Trauermarschsonate

Auch ich als Laie (ich habe diese Sonate nie gespielt und auch nie ernsthaft weitergehende Literatur über diese Sonate oder über Chopin gelesen) möchte ein paar Gedanken in den Raum streuen, ohne zu wissen, ob diese hier irgendetwas taugen. Seht es einfach als Impulse, wie man sich gedanklich nähern könnte. Ob man das so sollte, steht auf einem anderen Blatt.

Zunächst einmal ist auffällig, dass der Trauermarsch zwei Jahre vor dem Rest der Sonate komponiert wurde. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Chopin einen der anderen drei Sätze bereits komponiert hatte und erst anschließend beschloss, diesen Trauermarsch als weiteren Satz in eine schon bereits in Arbeit befindliche Sonatenkomposition zu integrieren. Vielmehr halte ich es für wahrscheinlich, dass Chopin diesen Trauermarsch bewusst in eine Sonate integrieren wollte. Dementsprechend ist der Trauermarsch der Schlüssel zur Sonate, da die anderen drei Sätze zwingend "passend" zum bereits bestehenden Trauermarsch komponiert werden mussten, damit die Sonate nicht zum beliebigen Stückwerk wird, sondern eine in sich schlüssige Form ergibt. Was konkret denn mit "passend" gemeint ist, ist sehr schwer zu sagen. Ich selbst weiß es nicht, aber ich hoffe es ist halbwegs klar, was ich damit sagen will.

Nun ein Blick auf die direkte Umgebung des Trauermarsches: Direkt vor dem Trauermarsch endet das Scherzo ziemlich "lieblich" in sanftem Dur mit dem Thema des Trios. Somit ist vor dem Trauermarsch trotz vieler brachialer Momente der ersten beiden Sätze noch eine gewisse "Hoffnung" vorhanden. Dur ist hier noch immer möglich! Nach dem Ende des Trauermarsches hingegen tritt der vierte Satz herein. Ebenfalls dynamisch recht leise, aber unisono und harmonisch sehr schwer fassbar, melodisch noch schwieriger fassbar, wenn man hier überhaupt noch von Melodie reden kann. Und insbesondere alles andere als Dur. Dem Hörer wird nahezu jeder hilfreiche Anhaltspunkt zum Hören entzogen. Man hört, aber man weiß nicht so recht was man eigentlich hört. Man hört Musik, aber sie bleibt merkwürdig unzugänglich und rauscht vor sich hin. Nach anderthalb Minuten erinnert man sich an ein großes vorbeirauschendes Etwas, man ist beeindruckt, aber man erinnert sich kaum an das gehörte, weil es so schwer zu fassen ist. Den bleibendsten Eindruck hinterlässt noch der "Fortissimo-Gnadenstoß", durch den der diffuse Satz ganz am Ende unverhofft schlagartig beendet wird. Mir persönlich geht es an diesem Punkt dann immer so, dass ich gar nicht so recht weiß, was das denn in den letzten anderthalb Minuten war. Die Musik war einfach da, jetzt ist sie wieder weg. Schwierig zu beschreiben.

Dann möchte ich noch kurz auf das Verhältnis von Dur und Moll eingehen. Die ersten drei Sätze lassen alle noch einen Mittelteil (bzw. Nebenthema) in Dur zu (der themenfeindliche vierte Satz nicht mehr). Zwar beginnen alle vier Sätze in Moll, jedoch endet der erste in Fortefortissimo-Dur. Der zweite nur noch in Pianopianissimo-Dur (vom quasi stärkstmöglichen triumphalen Dur zu einem nur noch sehr schwachen Dur, wenn man so will.) Der dritte Satz endet dann gar nicht mehr in Dur, sondern in Moll. Allerdings in diesem Fall noch ein leises Moll (dass auch Trauermarsch-Sätze nicht unbedingt in leises Moll führen müssen, obwohl sie das in der Regel tun, zeigt z.B. die Sonate von Draeseke.). Der vierte Satz verzichtet, trotz aller "Formlosigkeit" nicht darauf zumindest diese Tendenz fortzuführen, indem zumindest das Ende in lautem Moll einschlägt.

