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Das Jahr 2016 geht dem Ende zu, und wenn ich die Suchfunktion nicht falsch bedient habe, dann scheint es mir noch keinen Beitrag über Max Reger, den offiziellen Jubilar, zu geben (außer natürlich im Organisten-Ghetto). Außerdem kann es nicht falsch sein, dachte ich mir, in einem Klavier- und Musikforum mal etwas über Musik zu schreiben, nachdem Trump, Merkel und die AfD schon soviel Aufmerksamkeit gefunden haben.
Also hier der Reger-Thread: Es hat ihn erwischt, den armen Mann, das Zentenargedächtnis seines 100.Todestages. Dem Kulturbetrieb graut vor nix. Was daran gut ist: daß Regers zum Teil recht spröde Musik wieder zu Gehör kommt und diskutiert wird. Denn so richtig heimisch ist Reger selbst in seinem Vaterland nicht geworden. Auch in älterer Zeit, nach dem ersten Weltkrieg, im dritten Reich wurde er mehr gelobt als gespielt, was mit der Widerborstigkeit seiner Musik zusammenhängt, die einer Beliebtheit beim Massenpublikum im Wege steht. Allein das spricht für Reger: Mit seiner Musik ließ sich keine Nazi-Wochenschau untermalen. Das hat ihn nach dem Krieg allerdings auch nicht gerettet. Er verfiel der von den Avantgardisten verfügten damnatio memoriae. An den Hochschulen hielt er sich als Unterrichtsstoff, ein paar Orchesterwerke wurden turnusmäßig aus der Versenkung geholt (die Hiller- und Mozart-Variationen). Am ehesten blieb seine Musik im Kirchenraum lebendig, speziell von der Empore herab; kein Wunder: Wer sonst außer Messiaen hat Hardcore-Organisten mit soviel anspruchsvollem Stoff beliefert?
Regers Einfluß ist sogar größer als gedacht. Vor allem in Osteuropa haben Komponisten bewußt auf ihn aufgebaut, in Polen z.B. der frühe Szymanowski, wozu vielleicht @Troubadix einen Hinweis geben könnte, ferner Ciurlionis und der frühe Prokofieff auf dessen Suche nach einer ausgefeilteren Harmonik. In Deutschland hat vor allem Hindemith an Regers Arbeit mit Tonsatzmodellen angeknüpft (barockisierende Melodik, Fugati über alles, was nicht bei 'drei!' auf den Bäumen ist – innerhalb eines avancierten harmonischen Umfelds). Den konzilianteren Stil des „Tagebuchs“ und der „Träume am Kamin“ haben Spätromantiker wie Joseph Marx und Joseph Haas weiterentwickelt.
Reger war ein Mann der extremen Widersprüche: depressiv (mit einem Hang zur höllischen Lustigkeit) und suchtkrank, versuchte aber, in einem für ihn wenig bekömmlichen, auf Normalität fixierten bürgerlichen Umfeld zu leben, katholisch geprägt, aber der protestantischen Orgelmusiktradition und einer geschiedenen (!) Protestantin zugetan, wobei letzteres ihm die Exkommunikation einbrachte, als Komponist ein heimlicher Idylliker, dem aber das Streben nach Monumentalität und Komplexität der Musiksprache in die Quere kam (oder umgekehrt). Manche dieser Widersprüche sind biographisch bedingt; er hatte falsche Lehrer und falsche Freunde: In der spättonalen Zeit, die ihr Heil in der harmonischen Vieldeutigkeit suchte, mußte sich Reger mit einem Tonsatzlehrer wie Hugo Riemann abplagen, der auf harmonische Eindeutigkeit fixiert und von der Wahnidee eines Harmoniewechsels auf jeder Zählzeit besessen war – zu einer Zeit, als die Arbeit mit Orgelpunkten und Klangflächen bereits gang und gäbe war. Und der nationalkonservative (später nationalsozialistische) Thomaskantor Karl Straube stärkte Reger in dessen unglücklicher Bach-Fixierung.
Kaum einem Komponisten jener Zeit saß der Historismus so tief in den Knochen wie Reger. Gegen ihn war Brahms der reinste Bilderstürmer. Historismus bedeutet in diesem Kontext die Absicherung des Komponierten durch Anlehnung an approbierte Tonsatzmodelle (aufdringliche „gelehrte“ Kontrapunktik, Brahms' Variationenmodell) – Ausdruck künstlerischer Unsicherheit und Schwäche, die bei einer solchen musikalischen Urgewalt wie Reger überrascht. Dahinter steckte wohl auch Angst vor einem damals noch als Meinungsträger herrschenden Bildungsbürgertum; von daher der Versuch, die Kenntnis der als Bildungsgut glorifizierten älteren Musikschichten durch Allusion und Tonsatz-Zitat nachzuweisen, ehe man in musikalisches Neuland vorstieß – ähnlich dem in einer wissenschaftlichen Arbeit verpflichtenden Nachweis, die ältere Literatur zum Thema rezipiert zu haben: eine Art Geßlerhut der Gelehrsamkeit.
