensonate stehen)? Ist die Fis-Dur-Sonate irgendwie schlechter als die Mondscheinsonate? Oder hässlicher für die Ohren? Oder einfach nur (vermeintlich) schwerer zu spielen? Oder weist sie gegenüber der Mondscheinsonate tatsächlich kompositorische Mängel auf, die rechtfertigen, dass sie unbekannter geblieben ist? Denn eigentlich ist doch beides von ein und dem selben Komponisten.

Oder steckt dahinter einfach historischer Zufall?

Das ganze kann man natürlich auch von den wirklichen Extremfällen (Mondscheinsonate, Elise) abstrahieren zu anderen großen und vielgespielten Werken, die in der breiten Masse der Bevölkerung unbekannt sind, aber in klassischen Kreisen sehr hochgeschätzt werden. Hier als Beispiel die h-moll-Sonate von Liszt. Diese steht irgendwie als einsames verlassenes Leuchtfeuer in der Sonatengattung nach Beethoven. Sehr viele große Pianisten sind von ihr begeistert und spielen sie. Dabei wurden einige andere groß angelegte Klaviersonaten komponiert, die quasi total in Vergessenheit geraten sind.
Ich habe gerade eben einmal nachgeschaut, was denn um Liszt herum an zumindest auf den ersten Blick ähnlichen Sonaten entstanden ist und mir sind dabei die beiden Sonaten von Julius Reubke und Felix Draeseke als noch am passendsten für einen Vergleich aufgefallen, weil sie quasi aus der selben Zeit stammen.

Rein äußerlich und vom Höreindruck des unbedarften Publikums her betrachtet (bei Werken dieser Schwierigkeit bin ich selbst nicht Musiker, sondern nur Publikum) sind alle drei Sonaten auf den ersten Blick recht lang und wuchtig. Manuell sehen sie für den Durchschnittsmusiker allesamt aus wie ein großer Alptraum. Musikalisch wirken alle auf ihre eigene Art durchaus interessant.

Was aber ist nun der Grund, dass die Liszt-Sonate jeder kennt und als enormes Meisterwerk hochschätzt und dass die anderen beiden genannten Sonaten quasi nie gehört, geübt und gespielt werden heutzutage? Liegt das am Namen Liszt, den man nunmal kennt? Oder ist die Liszt-Sonate musikalisch tatsächlich um so enorm viele Stufen genialer als die anderen beiden? Oder ist es einfach das Innovative bei Liszt? Seine Sonate in der Vorreiterrolle und die anderen beiden nur als plumpe Nachahmer?

Dass das ganze nicht immer eine kompositorische Qualitätsfrage sein kann, liegt eigentlich auf der Hand (Ravel soll seinen Bolero ja z.B. nicht allzu sehr gemocht haben, ebenso wie Chopin gewisse Dinge nicht veröffentlicht haben wollte. Oder im umgekehrten Fall und um beim vorigen Beispiel zu bleiben: Liszt selbst soll Draesekes Sonate oft gespielt haben - so schlecht kann sie also wohl nicht gewesen sein).

Unabhängig von den genannten Beispielen welche nur zur Verdeutlichung des groben Themas dienen (aber natürlich gern hier besprochen werden dürfen) also die allgemeine Frage: Warum werden bei äußerlich ähnlichen (vergleichbaren) Klavierstücken gerade ganz bestimmte so enorm berühmt und bekannt und verschwinden andere unbekannt in der Versenkung und werden nicht gespielt und gehört?

