Talent wird überbewertet

streiche "verkannt", dann hast du eine korrekte Aussage
Das Schema "alle doof, ich nicht" zusammen mit Überschätzung der eigenen Lehre ist bei JWG erschütternd: wie kann man das eigene und derartig wirkmächtige, die Zeiten übergreifende literarische Schaffen so wenig schätzen?
Wie kommst du darauf, dass er sein literarisches Schaffen "so wenig" schätzte? Weil er meinte, die Farbenlehre wäre sein wichtigstes Werk? Er wusste schon genau, was er als Dichter konnte und wert war.

Ein weiteres Beispiel eigenartiger Selbstwahrnehmung:
Der hochberühmte Dirigent F., der seine Epoche wie kaum ein anderer geprägt hat und dessen Aufnahmen auch heute noch gehört und immer wieder neu aufgelegt werden, trotz der zum Teil schlechten Tonqualität, wollte vor allem eines sein: Komponist. (Sicher kein völlig anderes Metier). Aufgeführt werden seine Symphonien etc. seltenst, und wäre er nicht der berühmte Dirigent gewesen, wahrscheinlich gar nicht.

das wäre so, als ob J. S. Bach sein Gedichtchen (wenn es denn überhaupt von ihm ist) auf einen Printzen über seine Matthäus-Passion gestellt haben würde...

Geplänkel...
Das ist Unfug. Du kannst die Farbenlehre nicht mit einem Gedichtchen von Bach vergleichen, weder in Umfang, Anspruch und schon gar nicht in Qualität oder Stellung im Gesamtwerk. Und nochmal: Die Farbenlehre ist kein dilettantischer, nebenbei zusammengeschriebener Unsinn.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Farbenlehre ist kein dilettantischer, nebenbei zusammengeschriebener Unsinn.
Das ist ja gerade das Schlimme! Soviel Aufwand, Recherche und Denkarbeit für ideologisches und wissenschaftlich lächerliches Projekt!
Ich habe es komplett, inklusive Kommentar gelesen. Ès ist erschütternd, wie er arrogant bis auf die Knochen, Newtons auch damals schon belegte Erkenntnisse beiseite wischt.
In Jena konnte niemand eine Professur in Physik bekommen wenn er Newtons Position vertrat.
 
Wie kommst du darauf, dass er sein literarisches Schaffen "so wenig" schätzte?

"...
Goethe selbst schätzte die Ergebnisse seiner Forschungen zur Farbe höher ein als die seines gesamten literarischen Schaffens. Noch im hohen Alter sagte er zu Johann Peter Eckermann: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. […] Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute […].“[1]
..."

Interessant fan ich die Gegenüberstellung hier:

Grüße
Häretiker
 
"...
Goethe selbst schätzte die Ergebnisse seiner Forschungen zur Farbe höher ein als die seines gesamten literarischen Schaffens. Noch im hohen Alter sagte er zu Johann Peter Eckermann: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. […] Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute […].“[1]
..."
Darauf habe ich bereits, freilich im Gegensatz zu dir ohne Belegstellen, bereits hingewiesen:
Wie kommst du darauf, dass er sein literarisches Schaffen "so wenig" schätzte? Weil er meinte, die Farbenlehre wäre sein wichtigstes Werk? Er wusste schon genau, was er als Dichter konnte und wert war.
Dass er sich auf das, was er als Poet geleistet hat, so "gar nichts" einbilde, kann man, glaube ich, zum guten Teil als Koketterie bzw. als Reflex auf die mehr oder weniger einmütige Ablehnung seiner Farbenlehre verstehen.
Das ist ja gerade das Schlimme! Soviel Aufwand, Recherche und Denkarbeit für ideologisches und wissenschaftlich lächerliches Projekt!
Ich habe es komplett, inklusive Kommentar gelesen. Ès ist erschütternd, wie er arrogant bis auf die Knochen, Newtons auch damals schon belegte Erkenntnisse beiseite wischt.
In Jena konnte niemand eine Professur in Physik bekommen wenn er Newtons Position vertrat.
Die Vehemenz der Polemik gegen Newton steht bei Goethe in der Tat einzigartig dar.
Die Ablehnung seiner Farbenlehre war eine tiefe Kränkung, er konnte nicht begreifen, dass er sich da verrannt hatte.
Dass sie aber bei aller Problematik viel Grundlegendes über sein Weltbild enthält und die Art, wie man die Welt betrachten kann, kann man dem bereits erwähnten Buch des Göttinger Germanisten A. Schöne "Goethes Farbentheologie" entnehmen.
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Zuletzt bearbeitet:
@Häretiker ja...der Eckermann... wie das so ist mit "Zeitzeugen"... ;-) ...irgendwie erhielten, gerne posthum, etliche Genies ihre eifersüchtig auf angebliche Exklusivität der Kenntnisse beharrende Eckermänner...
 
