Plauderei über Mathe

Ist die Frage, was ableiten bedeutet. Hinterher haben Historiker immer gute Erklärungen, warum dieses oder jenes so kommen musste. Mit präzisen Voraussagen tun sie sich aber schwerer...

So ist es. Deshalb sind sie ja auch Historiker und keine Wahrsager. ;-)

Die relevante Realität hängt von infiniten Faktoren ab, die auf keine Formel zu reduzieren sind und die sich teilweise jeglichem Einfluss entziehen. So kann z. B. niemand sagen, wie die europäische Geschichte des 19. Jh. verlaufen wäre, hätte es nicht am 17. Juni 1815 in Belgien die ganze Nacht hindurch heftig geregnet. Oder wie wir heute leben würden, wäre der Planet nicht in den Siebzigern und Achtzigern des 18. Jh. und vor allem 1783 von erheblichem Vulkanismus heimgesucht worden. :-)
 
Perfekt. Und dann kommt noch so ein Häretiker wie ich und behauptet: Folgerichtiges Denken zum Erfassen und Beurteilen von relevanten Gegebenheiten (und die sind in den wenigsten Fällen abstrakt/"idealisiert") ist erheblich mehr als korrektes Rechnen. Folgerichtiges Denken ist die Grundlage jeglicher Deduktion. Die Realität folgt dem Prinzip des infiniten Regresses. Kleines Beispiel: Den aktuellen Konflikt zwischen Madrid und Barcelona kann ich Dir folgerichtig aus der Heiratspolitik einer bestimmten Familie ab dem 15. Jh. ableiten. ;-)

Und warum bist Du dann ein Häretiker?
Weil Du meinst, Mathematiker ticken anders? In der Mathematik ab Uni-Niveau geht es um folgerichtiges Denken, nicht um Rechnen. Vergiss die Schulmathematik und den obligatorischen Notdurft-Statistik-Kurs für Nichtmathematiker an den Unis.

Und das erfassen und beurteilen von relevanten Gegebenheiten - nun dazu gehört auch das abbilden eines Modells, welches beherrschbar ist für folgerichtiges Denken. Sogar Historiker bauen sich unbewusst permanent Denkmodelle, um überhaupt irgendwas ableiten, einordnen und kategorisieren zu können. Ohne dies bleibt es letztlich nur eine stumpfe Aufzählung von bereits bekannten Fakten oder eine rein subjektive Pseudowissenschaft, wie viele sozialogische und politologische Arbeiten.
 
Folgerichtiges Denken ist die Grundlage jeglicher Deduktion.

Das ist trivial. Und gleichzeitig für Menschen sehr schwer. :-) Problem ist, dabei ein hinreichendes Modell zu entwickeln. Jeder berücksichtigt was anders, was er kennt oder für wichtig erachtet.

Stelle einem Lehrer für Fach X die Frage, welches das wichtigeste Fach ist. Du wirst oft die Antwort bekommen: X. Erstaunlich. :-)

BTW:

Elementare Logik wird auch in Mathe und Physik unterrichtet, zur Genüge.

Umso verwunderlicher, dass die Leute nicht wissen, was 'hinreichend' und 'notwendig' bedeut. Und wie und warum man damit umgeht. *)

Ein Tafel Schokolade kostet 1 Euro.
80 Cent sind notwendig.
1.20€ sind hinreichend.

Grüße
Häretiker

*)
Der Klassiker: Konvergenz von Reihen
hinreichend: Wurzel- oder Qutionetenkriterium
notwendig: Nullfolge
Warum macht man den Terz!? Weil diese Kriterien einfach sind. Es gib auch ein Kriterium, dass ist hinreichend und notwendig. Aber das ist halt schwierig. Darum macht man sich die Arbeit so einfach wie möglich.
Ist aber ein hinreichendes Kriterium nicht erüllt oder ein notwendiges Krieterium erfüllt, dann bin ich noch nicht fertig, dann jab ich Konvergenz oder Dovergenz noch nicht gezeigt.
 
Der Grundgedanke von Aristoteles und anderen Vätern der Logik war, dass man trennen wollte zwischen dem notwendigerweise unsauberen Erfassen der realen Welt, und den logischen Schlussfolgerungen daraus. Die Mathematik ist eigentlich nur die Lehre der Tautologien (im logischen Sinne).
 
Die Mathematik ist eigentlich nur die Lehre der Tautologien (im logischen Sinne).

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Übrigens glaube ich nicht, dass Mathematik eine Ansammlung von Tautologien ist. :-)

Grüße
Häretiker
 
Übrigens glaube ich nicht, dass Mathematik eine Ansammlung von Tautologien ist. :-)
Doch. Deswegen habe ich geschrieben "im logischen Sinn". In der Logik ist eine Aussage eine Tautologie, wenn sie in allen "Modellen" wahr ist, also quasi in jeder möglichen Realität (z.B. Zuordnung von Werten zu Variablen in der Aussage).

Beispielsweise ist die Aussage "Aus A und B folgt A" eine Tautologie: Egal was A oder B sind, die Aussage ist richtig. Alles was man mit den Regeln des logischen Schliessens machen kann (der sog. "Beweistheorie") ist, Tautologien zu beweisen. Es war übrigens ein Deutscher, Gerhard Gentzen, der in der Nazi-Zeit als erster Mensch systematisch und formal die Regeln des "natürlichen" logischen Schliessens erfasst hat. Der Mann sollte meiner Meinung nach viel bekannter sein; das war ziemlich bahnbrechend.

Auf jeden Fall ist der Begriff der Tautologie in der Logik ein anderer als der der umgangssprachlichen Tautologie. Logische Tautologien sind im Allgemeinen nicht "offensichtlich" sondern können beliebig kompliziert sein.
 
Dem widerspricht aber, dass man sich erst mal ein axiomatisch schlüssiges System sowie darin enthaltene fundamentale Folgerungen, also Sätze etc. erst erarbeiten muss.
Und das ist kreative Arbeit.
Und dank Gödel wissen wir, dass wir mit einem einzigen allumfassenden axiomatischen System nicht glücklich werden. Auf sowas wie nichtkommutative Algebra etc. muss man ja auch erst mal kommen, also dass man plötzlich sich ein viel tieferes Fundament vorgibt um damit Probleme anzugehen, die man vorher nicht auf dem Schirm hatte.
 
Ja, es ist richtig, dass Axiome Kreativität erfordern. Beweise erfordern auch Kreativität. Es ist nichts "schlechtes" daran, dass Theoreme nunmal Tautologien sind. Das heisst nicht, dass sie trivial oder offensichtlich sind, sondern hat eine rein technische Bedeutung.

Außerdem gibt es viele Bereiche der Mathematik, in denen das Axiomensystem ziemlich feststeht, beispielsweise in der Zahlentheorie oder der Funktionalanalysis. Da gehts dann wirklich nur um Theoreme.
 
Alles was man mit den Regeln des logischen Schliessens machen kann (der sog. "Beweistheorie") ist, Tautologien zu beweisen.

So gesehen, gibt es zwei Arten von mathematischen Problemen: Die man lösen kann, die sind trivial. Und die, die man nicht lösen kann, die sind zu schwer. Aufgabe der Mathematik ist es dann, mehr Probleme von 'zu schwer' nach 'trivial' zu bringen. :-)

Grüße
Häretiker
 

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