Diese Tendenz von "viel Dur" zu "gar kein Dur" steckt aber nicht nur in den Satzenden. Der erste Satz verzichtet in der Reprise (wie bereits von anderen hier erwähnt) auf die Wiederholung des Moll-Hauptthemas, nicht aber auf das Dur-Nebenthema, das dadurch irgendwie in diesem Moment wichtiger zu sein scheint als das Hauptthema. Auch im Scherzo wird dem Dur-Trio noch immer sehr viel Platz eingeräumt (zeitlich im Endeffekt mehr als die Hälfte des Satzes). Im dritten Satz überwiegt dann trotz des ausgedehnten Dur-Mittelteils bereits der umrahmende Moll-Trauermarsch. Im vierten Satz sucht man vergeblich nach eindeutigem Dur...

Wenn man kurz außen vor lässt, dass der Trauermarsch früher da war als die anderen Sätze und somit auf diesen ausgerichtet sein dürfte, könnte man auch kurz überlegen, ob nicht auch die klassische Satzreihenfolge: Hauptsatz -langsamer Satz - Scherzo - Finale hier möglich gewesen wäre. Meine Antwort hierauf ist ein ziemlich eindeutiges "Nein". Stellte man den Trauermarsch hinter den Hauptsatz, so hätte dieser wohl nicht die Kraft dazu, das grandiose Dur-Ende des Hauptsatzes direkt zu überwinden. Das Dur würde zu stark nachwirken. Das brachiale Hauptthema des Scherzo hingegen schafft dies sehr gut. Es bricht so brutal herein, dass das Dur bildlich gesprochen gnadenlos niedergetrampelt wird. Ein x-beliebiges Scherzo an sich käme auch mit einem weniger gewalttätigen Hauptthema aus - wenn da nicht dieses Dur davor wäre und die Brücke zum Trauermarsch geschlagen werden müsste. Um die Brücke zwischen erstem und drittem Satz hinzubekommen, ist diese Kraft aber wohl unbedingt nötig. Das liebliche Trio des Scherzo kann dagegen dann nur wenig ausrichten, ist aber vielleicht nötig, um nicht bereits mit dem Scherzo "alles wesentliche gesagt zu haben". Durch das liebliche Trio bleiben noch viele Dinge offen. Vor allem aber liefert das Trio überhaupt erst eine thematische Vorlage für das Ende des Scherzo. Denn den Trauermarsch direkt hinter die Brutalität des Scherzo-Hauptthemas zu setzen, würde den Trauermarsch wohl gefühlt auch abschwächen, denn schließlich soll der Trauermarsch ja den Kern der Sonate bilden. Nicht das Scherzo...

So, ich glaube, damit habe ich jetzt nichts wirklich Sinnvolles geschrieben, aber das sind so die Gedanken, die mir zu dieser Sonate erst einmal durch den Kopf gehen. Wenn ihr damit nichts anfangen könnt, seid ihr herzlich eingeladen, diesen Post zu ignorieren. Ich halte auch gerne hierzu im Folgenden meine Klappe, wenn ihr wollt...
 
Ey rolf - bevor ich jetz pennen geh (Du warst ja zwischenzeitlich nochma da, und
hast dann den Schwanz eingekniffen):


...und Sonatenhauptsätze mit fehlendem Seitenthema in der Durchführung,

bevor Durchführungen ohne Seitenthema in Sonaten des 19. Jhs. überbewertet werden: das gab´s schon vor Chopin, ist also kein Novum.




kapier doch: mich langweilt dein Gehampel nachdem sich dessen unfreiwillige Komik inzwischen verbraucht hat...

