Interessant wird es doch erst, wenn man erfassen kann, welche Wirkungen der Komponist intendiert hat, warum ein Musikstück an der einen Stelle genau diese Wendung nimmt.
Es ist wie beim Klavierspielen. Solange Du übst, überlegst Du Dir alles sehr genau: Fingersätze, Phrasierungen, Tempi, Dynamik... Beim Üben beachtest Du diese Parameter sehr genau . Damit erlangst Du bestimmte Fertigkeiten. Z.B. lehrt Dein Ohr Deine Finger, wie ein gutes crescendo geht. Du testest aus, mit wie wenig Impuls Du anfängst, und wie Du es steigerst, machst Dir Gedanken, welche Stimme mit dem crescendo beginnt und perfektionierst das.
Wenn du dann im Konzert spielst, lässt Du alles gehen. Du verlässt dich auf das Geübte und findest darüber hinaus das Quäntchen Inspiration, das nur im Konzert kommt. Du spielst dich frei!
Genauso ist es beim Komponieren (so ist meine Erfahrung).
Das, was du gelernt hast in Bezug auf Harmonielehre, Gehörbildung, Formenlehre, Kontrapunkt, Musikgeschichte und nicht zuletzt das Hören von großartigen Werken, sitzt in deinen Kreativschubladen.
Wenn du komponierst, machst du dich von alledem frei. Sonst kann Musik nicht natürlich schwingen, sonst wird sie konstruiert.
Ich mußte mal ein Stück von mir analysieren, weil eine Sängerin partout nicht einen Ton singen wollte, den ich ihr in den Hals gelegt hatte. Da sie anfing, in den Proben selber zu komponieren und damit die Aussage meines Liedes empfindlich störte, mußte ich ihr darlegen, warum diese Wendung nur so sein konnte wie ich sie geschrieben hatte und nicht anders. Ich war selber erstaunt, wieviele sinnvolle Belege ich in dem Lied fand. Schliesslich hat sie sich darauf eingelassen...Uff!
(Schon Mattheson kannte die Probleme, die Sänger den Komponisten bereiten können....)
Also, wenn ich schreibe, dann: drauflos - immer im Gefühl haben, dass es gut sein soll.