Guten Abend!
Darf ich mal zusammenfassen?
Eine 15-jährige, altersbedingt schwerstens Tiersen-infizierte Schülerin,
bastelt sich Zwei-, Vier- und Achttakt-Phrasen im Stile des Meisters zusammen.
Die Lehrerin fügt's zu einem Stück zusammen und stellt es hier zur Diskussion.
Die Diskussion gerät auf ein interessantes Nebengleis. Pädagogische Konzepte
werden mit Fragen des Nationalcharakters verknüpft: therapeutisches Lob bei den Angloamerikanern,
das die Kinder zu den erfolgsorientierten Entscheidungsträgern dieser Welt heranwachsen läßt,
kritikasterhafte Wut bei den miesepetrigen Deutschen, die ihre Kinder seelisch so verkrüppeln,
wie die Eltern es bereits sind.
Lehrerin taucht nach längerer Abwesenheit (erfolgreich rückwärts eingeparkt?)
wieder auf und tadelt die das arme Kind Tadelnden.
Getadelte Tadelnde wehren sich und verweisen darauf,
das Stück nicht dem Kind, sondern der Lehrerin gegenüber kritisiert zu haben...
* * *
Meine Ansicht zur Gemeinschaftskomposition von Anna und Viola habe ich bereits in # 3 dieses Fadens
kundgetan. Mich interessiert noch einmal die Frage des Umgangs mit kindlichen Hervorbringungen aller Art.
Als er im richtigen Alter war, brachte mein lieber Sohn mir, dem am Spielplatz müßig
auf einer Sitzbank Herumlümmelnden, Sandkuchen, den ich unter seiner strengen Oberservanz
sofort zu verzehren hatte. Ich führte mir den Kuchen pantomimisch häppchenweise zum Mund
und lobte ihn dabei überschwenglich: ein Genuß! Ich bestellte sofort die nächste Lieferung,
die ein paar Minuten später prompt und zuverlässig eintraf.
Mein Sohn wußte, daß der Kuchen nicht eßbar war. Ich wußte, daß er es wußte.
Aber er zeigte mir seine Liebe und suchte Anerkennung -
ich zeigte ihm meine Liebe und schenkte ihm Anerkennung.
Muß man ein fünfzehnjähriges Mädchen behandeln wie ein zweijähriges Kind, das Sandkuchen bäckt?
Wäre das nicht verachtungsvoll? Kinder haben das wachste Empfinden überhaupt -
und verspüren gegenüber therapeutischem Lob eine instinktive Abneigung.
Kritik heißt in einem solchen Fall ja nicht zu sagen: "Du dumme Nuß, glaubst Du, Komponieren bestünde darin,
daß man die unbeholfenen Dudelphrasen eines Kitschiers aus Frankreich unbeholfen imitiert?"
Natürlich müßte die Kritik am Schönen ansetzen, dem Ausdrucksbedürfnis,
könnte aber zeigen: "Schau mal, das wiederholt sich zu oft wörtlich -
wenn du das abwandelst, klingt es noch besser - probier's mal aus etc. etc."
Nun will ich das Maul nicht zu voll nehmen - ich habe in einem Nachbarthread
(mit der Kritik an Peters Tondichtung) fast einen Vollabsturz provoziert.
Trotzdem glaube ich, daß Peter bei aller Kritik mein Wohlwollen gespürt hat:
die Tatsache, daß ich ihn ernstgenommen habe - und das halte ich für das Allerwichtigste.
Gruß, Gomez