Was meint ihr?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
schöne frage, würden wri die lösen können, wär die musik wohl zum tode verurteilt :D

ich denkeda immer gerade an mozart. es gibt bestimmt gut 20 melodien , die jeder nach den ersten 5 tönen mitsummen kann! eben das war das geniale an mozart, er hat die (göttliche, wenn man so will) fähigkeit, melodien zu komponieren, die direkt ins ohr gehen.

die h moll sonate, ist so geschätzt. wegen ihrer unglaublichen komplexität, ich zitier hier mal kurz:
"
Ablauf der Sonate [Bearbeiten]

Ausgehend von den erläuterten Motiven und ihren Funktionen kann man den Ablauf des Werks näher beschreiben:
Takte

* 1-7: Rahmen
* 8-13: Sprungmotiv
* 13-17: Hammerschlag
* 18-29: Elemente des Sprungmotivs
* 30-39: Sprungmotiv-Elemente und Hammerschlag taktweise abgewechselt
* 40-44: Elemente des Sprungmotivs
* 45-54: Freie Steigerung
* 55-81: Sprungmotiv mit Fortsetzungen
* 82-104: Rahmen (im Bass)

Ab dort beginnt das Seitenthema

* 105-119: Grandioso - Motiv (im 3/2 - Takt, erstes Motiv des Seitensatzes)
* 120-140: Sprungmotiv (wieder im 4/4 - Takt)
* 141-152: Hammerschlag
* 153-170: Verdoppelter Hammerschlag (zweites Motv des Seitenthemas)
* 170-190: Elemente des Sprungmotiv (im Bass)
* 190-196: Verdoppelter Hammerschlag und Rahmen
* 197-204: kurze Solokadenz
* 205-231: Sprungmotiv und Gegenbewegung
* 232-238: Solokadenz
* 239-254: Kadenz mit Begleitung
* 255-269: Hammerschlag - Elemente mit Kadenzelementen
* 270-277: Sprünge
* 278-286: Rahmen
* 286-296: Sprungmotiv mit Fortsetzung
* 297-300: Grandioso-Motiv (im 3/2 - Takt)
* 301: Recitativo (freies Taktmaß)
* 302-305: Grandioso-Motiv (im 3/2 - Takt)
* 306-310: Recitativo
* 310-314: Hammerschlag
* 315-318: Elemente des Sprungmotivs
* 319-330: Hammerschlag mit Sprungmotiv (Rechte Hand, in vergrößerten Notenwerten)

Ab hier beginnt der langsame Mittelsatz

* 331-348: Lyrisches Andante sostenuto - Melodiethema (3/4 - Takt)
* 349-362: Verdoppelter Hammerschlag mit Kadenzelementen
* 363-380: Grandioso-Motiv in halbierten Notenwerten
* 381-384: Annäherung ans Sprungmotiv
* 385-394: Sprungmotiv
* 395-415: Variiertes Andante sostenuto - Melodiethema
* 415-432: Überleitung mit Rahmenelementen(Abwärtsfolgen im Bass)
* 433-445: Verdoppelter Hammerschlag
* 446-459: Rahmen

Ab hier beginnt die Reprise

* 460-523: Fugato aus Sprungmotiv und Hammerschlag
* 524-530: Sprungmotiv gefolgt von virtuosen 16tel- Läufen
* 531-540: Sprungmotiv abgewechselt mit Hammerschlag, dazu 16tel-Läufe
* 541-554: 16tel Läufe
* 555-569: Akkorde und 16tel Läufe
* 569-581: Sprungmotiv im Bass abgewechselt mit Abwärtsskalen
* 582-599: Überleitung und Hammerschlag
* 600-615: Grandioso- Motiv kehrt wieder, ab Takt 600 wird H-Dur vorgezeichnet.
* 616-650: Verdoppelter Hammerschlag gefolgt von einer Solokadenz

Der Bereich ab hier kann als Coda klassifiziert werden: sämtliche relevanten Motive treten in umgekehrter Reihenfolge auf

