Rolf, du hast recht, mit deiner Feststellung "wie irgendwer irgendwas spielt - wird eh meistens falsch sein." Das ist eine alltägliche Erfahrung.
um der Korrektheit willen, auf dass keine Mißverständnisse enstehen:
"wie irgendwer irgendwas spielt - wird eh meist falsch sein" ist eine Konsequenz aus Deiner plakativen Vorlage: ich zitier´s sicherheitshalber noch mal im Zusammenhang:
"
und dann die Ernüchterung: "
Niemand weiß, wie man die Musik der Bachzeit oder Beethovenzeit oder Schumannzeit richtig spielt."
erste Konsequenz: wenn´s niemand weiß, merkt man man nichtmal, wenn´s zufällig doch richtig war
zweite Konsequenz: unter solchen Prämissen ist´s eigentlich völlig wurscht, wie irgendwer irgendwas spielt - wird eh meistens falsch sein. "
ich habe meine humorigen Konsequenzen kursiv, Deinen plakativen Satz unterstrichen gekennzeichnet.
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ok --- Deine Antwort macht auf mich einen etwas resignierten Eindruck, und ganz ehrlich: ich glaube Dir, dass Dir immens viel daran liegt, dass Musik angemessen aufgeführt/realisiert wird.
und ich will darauf auf aufrichtig reagieren - ich mache das an einem Beispiel, welches mir persönlich zwar nahe geht, welches ich aber selber bislang noch nicht öffentlich gespielt habe (und sehr wahrscheinlich werde ich es auch nicht öffentlich spielen: einerseits halte ich mich noch nicht für reif genug dafür, andererseits liegt es mir - bei aller Liebe und Bewunderung! - leider [sic] nicht):
Bachs Goldberg Variationen
- ich mag beide Aufnahmen von Gould
- ich bewundere die neue Einspielung von Weissenberg
- ich kenne mehr als 10 andere Einspielungen
---- ich schränke ein: ich beziehe mich nur auf Einspielungen am Klavier, Aufnahmen am Cembalo lasse ich außen vor----
mir sind, bei aller Unterschiedlichkeit, die beiden Gouldaufnahmen am liebsten - gewiß auch deshalb, weil er vieles sehr im romantisch-sentimentalischen Geist spielt und weil er eine zur Klarheit führende Überdeutlichkeit nicht scheut. Evtl. ist Weissenbergs niederschmetternd perfekte Spielweise stilreiner - ich mag Goulds kompromißlos expressive Spielweise mehr.
Beide haben/hatten dieselben
kargen Noten - allein über die Unterschiede in der Interpretation des Themas ließe sich endlos vieles schreiben. Ist nun falsch oder unangemessen, was man da hört? Ich finde nicht - es sind Deutungen, die einem den Reichtum, die Vielfalt dieser Musik hörbar machen.
Natürlich wissen wir speziell bei diesem, wohl eher dem Cembalo als dem Klavier anvertrauten genialen Riesenwerk nicht, wie Bach es gespielt hat - aber wir haben bei Gould und Weissenberg Deutungen, die uns das Werk auf jeweils subjektive (aber fantastisch gekonnte!) Weise
nahe bringen.
und genau das halte ich für mit die höchste Tugend einer "Interpretation":
das gespielte Musikstück den Hörern nahe bringen und im besten Fall eine subjektive, aber überzeugende Erklärung/Deutung des Musikstücks bringen
ok: an diesem Punkt könnte man einwenden, dass vielleicht der Interpret zu viel von sich selbst einbringt (im Sinne von irgendwas hineingeheimnist) - aber ich glaube, dass dieser Einwand nicht zu schwer wiegt: lieber eine subjektive, als eine belanglose Darstellung! Nach meinem Credo sind Belanglosigkeit und gefälliger Durchschnitt todlangweilig, egal ob das irgendeiner dogmatischen Interpretationsweise folgt oder nicht. Musik machen bedeutet ja auch, selber Stellung zur Musik zu beziehen.
in diesem Sinne: es gibt, trotz aller "Unschärfen" (bzgl. historischer, historisierender, stilistisch angemessener Spielweise usw.), gelungen und nahe bringende Interpretationen - und die können diskutiert und ggf weiter entwickelt werden.
Gruß, Rolf