Guten Abend!
Leider konnte ich heute mittag nicht mehr reagieren.
Ich gehöre zum arbeitenden Teil der Bevölkerung -
und bin zwischendurch unabkömmlich.
Revenons à nos moutons - Du, Hasenbein, schreibst:
Adornos Denken war weit weniger abgrundtief als Du gerne glauben möchtest, Gomez.
Was ich gern oder ungern glaube oder auch glauben möchte, entzieht sich Deiner Kenntnis.
Dein Eingeständnis, Adorno nicht gewachsen zu sein, indem Du Dich
von vornherein auf Sprachkritik verlegst, ist wenigstens ehrlich - desgleichen,
daß Du auch diesen Akt nicht bewältigst, sondern Popper zu Hilfe rufen mußt
(der allerdings ein miserabler Helfer ist).
Nochmal zurück zum Beginn unseres Gesprächs - ohne jede Polemik:
Adorno hatte vom echten Jazz keine Kenntnis. Um seine Äußerungen zu verstehen,
muß man wissen, was ihm in den Ohren klingelte, wenn er von Jazz sprach.
Es war das, was ihm - dem Emigranten in den USA der 40er Jahre -
aus dem Radio entgegenquoll: Paul Whiteman, Glenn Miller, Woody Herman.
Was immer er glaubte, an Einsichten über den Jazz zu gewinnen,
bezog sich auf dieses Hörerlebnis: fett orchestrierte weiße Unterhaltungsmusik
für die weiße Mittelschicht - gehört mit den Ohren eines Alban Berg-Schülers.
Dadurch bleibt seine Fehleinschätzung fehlerhaft, aber sie erscheint in einem anderen Licht.
Ich will Adornos Fehlurteile nicht gesundbeten. Für mich ist noch viel empörender,
was er über Strawinsky oder Sibelius schreibt, zumal er letzteren sogar unter
Faschismus-Verdacht stellt. Aber auch aus seinen Fehlurteilen kann man lernen,
als Rezeptionsphänomen, das in einem präzisen gedanklichen Zusammenhang steht.
Wer sich so wie Du, Hasenbein, an Adorno abarbeitet, erwartet insgeheim von ihm Unfehlbarkeit.
Ich wünsche Dir etwas mehr Gelassenheit - die Fähigkeit, zwischen Kröpfchen und Töpfchen zu unterscheiden.
Auch bei der ihm zugeschriebenen "Mindfuckisierung der Neuen Musik" (ein seltsamer Begriff)
übertreibst Du schamlos. Seinen Einfluß auf die zeitgenössischen Komponisten überschätzt Du.
Er wird zurückdatiert auf das Jahr 1949, dem Erscheinungsjahr der "Philosophie der Neuen Musik",
die angeblich dem Neoklassizismus den Todesstoß versetzt und der Reihentechnik zum Sieg verholfen haben soll -
ein klassisches Beispiel für Auswahl- bzw. Fehlrezeption, denn es scheint kaum jemandem aufgefallen zu sein,
daß Adorno darin auch der Reihentechnik den Todesstoß versetzt hatte.
Kann es sein, daß Du Adorno für den adornesken Tonfall in der westdeutschen Musikpublizistik
haftbar machst - den Tonfall seiner Adepten, die vom "neuesten Materialstand" bramarbasierten,
vor dem "Rückfall in die Barbarei" warnten und so wunderschön das Reflexivum nachstellen konnten,
wie es für brave Adepten sich gehörte? In der Ablehnung dieser Musikpublizistik hättest Du mich an Deiner Seite -
nicht jedoch darin, die Imitatoren als Beleg gegen den ins Feld zu führen, den sie so unbeholfen imitiert haben.
Gruß, Gomez
.