* 650-672: Stretta: verdoppelter Hammerschlag, Sprungmotiv- Elemente
* 673-681: Presto: Abwärtsfolgen in Vierteln
* 682-699: Prestissimo: Akkorde und Achtelketten
* 700-710: Grandioso-Motiv (3/2 - Takt) mit Variation(9 Vierteltriolen statt 12 Achteln pro Takt in der Begleitung)
* 711-728: Lyrisches Andante sostenuto - Melodiethema kehrt wieder (4/4 - Takt)
* 728-736: „Original“-Hammerschlag im Bass (H)
* 737-743: Sprungmotiv verteilt über beide Hände, aber keine parallelen Achtelläufe
* 743-749: Akkorde
* 750-754: Rahmen
* 755-760: Schlussakkorde

"



in dem werk laufen harmonisch so komplexe und geniale dinge ab, kombiniert mit einer enormen virtuosität,dass sie als jahhundertsonate gilt. *alles rein spekulativ*

für elise ist auch so ein ding.
ich denke hier spielt viel zusammen:

-eingängliche melodie
-leicht zu spielen
-kultstatus und tor zwischen den welten der klassischen musik unddem alltag, erzeugt durch werbungseinsatz, standartklingelton etc...



ja so viel dazu :D
 
Schwierige Frage, die ich mir auch oft gestellt habe. Die Liszt-Sonate ist ja nicht in dem Sinne populär wie Für Elise & co.; ich denke, da muss man bei den Gründen differenzieren.

Auffällig viele der populärsten Klavierstücke haben etwas ostinatohaftes, das sich durch das ganze Stück zieht. Das scheint einen besonderen Reiz auszuüben:
Bach C-Dur Präludium aus WTKI
Beethoven Mondscheinsonate 1. Satz
Chopin FI & Regentropfenprelude

Dann gibt's noch die "Effekt"-Stücke, mit ganz charakteristischen Spielfiguren, die sich oft virtuoser anhören, als sie sind:
Rach cis-Moll-Prelude
Chopin FI
Beethoven Pathetique 1. Satz

Und Stücke wie Chopins Es-Dur-Nocturne? Hmm, keine Ahnung, die fallen irgendwie nicht in diese Kategorien. Melodie und Harmonik sind ja sogar ganz und gar unvolksliedhaft, aber trotzdem scheint sie in vielen von uns und in vielen Nichtmusikern "eine Saite zum Klingen zu bringen"...
 
Was ist der Grund, dass ausgerechnet "Für Elise" heutzutage so bekannt ist und keine andere ähnliche Beethoven'sche Komposition?

Zumindest auf diese Frage kann ich eine Antwort geben: "Für Elise" wurde ja (zumindest früher) von jeder zweiten Spieluhr gespielt. So lernte auch schon ein kleines Kind, das in seinem familiären Umfeld nicht mit klassischer Musik in Kontakt kam, "Für Elise" >kennen<.

Und "Für Elise" ist einfach wunderschön und ich höre mich nie daran satt (spielen kann ich es leider nicht).

Aber ist "Für Elise" überhaupt von Beethoven? :confused:
http://www.bz-berlin.de/kultur/musik/ist-fuer-elise-nicht-von-beethoven-article614247.html
 
Zumindest auf diese Frage kann ich eine Antwort geben: "Für Elise" wurde ja (zumindest früher) von jeder zweiten Spieluhr gespielt. So lernte auch schon ein kleines Kind, das in seinem familiären Umfeld nicht mit klassischer Musik in Kontakt kam, "Für Elise" >kennen<.

Und "Für Elise" ist einfach wunderschön und ich höre mich nie daran satt (spielen kann ich es leider nicht).

Aber ist "Für Elise" überhaupt von Beethoven? :confused:
http://www.bz-berlin.de/kultur/musik/ist-fuer-elise-nicht-von-beethoven-article614247.html



ja es ist von beethoven, davon zeugen briefwechsel, kompositionsstil und die sogar im artikel genannten beweise.

so viel dazu :D
 
Guten Abend!

Was bestimmte Kompositionen so beliebt macht?