Es wohnt dem zivilisierten Menschen, nicht allen indessen, ein Standesdünkel inne. Der ist gänzlich unabhängig von Talent. Es zählt das von Altvorderen unterschriebene Papier, der einstige Schüler habe die Ausbildung absolviert, weiteres können sie ihm nicht mehr beibringen. Erst durch ihr Curriculum Vitae und Können zeichnen sich Musiker (andere Spezialisten analog) unter ihresgleichen aus, alle anderen sind nur zum Spaß da und sollen sie bitt schee in Ruhe lassen mit ihrem Möchte-gern-Gehab.
 
Interessant! Hast Du dazu ein (anonymes) Beispiel?
Wie würdest Du einen Überflieger denn definieren, woran erkennt man den? (ich kenne bisher keinen...)

"Mittleres Talent" ist ja nicht "kein Talent", sondern heißt gerade, dass ausreichend Talent und Interesse vorhanden sind. Bei "talentfreien" Personen hätte mich das jetzt gewundert.
Meine "allerbeste" Schülerin kam mit einem Geburtsschaden zur Welt und wurde dank Voita-Methode in die Spur gebracht, hatte aber Defizite. Sie begann bei mir mit 6 Jahren, spielte nach drei Monaten "Für Elise" - ganz entsetzlich. Sie hatte sich einfach die Noten von Mutter geklaut. Das Notenaufschreibsystem interessierte sie und so galoppierte sie einfach los. Nach 2 Jahren Impromptus von Schubert (die beiden in Ab) usw. Üben? Never ever. Nur alles vom Blatt "gerotzt2". Musik machen kann man das nicht nennen. Phrasierung? Gestaltung? Dynamik? Egal. Ich versuchte es mit verschiedenen Stilrichtungen - im Rock/Pop Bericht fällt das ja manchmal nicht so auf. Sie verstand den Unterschied, wollte das aber nicht annehmen. War ihr "zu einfach". Ja, manchmal zeigte sie mir: Schau her, DAS ist das was Du haben willst und wie Musik eigentlich gemacht werden sollte. Gänsehaut. Dann buddelte sie wieder im doppeltem Tempo los. Sie hatte musikalisches Gefühl, es war alles da!
Dann entdeckte sie "Diabolo" für sich, ein Spiel mit einem Kreisel, den man auf einer Schnur tanzen lässt. Sie übte mit einem Buch täglich mehrere Stunden weil sie es absolut nicht hinbekam so wie ihre jüngere Schwester. Später konnte sie alle Tricks. Als Erwachsene studierte sie dann Medizin und Elektrotechnik gleichzeitig in Regelstudienzeit.
Ein anderer Schüler war ein begnadeter Fußballer. Alle Vereine wollten ihn haben, aber er wollte Klavier spielen, was ihm überhaupt nicht lag! Auge/Hand Koordination schrecklich! Kein musikalisches Gespür, aber Begeistert von Melodien usw. Nach 10 Jahren (!) spielte er ganz stolz die "Für Elise"! Endlich! Er hatte es geschafft! Aber wie viel Aufwand das war darf man niemandem erzählen!
 
Okay... ich frage spiegelbildlich: welchen nicht so wirklich in Musik studierten Leuten ist etwas Zeitloses gelungen?

Mir fällt nur ein Versicherungskaufmann ein. Wen gibt's noch so?
Es gibt nicht so viele nicht studierte Komponisten, die Zeitloses geschaffen haben, aber es gibt sie z.B. Mussorgsky (aus der Gruppe hatte nur Balakirev eine solche Ausbildung). Unter den Pianisten gibt es das ebenso. Meines Wissens hat Frau Argerich z.B. keine akademische Klavierausbildung. Allerdings hatte sie wohl gute Lehrer (Gulda). Wenn du mit Versicherungsmann Charles Ives gemeint haben solltest, der hatte einen akademischen Abschluss in Musik.
Im allgemeinen gilt das, was ABM einmal so formuliert hat: Das Leben reicht nur dafür aus, eine Sache richtig zu machen.
Aber es gibt von jeder Regel Ausnahmen.
 

