Da hier im Forum ja eher selten über den wohl berühmtesten Pianisten unserer Tage diskutiert wird
gebe ich meinen Senf auch noch dazu
: Ich bin auch kein Freund des Lang Lang-Bashings und habe hier im Forum in der Vergangenheit ja auch schon seine Verdienste für die Verbreitung von klassischer Klaviermusik genannt. Selbstredend gibt es hier im Forum nur eine Handvoll (wenn überhaupt) Leute, die seine technischen pianistischen Fähigkeiten haben. Aber darf man sich deshalb als Amateur kein Urteil erlauben? Es gibt doch einen Notentext und wenn man anhand dessen klar belegen kann, dass etwas dem Text nicht entspricht (wie z.B. extreme Tempi in beide Richtungen), dann darf man das doch sagen. Und wenn das eher die Regel als die Ausnahme ist, dann wird halt ein gewisser Ruf gefestigt. Ansonsten müsste man auch kochen können wie ein Harald Wohlfahrt, um sagen zu dürfen, dass ein Essen versalzen oder ein Schnitzel verbrannt ist
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Lieber Chris,
an der Treue am Notentext hapert es also bei deiner Sympathie für Lang Lang. Vorab: ich bin kein Fan von L.L., eher von der gleichsam vor allem wegen der Kleidung umstrittenen Yuja Wang, aber ich finde, beide können hervorragend und auf höchstem Niveau Klavier spielen, wobei natürlich auch die besten 10 KlavierspielerInnen der Welt Stärken und Schwächen haben.
Aber dass du als Jazz-Liebhaber den Notentext anführst, verwundert mich doch sehr. Sollte jeder Musiker das Thema einer Komposition von Miles Davis auch immer exakt so spielen wie der Komponist? Ja doch eher nicht, oder? Da stimmst du mir bestimmt zu, dass andere Interpretationen sicher auch schlüssig, interessant und musikalisch wertvoll sind.
Du hast jetzt wahrscheinlich auch schon ein "ABER" auf der Zunge, dass Jazz und Klassik sich in dem Punkt kaum vergleichen lassen. Ich muss die Gültigkeit dieses Vergleichs auch gar nicht beweisen und kann auch bei der Klassik bleiben. Du führst als Beispiel für den Notentext die Tempi an. Tempiangaben sind eigentlich keine Noten im engeren Sinne; verstößt er auch gegen die einzelnen angegebenen Noten? Und wenn ja, was ist daran so schlimm? Verurteilst du auch Martin Stadtfeld, weil er bei den Goldbergvariationen plötzlich in der Wiederholung eine Oktave höher spielt? Und alle Interpreten, die Wiederholungen weglassen? Und was meinst du konkret mit den regelmäßigen Verstößen L.L.'s gegen Tempiangaben? Vestößt Lang Lang gegen deine Vorstellungen eines Allegro? Oder gar gegen konkrete Metronomzahlen und sind die immer exakt so angegeben worden, wie wir sie heute kennen? Ich habe über Tempoangaben schon viele Diskussionen gelesen und auch z. B. dass sie sich z. B. bei einem Werk von Beethoven allenfalls auf ein Anfangstempo beziehen und man nicht das ganze Stück genau so wie angegeben spielen kann/darf; so neulich bei einer Doku auf Arte. Und was heißt noch mal "DER Notentext"? Ich frage deshalb, weil es oft verschiedene Ausgaben gibt. Ich hörte mir neulich Martha Argerich bei Chopin Op. 28 Nr. 6 und sagte mir auch, die hält sich ja gar nicht an den Notentext, der mir vorliegt; ja auch ich achte auf so was, aber weil auch ich mich (obwohl ich Jazzlieber bin) dummer- und inkonsequenterweise verpflichtet fühle, mich an klassischen Notentext zu halten und ich eine "Untreue" bei Argerich nicht erwartet hätte. Dann sah ich aber in einem eingeblendeten Notentext in einem Video, dass dieser von dem mir vorliegenden Text abweicht und Argerich sich bei den Dynamikangaben an den anderen Text hält. Es gibt also manchmal nicht "den Notentext". Aber nochmal: was ist daran so schlimm?! Auch Pianisten bis hin zu Liszt und Chopin pflegten ein Stück oft nicht nach demselben Notentext zu spielen, sondern sehr frei zu interpretieren oder zu improvisieren. Würdest du Liszt und Chopin und erst recht die Pianisten vor ihnen wie etwas Bach, Mozart, Beethoven und andere Interpreten (die natürlich nicht nur Interpreten/Pianisten, sondern in erster Linie vielfältige Musiker waren, die komponiert haben und meist mehrere Instrumente spielten, darum ist Interpret in diesem Satz für die Situationen gewählt, bei denen sie vorgespielt haben) ebenfalls aus diesem Grunde genauso negativ bewerten wie Lang Lang?
Ich rege also auf ernste Weise an, L.L. Interpretationen lockerer zu sehen, sofern sie musikalisch stimmig sind.
Sorry für Off Topic, denn zum Gekasper habe ich ja gar nichts geschrieben, aber ich bin generell kein Fan von Gekasper, das fängt schon bei dämlichen Kappen bei Jazzern an; obwohl, den Hut von Marcus Miller finde ich cool - also auch bei mir keine Regel ohne Ausnahme.
LG
BP