Wen intressiert, was Dich langweilt oder - das läuft aufs Gleiche raus - anmacht.
Wofür hältst Du Dich? WunderWarzenschwein? Annie vom Andromeda?


ok, schluß mit dem Gehampel - addio op.35, du bist zu schade für das elendige Gehampel hier

Wie Klavirus bereits sagte:




Prost auch -
 
Kann man den Kleinkrieg nicht mal einfach sein lassen?
 
Kann man den Kleinkrieg nicht mal einfach sein lassen?
gerne, wenn´s der Sache dient :)
a prospos Sache: schaun wir uns mal das "Nocturne" des ersten Satzes an (Notenbeispiele Seitenthema Exposition, von "sostenuto" bis zum Doppelstrich vor der akkordischen Schlußgruppe) - in diesem vermeintlichen Nachtstück geht es aber hoch her, triumphal, Dur :)
noch stärker wird diese triumphale Tendenz (bei sehr zupackendem, virtuosem Klaviersatz) in der Durchführung, wo die Vorzeichen zudem B-Dur vorschreiben und dort auch bleiben (auch wenn in der stretta das Hauptthema noch mal ein wenig im Bass aufflackert) - von nächtlicher Stimmung (Nocturne, Notturno, Nachtstück) ist da eigentlich nichts zu spüren und zu hören.

das piu lento Seitenthema des Scherzo, ganz offensichtlich ein Walzer (warum auch nicht? Berlioz hat sowas auch schon gemacht), kann von seiner Stimmung her als nächtlich betrachtet werden - mir würde da, im grausigen Kontext von Rubinsteins Bezeichnung "Poem des Todes" (für die ganze Sonate) ein Spitzname wie "Schattenwalzer" gefallen.

das Trio des Trauermarschs: kann diese "süße" (süßliche?) Kantilene alleine stehen, oder muss sie eingerahmt vom Trauermarsch sein, um zu wirken? Ich tendiere zu letzterem. Für das Trio ist die Bezeichnung "Nocturne" durchaus passend.

einigen wir uns statt auf drei auf anderthalb Nocturnes :)
 

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kann diese "süße" (süßliche?) Kantilene alleine stehen, oder muss sie eingerahmt vom Trauermarsch sein, um zu wirken?

Mal ganz provokativ formuliert... Hätte diese Kantilene genug Substanz, um als Einzelkomposition bestehen zu können? Ich würde sagen...Nein und auch nicht als einzelner Satz. Diese Kantilene entfaltet nur ihre geniale Wirkung, weil sie in den Trauermarsch eingebettet ist, dafür aber dann umso mehr und durch die Einbettung entfällt für mich auch jegliche "Süße".

Wer den Trauermarsch schon gespielt hat (ja, ich bin einer dieser üblen, brutalen Sünder, die einzelne Sätze aus Sonaten spielen, ohne die ganze Sonate spielen zu können :))... Habt ihr mal versucht die letzten acht Takte eher piano oder mf zu spielen bzw. weit unter dem Forte der Parallelstellen zu bleiben? Ich habe das mal bei irgendeiner Aufnahme gehört und es hat mir so gut gefallen, dass ich das nun so spiele.

Viele Grüße!

P.S.: Wenn ich den zweiten Satz spielen könnte, würde ich ihn am liebsten so spielen...:)

Chopin Piano Sonata 2 - Scherzo
 

noch stärker wird diese triumphale Tendenz (bei sehr zupackendem, virtuosem Klaviersatz) in der Durchführung, wo die Vorzeichen zudem B-Dur vorschreiben und dort auch bleiben (auch wenn in der stretta das Hauptthema noch mal ein wenig im Bass aufflackert) - von nächtlicher Stimmung (Nocturne, Notturno, Nachtstück) ist da eigentlich nichts zu spüren und zu hören.

das piu lento Seitenthema des Scherzo, ganz offensichtlich ein Walzer (warum auch nicht? Berlioz hat sowas auch schon gemacht), kann von seiner Stimmung her als nächtlich betrachtet werden - mir würde da, im grausigen Kontext von Rubinsteins Bezeichnung "Poem des Todes" (für die ganze Sonate) ein Spitzname wie "Schattenwalzer" gefallen.

mhh.."Schattenwalzer"..deckt sich in etwa mit meinen abstrusen Vorstellungen weiter vorn...find ich ganz gut, einen solchen Namen!