Meines Wissens hat Frau Argerich z.B. keine akademische Klavierausbildung. Allerdings hatte sie wohl gute Lehrer (Gulda).
Martha Argerich hatte von früher Kindheit an Unterricht bei Vincenzo Scaramuzza, DEM Klavierlehrer Argentiniens. Der Vater von Daniel Barenboim übrigens auch. Eine bessere Ausbildung ist kaum vorstellbar. Zu Gulda nach Wien kam sie später als Jugendliche. Gulda sagte später sinngemäß "Eigentlich konnte Martha schon alles."
 
Allerdings hatte sie wohl gute Lehrer (Gulda)

Martha Argerich hatte von früher Kindheit an Unterricht bei Vincenzo Scaramuzza
Bei Peter Feuchtwanger war sie übrig. auch.
Keine Ahnung, ob man es in irgeiner Art und Weise quantifizieren kann, aber mich würde schon mal interessieren, welchen Anteil Feuchtwanger an ihrer Ausbildung hat.
Vor allem, wg seiner mancherlei unorthodoxen Ansätze.
Wollte da eh mal beizeiten einen eigen P. Feuchtwanger-Thread starten, in der Hoffnung, dass hier jemand mitliest, der bei ihm Unterricht hatte oder gar seine Methode lehrt.
 
Bei Peter Feuchtwanger war sie übrig. auch.
Keine Ahnung, ob man es in irgeiner Art und Weise quantifizieren kann, aber mich würde schon mal interessieren, welchen Anteil Feuchtwanger an ihrer Ausbildung hat.
Vor allem, wg seiner mancherlei unorthodoxen Ansätze.
Wollte da eh mal beizeiten einen eigen P. Feuchtwanger-Thread starten, in der Hoffnung, dass hier jemand mitliest, der bei ihm Unterricht hatte oder gar seine Methode lehrt.
Argerich war ab und zu bei Peter Feuchtwanger, um sich coachen zu lassen. Da war ihre Weltkarriere aber schon in vollem Gange.
Quelle: Andere zeitweilige "Schülerin" von Feuchtwanger.
Übrigens bin ich in diesem Fall unzufrieden mit dem Begriff "Schülerin", der auf einen langfristigen, regelmäßigen Unterricht schließen ließe. Im Englischen finde ich "Coachee" passend. Auf deutsch??? Erbitte Vorschläge.
 
Die Frage, ob "Talent" (aka "Begabung" oder "Veranlagung") für gekonntes Musizieren erforderlich ist, oder ob reines "Üben" ausreicht, muss eigentlich durch entsprechende Forschung geklärt werden. Es ist aber sehr schwierig, die Studiendesigns so zu konzipieren, dass diese beiden Effekte entwirrt werden.

Sehr spannend ist die Erkenntnis, dass biologische Veranlagungsmerkmale die Übemotivation vorhersagen können (und die Anzahl der Übungsstunden, gerade in früherer Kindheit, dann wiederum das spätere Können):

>> Besonders spannend ist auch folgendes Ergebnis der Studie von Seither-Preisler und Schneider: Schneider hatte bereits 2002 die Gehirne erwachsener Musiker untersucht und eine vergrößerte heschlsche Querwindung gefunden. "Bislang wusste man aber nicht, ob das ein Begabungs- oder ein Trainingseffekt ist", so Seither-Preisler. In ihrer aktuellen Untersuchung konnten die Forscher nun genau verfolgen, wie die Größe dieser Struktur die Übe-Motivation der Kinder vorhersagte: Schon bei der ersten Messung stellten sie Unterschiede im Volumen fest. Kinder, bei denen diese Struktur größer war, entwickelten sich im Lauf der Zeit zu motivierteren Musikern. "Die Kausalität ist also andersherum als gedacht", so die Psychologin: "Wir sehen hier eher einen Einfluss der Begabung." Oder mutiger gesagt: Man kann musikalische Begabung offenbar messen." <<


Der Artikel enthält noch weitere sehr interessante Erkenntnisse und ist daher absolut lesenswert.
 

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