Servus miteinander!
Ja, es ist eine Art von Trend, geboren aus einem erst ein paar Jahre alten Mythos. Der kurz zusammengefasst lautet: Stell dein Video bei Youtube ein und du wirst schlagartig berühmt.
Der Wahrheitsgehalt dabei ist ungefähr auf demselben Niveau wie bei: In Böheimkirchen gibt es einen, der war arbeitslos, hat dann im Internet Sachen verkauft und ist innerhalb eines halben Jahres stinkreich geworden.
Wie es bei Mythen so Brauch ist, steckt ein Körnchen Wahrheit drin. Im Klassikbereich ist eines dieser Körnchen Valentina Lisitsa, in Sachen Pop wäre Colbie Caillat als Beispiel zu nennen.
Mit einigem Nachdenken käme ich vielleicht noch auf eine Handvoll Namen, das war es dann aber auch schon.
Und jetzt schauen wir mal, wie viele Musiker ähnliches versucht haben und immer noch weiter versuchen. Vor allem im Pop- und Rock-Bereich sind das unglaublich viele. Selbst wenn man die "Nichtskönner" ausfiltert, bleibt eine ganze Heerschar übrig. All diesen kann man attestieren, dass ihr Scheitern nicht an der Qualität ihres Könnens und ihrer Musik liegt.
Es ist vielleicht übertrieben, denn ich habe die gescheiterten Probanden nicht gezählt, wenn ich sage, dass man ebenso gut einen Lottoschein ausfüllen und auf ein Leben in Sorglosigkeit und der völligen Hingabe an die Musik ohne finanziellen Zwang hoffen kann.
Youtube ist ein schönes Vehikel, um bekannte Leute noch bekannter zu machen. Es ist jedoch, verglichen mit den übertriebenen Hoffnungen, kein gutes Mittel um Unbekannte ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Man darf es nicht außen vor lassen bei diesen Bemühungen, aber alle Hoffnungen darauf setzen ... nun ja, siehe Lottoschein.
Der Mythos hat leider abseits der belustigenden Seite auch eine recht unangenehme, vor allem für die Musiker.
Denn damit findet jeder Ich-bin-doch-nicht-blöd-Blödmann eine veritable Ausrede und Legitimation für den Gratiskonsum von Musik. Wozu für Musik bezahlen, wenn die Herren und Damen Musiker ohnehin durch meinen(sic!) Klick auf ihr Video berühmt und reich werden. Brauchen doch gar keine CDs mehr verkaufen, ein paar völlig überbezahlte Konzerte im Jahr und den Rest der Tage leben wie die Made im Speck.
Das Lustige (oder eher doch Traurige?) daran ist, dass diese Meinung für den überwiegenden Teil der Youtube-Klicks (bitte genau lesen!) im Prinzip sogar gilt. Denn wirklich in Massen angesehen werden ohnehin nur die Toptitel, also eh schon bekannte Sachen. Der Rest dümpelt dahin und freut sich tierisch über Klick Nummer 1.000 ... "hey, die Sache kommt ins Rollen, juhuu" ;)
Blöderweise verschiebt sich das Gefüge dadurch noch übler in Richtung Top-Acts. Deren Stellung wird zementiert, die anderen haben es durch ein zusätzliches Mittel im Beton noch schwerer sich durch zu beißen.
Und ... die einzigen, die es nach wie vor in der Hand haben unbekannte Künstler auf die Verdienebene zu bringen, verdienen weniger Geld. Wer weniger Geld verdient, kürzt nicht bei den Geldbringern, sondern bei den Risikoträgern. Das bedeutet, die bösen Plattenfirmen investieren immer weniger Zeit und Geld für den hoffnungsvollen Nachwuchs und konzentrieren sich auf ihre Melkkühe.
Kleinere, vielleicht sehr engagierte Labels haben es immer schwerer und können teils nur mehr, völlig unkaufmännisch und unberechenbar, auf einen Glückstreffer hoffen.
Ebenso wirkt sich das auf Konzerte aus, die Gagen der Stars steigen, Topkonzerte werden immer teurer und der Rest muss dem Veranstalter teilweise sogar etwas bezahlen, um überhaupt zu Auftritten zu kommen. Gang und gäbe inzwischen in der Pop- und Rock-Szene, von Gagen in der E-Musik hab ich keine Ahnung.
Das Märchen von der freien Vermarktung ohne Zwänge durch Plattenfirmen ist leider nur ein Märchen. Für manche Prinzessinnen wird es sogar wahr, der überwiegende Rest bleibt Frosch und ungeküsst.
Der Trend ist das Zugrundegehen der Vielfalt, die rasante Zunahme der Monotonie. Ein Phänomen, das sich aus obigem geradezu zwangsläufig ergibt und nicht nur auf die U-Musik zutrifft, bei dieser aber selbstredend um einiges verschärft.
Möglicherweise steuert dieser Trend auch dahin, dass professionelle Musik irgendwann wieder abhängig von Mäzenen und Speichelleckerei sein wird.
Aber die menschliche Geschichte bewegt sich ja ohnehin im Kreis, bei optimistischer Betrachtung mag man vielleicht auch von einer Spirale reden. Der Pessimist sieht die Spirale halt in der gegenläufigen Richtung :)
Disclaimer: Ich bin und war niemals Angestellter bei einer Plattenfirma. Ebenso hatte ich nie einen Vertrag mit einer solchen, und habe mich auch nie darum bemüht.
Meine Meinung über Plattenfirmen ist eine sehr schlechte nach drei Jahren tragender Mitarbeit an einem Musikmagazin. Diese schlechte Meinung unterscheidet sich aber essentiell von der landläufig gepflegten schlechten Meinung :D
LG,
Hans