Ja, das scheint plausibel. Die kritische Lebensphase war in der Frühen Neuzeit für männliche Personen die Zeit zwischen Geburt
und jungem Erwachsenenalter. War dieses erreicht und gelang es den Leuten, keine böse Infektion einzufangen und auch in den permanenten Kriegen nicht ums Leben zu kommen, war die tatsächliche Lebenserwartung so, wie vor ca. einem halben Jahrhundert hierzulande.
woraus folgt, dass #47 reichlich irreführend formuliert ist: Chopin, Schubert & Co. haben zwar ihren 30 Geburtstag erlebt, sind aber dennoch für die Verhältnisse des 19. Jhs.
früh verstorben.
Für das frühe Mittelalter kann ich keine valide Aussage treffen
das kann geändert werden: im Mannheimer Reiss-Museum gab es eine weit beachtete Ausstellung über die Franken (Spätantike, Merowinger- und Karolingerzeit), der exzellente dreibändige Katalog hat den Rang eines Standardwerks über die Merowingerzeit zurecht erhalten. Unter den zahlreichen Aufsätzen darin befassen sich auch einige mit den Auswertungen merowingerzeitlicher Reihengräber. Die Lebenerwartung im 6.-7. Jh., sofern weder Infektionen noch äussere Gewalt (Kriegsverletzungen etc) von den Parzen und Nornen verabreicht wurden, war bei rund 50-60 Jahren. Allerdings zeigten die Auswertungen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der männlichen Bevölkerung die 30 nicht erreichte: die Gebeine wiesen massive Verletzungen (Schwert, Speer, Axt) auf - es waren halt unruhige Zeiten*) bei ohnehin barbarischer Mentalität (vgl. W. Scheibelreiter), die Konfliktbewältigungsstrategien waren
sehr rustikal ...
(und niemand moderierte deeskalierend, wenn die eine Sippe Zoff mit der anderen Sippe hatte - die berüchtigte sizilianische Vendetta ist ein Streichelzoo im Vergleich mit dem Alltag (!) von Merowingern/Franken)
@Barratt falls dich freizeithalber ein Blick ins Frühmittelalter interessieren sollte, dann unbedingt den Frankenkatalog, H.Wolfram "das Reich und die Germanen" sowie W.Scheibelreiter "die barbarische Gesellschaft" lesen
und natürlich auch P.Gearys vorzügliches Buch über die Merowinger!
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*) derartige Lebensumstände bewirkten das kompliziert erscheinende merow.-karol. Erbrecht mit Rückerstattung der
morgingaba, mit
munt usw und mit dem krass erscheinenden
wergeld usw, denn nicht wenige Bünde fürs Leben endeten, bevor die Kinder quasi schulreif waren, aber der Sippenbesitz musste ja irgendwie vorm zerstreut werden geschützt sein (nu ja, auch diese Regeln führten dann nicht selten zu rustikalen Diskussionen, deren Folge oft und gerne eine Vergrößerung des Reihengräberfelds war...)