Betrachten wir mal ein paar Top-Ten-Klassiker:

Vivaldi: Die vier Jahreszeiten
Charpentier: Prélude zum "Te Deum C-Dur"
Mozart: Eine kleine Nachtmusik
Beethoven/Nohl: Für Elise
Beethoven: Schlußchor aus der 9.Symphonie
Grieg: Morgenstimmung aus "Peer Gynt"
Strauss: Eingangssequenz aus "Also sprach Zarathustra"
Ravel: Bolero
Prokofieff: Peter und der Wolf
Orff: Eingangschor aus "Carmina Burana"

Es fällt auf, daß alle diese Stücke schon mehrfach
als Filmmusik oder Werbe-Jingle verwendet worden sind.
Das könnte ihren Bekanntheitsgrad erklären -
sie sind auch jedem erklärten Klassikgegner schon so oft eingehämmert worden,
daß er darüber kapituliert und diese Musik liebgewonnen hat.

Erklärt wird dadurch aber noch nichts, denn die Anschlußfrage wäre:
Was macht diese Musik kulturindustrie-tauglich?
Im Grunde ist diese Frage mit der ersten identisch -
ich rücke vor auf Los und beginne von vorn.

Ein paar Kriterien sind allen genannten Kompositionen gemeinsam:

- sehr prägnant formulierte Themen

- undurchbrochene Oberstimmenmelodik

- weitgehend homophoner Satz

- relativ gleichförmige Begleitstimmen

- klare tonale Verhältnisse, Kadenzharmonik bevorzugt

- rhythmisch einfach (zum Teil Schreitrhythmik), "durchgehende Beats"

Das ist zwar grob vereinfacht, weiß ich -
für die "kleine Nachtmusik" gilt das alles nur mit Vorbehalt - und nebenbei bemerkt:
Der Beliebtheitsgrad aller genannten Stücke spricht nicht gegen sie.

Aber es ist kein Wunder, daß sich polyphone und harmonisch und rhythmisch
komplexere Musik nicht auf dieser Liste findet.
Die h-Moll-Sonate dürfte eher etwas für Kenner und Liebhaber sein.
 
Zitat DonBos
Hier als Beispiel die h-moll-Sonate von Liszt. Diese steht irgendwie als einsames verlassenes Leuchtfeuer in der Sonatengattung nach Beethoven. Sehr viele große Pianisten sind von ihr begeistert und spielen sie. Dabei wurden einige andere groß angelegte Klaviersonaten komponiert, die quasi total in Vergessenheit geraten sind.
Ich habe gerade eben einmal nachgeschaut, was denn um Liszt herum an zumindest auf den ersten Blick ähnlichen Sonaten entstanden ist und mir sind dabei die beiden Sonaten von Julius Reubke und Felix Draeseke als noch am passendsten für einen Vergleich aufgefallen, weil sie quasi aus der selben Zeit stammen.

Rein äußerlich und vom Höreindruck des unbedarften Publikums her betrachtet (bei Werken dieser Schwierigkeit bin ich selbst nicht Musiker, sondern nur Publikum) sind alle drei Sonaten auf den ersten Blick recht lang und wuchtig. Manuell sehen sie für den Durchschnittsmusiker allesamt aus wie ein großer Alptraum. Musikalisch wirken alle auf ihre eigene Art durchaus interessant.

Was aber ist nun der Grund, dass die Liszt-Sonate jeder kennt und als enormes Meisterwerk hochschätzt und dass die anderen beiden genannten Sonaten quasi nie gehört, geübt und gespielt werden heutzutage? Liegt das am Namen Liszt, den man nunmal kennt? Oder ist die Liszt-Sonate musikalisch tatsächlich um so enorm viele Stufen genialer als die anderen beiden? [/


hallo,

also bzgl. der letzten Frage kann ich eindeutig mit JA antworten. Und diese Antwort ändert sich auch nicht, wenn man die etwas späteren einsätzigen Sonaten von Balakirev hinzunimmt.