Aber zu den Nocturnes: Es gibt auch 1 oder 2 Nocturnes im 3/4 - Takt, und welche im langsamen oder etwas zügigeren 6/8 oder gar eine besonders relevante, im 12/8 ;), zu denen man einen müden Walzer aufs Parkett legen könnte *g* ( und hierbei zählt nicht, dass "Nocturnes nicht getanzt werden sollten" ;);) ... )

Auch gibts Nocturnes, die "zupacken".

Aber wie gesagt: "Schattenwalzer" klingt schon sehr gut ( subjektiv )...

LG, Olli !
 
ja, die gibt´s - aber einerseits klingen die nicht zuversichtlich bis triumphal, und andererseits packen die nicht gleich nach der ersten Handvoll Takte zu (wie es das Seitenthema des ersten Satzes tut) -- ansonsten könnte man gleich die gesamte "Sturmetüde" zum Nocturne deklarieren ;):D
... wenn Nocturnes schon nach wenigen Takten, welche keinerlei "Nachtstimmung" aufweisen, zupacken und vehement loslegen, dann fragt man sich, wie man das "Nocturne" von Rhapsodien oder anderen romantischen Charakterstücken unterscheiden will - und wenn man das Seitenthema tatsächlich "zum Nocturne" macht, indem man Chopins Anweisungen ignoriert (also verträumt säuselt und arg verlangsamt), dann tut man der Sonate keinen Gefallen :D
 

Gibt es denn ein Chopin-Nocturne im 3/4tel-Takt mit typischer Walzerbegleitung? 12/8tel zählt nicht und Triolen-Begleitungen wie bei op.32 Nr.2 auch nicht, da per Definition beim Walzer nur das erst Viertel (gleichzeitig jeder dritte Schlag) betont ist (daher ist eine Mazurka auch kein Walzer) sonst kommt noch jemand auf die Idee, zum ersten Satz der Mondscheinsonate einen Walzer zu tanzen. :D

Lustig kann so was trotzdem sein. Auf der Hochzeit meiner Schwägerin habe ich den Gefangenen-Chor aus Nabucco trotz 6/8tel-Takt als „Walzer“ auflegen lassen… :D

Viele Grüße!
 
Lustig kann so was trotzdem sein. Auf der Hochzeit meiner Schwägerin habe ich den Gefangenen-Chor aus Nabucco trotz 6/8tel-Takt als „Walzer“ auflegen lassen… :D
zur Hochzeit den Gefangenenchor walzern, ist recht ... amüsant -- ebenfalls gepasst hätte die La Traviata Ouvertüre als Walzer im 4/4tel Takt (halt mit einem Stolperschritt: hum-ta-ta-bumm / hum-ta-ta-bumm) :D
....3/tel Takt plus Walzerbegleitung: wir können ja als Gattungscrossover den melancholischen cis-Moll Walzer zum Nocturne deklarieren :D
 
Hehe, es kommt eben drauf an, WIE man den Walzer tanzt *gg* - man kann die Frau ja auch in nem unterschiedlich "beschwerten" Takt umherschubsen! ;)

( Wiso hab ich eigtl. die letzten 4 Beiträge übersehen ?? - Naja - man wird nicht jünger. )

Ich kenne "Good night, ladies" z.B. auch in ner Walzer-Version ;)

Naja - egal. AUf jeden Fall klingt "Schattenwalzer" für das fragliche Dingens ganz gut, find ich.

LG, Olli!
 

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