Ich würde mir wünschen, dass mehrere Themenkreise, die hier vermischt mal mit der einen, mal mit der anderen Schwerpunktsetzung diskutiert werden, getrennt betrachtet würden.
1. Worauf man sich sicher leicht einigen kann: Das Auge urteilt deutlich schneller als das Ohr. Dies evolutionär herzuleiten ist müßig. Das Auge sieht auch lieber etwas Angenehmes als etwas Unangenehmes. Also lieber etwas Schönes als etwas Hässliches. Schönheit oder Hässlichkeit sind schlicht und objektiv zu unterscheiden. Das ist wissenschaftlich x-mal untersucht worden. - So weit, so einfach.
2. Für den REINEN Hörgenuss sollte man sich lieber eine perfekte Einspielung auf einem Tonträger anhören. Wenn man ins Konzert geht, spielen - behaupte ich mal - IMMER noch andere Motivationen eine Rolle. Zum Beispiel, dass man nicht nur hören will (und auf eine gute Akustik und unhörbare Nachbarn hofft), sondern auch sehen. Der Rest ist unter 1. dargestellt.
3. Was man nun erotisch, sexy, anzüglich, affig, angemessen, unterkühlt etc. empfindet, liegt - quod erat demonstrandum - beim Betrachter. Ebenso, ob es einem überhaupt wichtig ist, oder ob es einem grundsätzlich egal ist und dann tatsächlich die Musik im Vordergrund steht. Dazu kommt, dass man in der Regel nicht vollkommen zufällig im Konzert eines bestimmten Interpreten landet. ;) In der REgel deshalb, weil einem der GEsamteindruck des Künstlers zusagt.
So weit, so harmlos!
Viel bedenklicher finde ich, wenn unterschwellige Ressentiments hinzutreten:
4. Nicht nur im Bühnengewerbe / Kunstbetrieb findet man dieses Phänomen, sondern wirklich ÜBERALL. Sobald die weibliche Mitbewerberin den Zuschlag erhält, setzt der gleiche operationalisierte Mechanismus ein. Sie hat den Job / den Vertrag / den Erfolg garantiert - und sei es noch so unterschwellig - über den Einsatz von "Reizen" erhalten (?was ist eigentlich ein "Reiz"? Vor allem - was ist er ohne einen dafür empfänglichen Rezipienten?). Und falls von Reizen weit und breit nichts zu sehen ist, dann wenigstens über eine unterstellte oder tatsächliche Quotierung.
Diejenigen, die sich über das angebliche Zurschaustellen "weiblicher Reize" mokieren, sind in der Regel Männer. Ein Blick auf die gängige Kleiderordnung in der klassischen Musikkultur und ein Gedanke an kulturell tiefverwurzelte Reflexe erklärt den Rest.
Mir tun Künstlerinnen eher leid, wenn sie sich in einer unbequemen Robe bewegen "müssen", und in Gedanken halte ich unwillkürlich die Luft an, dass sie nicht stolpern, irgendwo hängenbleiben o.ä. Mein Ding wäre das nicht. Wenn ich mir einen berauschenden Moment lang vorstelle, gut genug für ein Konzert vor großem Publikum zu sein, würde ich einen dunklen Hosenanzug tragen. In nichts anderem würde ich mich wohlfühlen - und man würde es mir ansehen. Und das Schlimmste: Das Missverhältnis zwischen Outfit und Person würde jedermensch ins Auge fallen.
Ich weiß aber, dass es anderen Menschen/Frauen gerade umgekehrt ergeht. Für sie ist die Robe (sei sie kurz, sei sie lang, hochgeschlossen oder frei geschnitten) Teil des feierlichen Anlasses, vielleicht sogar Teil der Inspiration.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ich finde es absolut legitim, wenn jemand sagt "Die Klamottage gefällt mir nicht". Unverschämt finde ich es aber, wenn direkt oder indirekt (gern von männlichen Mitbewerbern) die Leistung von Pianistinnen auf ihre Mimik, ihren Ausschnitt oder ihre Rocklänge reduziert wird.