(dass ich das nun nicht in einer langen Abhandlung erklären will, solltest Du mir verzeihen - lesenswert ist eine Rezension von Hans von Bülow bzgl. eines Versuchs, Liszts Sonatenkonzept zu imitieren; ansonsten findet sich das auch in beinahe allen Büchern über die Geschichte der Klaviermusik)

Übrigens finden sich ja neben der sehr innovativen (formal & harmonisch & dramaturgisch-erzählerisch) Lisztsonate durchaus andere, kaum weniger geschätzte Klaviersonaten - etwa die drei frühen Sonaten von Brahms.

Gruß, Rolf
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Was zeichnet gerade den ersten Satz der Mondscheinsonate aus und hat ihn so enorm beliebt gemacht.

vielleicht mehrere klangliche Gründe?
- die geniale Kadenz am Anfang: schöner bekommt man den Neapolitaner ja wirklich nicht nahe gebracht :)
- - die Kombination von erhaben-ruhigen, tief-dunklen Bässen zusammen mit der quasi ostinaten Fließfigur der Triolen, und darüber der langsame Trauermarsch der Melodie: das ist ein Klangparadigma
- - - ein wenig kommt zusätzlich zum paradigmatischen Trauer-Nocturneklang noch außermusikalisches: einmal die Geschichte, dass Beethoven diesen Satz an einem Totenbett improvisiert habe, dann Rellstabs berühmte "Titulatur" Mondscheinsonate, vielleicht auch noch Liszts Sprachbild von der "Blume zwischen zwei Abgründen" (was den 2. Satz meint)
- - - - drei denkbar schlichte, streng duchgehaltene musikalisch-klangliche Mittel, die zugleich ein Muster an Trauermusik ausmachen

das wären speziell für diesen Datz meine Gründe, seine Beliebtheit (die ich teile!!!) zu erklären.

Gruß, Rolf
 
Ich glaube, Gomez hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Speziell bei "Für Elise" und dem ersten Satz der Mondscheinsonate würde ich noch hinzufügen, daß diese beim ersten naiven Hinhören (und auch beim zweiten und dritten) recht leicht klingen und sie sind eben von dem großen genialen Ludwig van Beethoven. Also zwei Meisterwerke, die ein nicht mehr ganz blutiger Anfänger zur Freude seiner Eltern oder auch für sich selbst relativ bald spielen kann (glaubt man jedenfalls). Und wer möchte nicht gerne möglichst schnell aus dem Mief der Anfängerstücke emporsteigen? Zu diesen Stücken reihen sich natürlich inzwischen auch diverse Filmmusiken, auf die insbesondere die letzte Bemerkung von Gomez hervorragend paßt.

Ok, diese Erklärung gilt natürlich nur für die Beliebtheit von Kompositionen bei Klavierschülern. Aber da "Für Elise" und der erste Satz der Mondscheinsonate so explizit angesprochen wurden, paßt sie wohl trotzdem hier hin.

Das Phänomen kenne ich auch von meinen früheren Bands. Stücke nach dem Motto "weniger ist mehr" hatten meistens die besseren Chancen. Trotzdem haben wir immer wieder gehofft, daß das Publikum auch mal kompliziertere Stücke gut finden und wurden glücklicherweise nicht immer enttäuscht. Allerdings habe ich den Eindruck, daß vor allem Musiker dem Reiz des Neuen erliegen, während das durchschnittliche Publikum lieber Gewohntes in immer neuen Verpackungen haben möchte (was auch nicht so leicht ist). Und die "Hitlisten" der Klassik funktionieren bestimmt nicht anders als die der Popmusik. Mozart, Bach, Beethoven - da weiß man was man hat, die Musik muß gut sein, man muß sich notfalls nur daran gewöhnen :floet:

PS: Herzschmerz, Sehnsucht, Romantik - wenn man die Allgemeinplätze etwas weiter spannt (das bezieht sich nur auf meinen Beitrag!), muß man sich natürlich fragen, wo Chopin hier bleibt!
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Antwort und Leseempfehlung für Yannick

ich zitier hier mal kurz:
"
Ablauf der Sonate [Bearbeiten]

Ausgehend von den erläuterten Motiven und ihren Funktionen kann man den Ablauf des Werks näher beschreiben:
Takte

* 1-7: Rahmen
* 8-13: Sprungmotiv
* 13-17: Hammerschlag
* 18-29: Elemente des Sprungmotivs
* 30-39: Sprungmotiv-Elemente und Hammerschlag taktweise abgewechselt
* 40-44: Elemente des Sprungmotivs
* 45-54: Freie Steigerung
* 55-81: Sprungmotiv mit Fortsetzungen
* 82-104: Rahmen (im Bass)

Ab dort beginnt das Seitenthema

* 105-119: Grandioso - Motiv (im 3/2 - Takt, erstes Motiv des Seitensatzes)
* 120-140: Sprungmotiv (wieder im 4/4 - Takt)
* 141-152: Hammerschlag
* 153-170: Verdoppelter Hammerschlag (zweites Motv des Seitenthemas)
* 170-190: Elemente des Sprungmotiv (im Bass)
* 190-196: Verdoppelter Hammerschlag und Rahmen
* 197-204: kurze Solokadenz
* 205-231: Sprungmotiv und Gegenbewegung
* 232-238: Solokadenz
* 239-254: Kadenz mit Begleitung
* 255-269: Hammerschlag - Elemente mit Kadenzelementen
* 270-277: Sprünge
* 278-286: Rahmen
* 286-296: Sprungmotiv mit Fortsetzung
* 297-300: Grandioso-Motiv (im 3/2 - Takt)
* 301: Recitativo (freies Taktmaß)
* 302-305: Grandioso-Motiv (im 3/2 - Takt)
* 306-310: Recitativo
* 310-314: Hammerschlag
* 315-318: Elemente des Sprungmotivs
* 319-330: Hammerschlag mit Sprungmotiv (Rechte Hand, in vergrößerten Notenwerten)

Ab hier beginnt der langsame Mittelsatz

* 331-348: Lyrisches Andante sostenuto - Melodiethema (3/4 - Takt)
* 349-362: Verdoppelter Hammerschlag mit Kadenzelementen
* 363-380: Grandioso-Motiv in halbierten Notenwerten
* 381-384: Annäherung ans Sprungmotiv
* 385-394: Sprungmotiv
* 395-415: Variiertes Andante sostenuto - Melodiethema
* 415-432: Überleitung mit Rahmenelementen(Abwärtsfolgen im Bass)
* 433-445: Verdoppelter Hammerschlag
* 446-459: Rahmen

Ab hier beginnt die Reprise

* 460-523: Fugato aus Sprungmotiv und Hammerschlag
* 524-530: Sprungmotiv gefolgt von virtuosen 16tel- Läufen
* 531-540: Sprungmotiv abgewechselt mit Hammerschlag, dazu 16tel-Läufe
* 541-554: 16tel Läufe
* 555-569: Akkorde und 16tel Läufe
* 569-581: Sprungmotiv im Bass abgewechselt mit Abwärtsskalen
* 582-599: Überleitung und Hammerschlag
* 600-615: Grandioso- Motiv kehrt wieder, ab Takt 600 wird H-Dur vorgezeichnet.
* 616-650: Verdoppelter Hammerschlag gefolgt von einer Solokadenz

Der Bereich ab hier kann als Coda klassifiziert werden: sämtliche relevanten Motive treten in umgekehrter Reihenfolge auf

* 650-672: Stretta: verdoppelter Hammerschlag, Sprungmotiv- Elemente
* 673-681: Presto: Abwärtsfolgen in Vierteln
* 682-699: Prestissimo: Akkorde und Achtelketten
* 700-710: Grandioso-Motiv (3/2 - Takt) mit Variation(9 Vierteltriolen statt 12 Achteln pro Takt in der Begleitung)
* 711-728: Lyrisches Andante sostenuto - Melodiethema kehrt wieder (4/4 - Takt)
* 728-736: „Original“-Hammerschlag im Bass (H)
* 737-743: Sprungmotiv verteilt über beide Hände, aber keine parallelen Achtelläufe
* 743-749: Akkorde
* 750-754: Rahmen
* 755-760: Schlussakkorde

"
(...)

ja so viel dazu :D

hallo Yannick,

herzlichen Dank für Deine Mühe, eine der vielen [sic] formalen Deutungen des Ablaufs der h-Moll Sonate hier hinein zu schreiben!!!

Ich empfehle Dir, über diese Sonate ein hochinteressantes Buch:
Michael Heinemann: Liszt, Klaviersonate h-Moll; Reihe: Meisterwerke der Musik, Wilhelm Fink Verlag Münschen 1993

gleich ein schönes Zitat daraus über die Form der Sonate:
Schlüsse
Wo eine Coda in der h-Moll Sonate ansetzen könnte, ist ungewiß: Für jede Zäsur zwischen Takt 642 und 711 ließe sich mit guten Gründen ihr Anfang postulieren. So mag denn die Bedeutung, die im Verlauf der Komposition der Skalenfiguration des "Lento"-Motivs (I) zugewachsen ist, zum Anlaß genommen werden, mit Takt 673 einen Schlußteil beginnen zu lassen.

Ich selber empfinde erst nach der Fermate in Takt 710, dass mit dem Andante Takt 711 die eigentliche (und sehr düster-traurige) Coda beginnt (sie ersetzt übrigens einen zuvor geplanten lärmigen "Konzertschluß", den Liszt dann gottlob doch verworfen hatte)

Heinemann erläutert die Sonate formal sehr hellsichtig: er analysiert, dass sie aus ineinander verwobenen Formverläufen besteht, also aus Expositionen, Durchführungen und Repriseen.

der einzige Fehler in diesem sonst wirklich tollem Buch: die Tempoanweisung in Takt 141 ist eine Ergänzung, tatsächlich ist das "a tempo" nicht in Liszts Manuskript (aber egal, alle spielen da wieder allegro energico).

herzliche Grüße, Rolf
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
(...)
PS: Herzschmerz, Sehnsucht, Romantik - wenn man die Allgemeinplätze etwas weiter spannt (das bezieht sich nur auf meinen Beitrag!), muß man sich natürlich fragen, wo Chopin hier bleibt!

hallo,

also Chopin ist da sicher mit seinem Trauermarsch aus der b-Moll Sonate bestens vertreten - den kennt wohl wirklich jeder (vielleicht auch gelegentlich ohne diese Trauermusik mit Chopin zu verbinden). Also in gewissem Sinne ist der Trauermarsch ein Welthit :)

ansonsten dürften Nocturne Es-Dur, Fantaisie-Impromptu, "tristesse-Etüde" (in mir klingt ein Lied... Karel Gott - möge letzterer das nicht auf sich beruhen lassen am jüngsten Tag...:D...) und vielleicht noch ein paar Stücken auch mit dabei sein?!

Gruß, Rolf
 

Aber wer wird denn Karel Gott nennen und den ursprünglichen Chopin-Vergewaltiger verschweigen? Neben Karel Gott wären außerdem Rudolf Schock, Hermann Prey, Anneliese Rothenberger, Rene Kollo zu nennen und manch weiterer, der (vor dem lieben Karel Gott) das Liedchen (in Neudeutsch) gecovert hat. Der ursprüngliche Chopin-Vergewaltiger war Joseph Schmidt, dessen kurze Lebensgeschichte (1904-1942) einer Erinnerung wert wäre.

Chopins Trauermarsch ist vielleicht auch deswegen so beliebt, weil es eines der wenigen Stücke Chopins ist, die (oder deren Anfangstakte) sich für Blasorchester bearbeiten lassen?
 
Aber wer wird denn Karel Gott nennen und den ursprünglichen Chopin-Vergewaltiger verschweigen?

das habe ich getan, weil mir an dem Wortwitz mit Karels Nachnamen gelegen war :D - das mag historisch ungerecht sein , aber es bot sich gar zu sehr an :D

was den Trauermarsch betrifft: es gibt ja gleich zwei von Beethoven (Sonate As-Dur und Sinfonie Es-Dur), aber der Chopinsche scheint die als Trauermusik par Excellence getoppt zu haben (Liszt: "stilisiertes Echo der Trauer einer Nation"). Lediglich S. Barbers "adagio for strings" steht neben der Chopinschen Trauermusik bzgl. Beliebt- und Bekanntheit. Ich glaube, dass die "Bearbeitungsmöglichkeit" für Bläser da nicht ausschlaggebend war.

Gruß, Rolf
 
Aber wer wird denn Karel Gott nennen
und den ursprünglichen Chopin-Vergewaltiger verschweigen?

Die ursprünglichen Vergewaltiger waren Ernst Marischka (1893-1963),
Drehbuchautor und Regisseur der legendären "Sissi"-Filme -
in diesem Fall für den Text zuständig,
und vorallem Alois Melichar (1896-1976), ein Schreker-Schüler,
der von der Ernsthaftigkeit seines Lehrers offenbar nichts mitbekommen hatte,
Komponist ungezählter Filmmusiken, Autor einer üblen Kampfschrift
gegen die Neue Musik ("Schönberg und die Folgen") -
in diesem Fall für die musikalische Einrichtung der Chopin-Etude zuständig.
 
...aber der Chopinsche scheint die als Trauermusik par Excellence
getoppt zu haben (Liszt: "stilisiertes Echo der Trauer einer Nation")...

Übrigens ein schlechter Witz - oder vielmehr: Ein kulturimperialistischer Akt,
daß die Russen (zu Sowjetzeiten) den Chopinschen Trauermarsch im Radio
und am offenen Grab spielen ließen, wenn jemand aus der Nomenklatura verstorben war.

Die Polen hätten aus diesem Anlaß von ihrem Nationalkomponisten
bestimmt lieber was Dionysisches erklingen lassen...
 
Ich glaube, dass die "Bearbeitungsmöglichkeit" für Bläser da nicht ausschlaggebend war.
Das glaube auch ich nicht, meine Bemerkung war ironisch. Aber ich glaube, es ist das einzige Stück von Chopin, das man von Blasorchestern hören kann – abgesehen von op. 10,3 natürlich:
http://www.youtube.com/watch?v=tb5dIxF5nW0

Kurios ist auch dies:
http://www.youtube.com/watch?v=do-Vc2YnBhw

Joseph Schmidt zu nennen, war nicht ironisch, sondern dämlich: Ich habe zwei Liedtitel schlicht verwechselt, obwohl ich beide nachpfeifen kann. Gomez de Riquet hat natürlich recht, der ursprüngliche Vergewaltiger war Melichar.
 
Die Polen hätten aus diesem Anlaß von ihrem Nationalkomponisten
bestimmt lieber was Dionysisches erklingen lassen...

:D

ich bin da recht zuversichtlich in dem Sinn, dass die Polen sehr stolz darauf sind, dass ihr Vorzeigekomponist die wohl weltweit berühmteste und bekannteste Trauermusik geschaffen hat!

kurios dabei ist, dass das Original ein Klavierstück ist :) - bei weitem nicht alle Klavierstücke erlangen eine solche Bekanntheit!

Gruß, Rolf
 

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