Gegen all das wäre nichts zu sagen, wenn man nicht den Eindruck hätte, daß Regers bessere Musik in jedem Takt gegen diese Verbeugung vor dem Vergangenen rebelliert: vieles aus der Kammermusik, vor allem in den Streichquartetten, in den Liedern und reifen Orchesterwerken (Romantische Suite, Böcklin-Tondichtungen, Symphonischer Prolog zu einer Tragödie). Vielleicht hatte Reger auch mit denselben Problemen wie viele seiner Zeitgenossen zu kämpfen: daß ihm die Funktionstonalität suspekt wurde und er einen Ersatz für die wegfallende tonale Ordnung brauchte. Schönberg und seine Schüler fanden Halt in der Reihentechnik, Bartók in der formalen Orientierung am goldenen Schnitt, Janácek in der Fixierung auf die Sprachmelodie, Reger in den bewußten Tonsatzmodellen. Dabei hat kein Komponist diesseits der Wiener Schule die Chromatisierung der Tonsprache so vorangetrieben wie Reger, desgleichen die Auflösung in musikalische Prosa – vor allem in den Streichquartetten und einigen der späten Orchesterwerke. Da begann er, sich künstlerisch freizustrampeln, und sie zeigen, daß Reger bei aller wunderkindartigen Frühbegabung ein Spätentwickler gewesen ist, der seinen eigenständigen Weg irgendwo zwischen Strauss' Zugänglichkeit und Schönbergs prononcierter Ungeselligkeit zu gehen begann - leider viel zu kurz.
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Also hier der Reger-Thread: Es hat ihn erwischt, den armen Mann, das Zentenargedächtnis seines 100.Todestages. Dem Kulturbetrieb graut vor nix. Was daran gut ist: daß Regers zum Teil recht spröde Musik wieder zu Gehör kommt und diskutiert wird. Denn so richtig heimisch ist Reger selbst in seinem Vaterland nicht geworden. Auch in älterer Zeit, nach dem ersten Weltkrieg, im dritten Reich wurde er mehr gelobt als gespielt, was mit der Widerborstigkeit seiner Musik zusammenhängt, die einer Beliebtheit beim Massenpublikum im Wege steht. Allein das spricht für Reger: Mit seiner Musik ließ sich keine Nazi-Wochenschau untermalen. Das hat ihn nach dem Krieg allerdings auch nicht gerettet. Er verfiel der von den Avantgardisten verfügten damnatio memoriae. An den Hochschulen hielt er sich als Unterrichtsstoff, ein paar Orchesterwerke wurden turnusmäßig aus der Versenkung geholt (die Hiller- und Mozart-Variationen). Am ehesten blieb seine Musik im Kirchenraum lebendig, speziell von der Empore herab; kein Wunder: Wer sonst außer Messiaen hat Hardcore-Organisten mit soviel anspruchsvollem Stoff beliefert?
Regers Einfluß ist sogar größer als gedacht. Vor allem in Osteuropa haben Komponisten bewußt auf ihn aufgebaut, in Polen z.B. der frühe Szymanowski, wozu vielleicht @Troubadix einen Hinweis geben könnte, ferner Ciurlionis und der frühe Prokofieff auf dessen Suche nach einer ausgefeilteren Harmonik. In Deutschland hat vor allem Hindemith an Regers Arbeit mit Tonsatzmodellen angeknüpft (barockisierende Melodik, Fugati über alles, was nicht bei 'drei!' auf den Bäumen ist – innerhalb eines avancierten harmonischen Umfelds). Den konzilianteren Stil des „Tagebuchs“ und der „Träume am Kamin“ haben Spätromantiker wie Joseph Marx und Joseph Haas weiterentwickelt.
Reger war ein Mann der extremen Widersprüche: depressiv (mit einem Hang zur höllischen Lustigkeit) und suchtkrank, versuchte aber, in einem für ihn wenig bekömmlichen, auf Normalität fixierten bürgerlichen Umfeld zu leben, katholisch geprägt, aber der protestantischen Orgelmusiktradition und einer geschiedenen (!) Protestantin zugetan, wobei letzteres ihm die Exkommunikation einbrachte, als Komponist ein heimlicher Idylliker, dem aber das Streben nach Monumentalität und Komplexität der Musiksprache in die Quere kam (oder umgekehrt). Manche dieser Widersprüche sind biographisch bedingt; er hatte falsche Lehrer und falsche Freunde: In der spättonalen Zeit, die ihr Heil in der harmonischen Vieldeutigkeit suchte, mußte sich Reger mit einem Tonsatzlehrer wie Hugo Riemann abplagen, der auf harmonische Eindeutigkeit fixiert und von der Wahnidee eines Harmoniewechsels auf jeder Zählzeit besessen war – zu einer Zeit, als die Arbeit mit Orgelpunkten und Klangflächen bereits gang und gäbe war. Und der nationalkonservative (später nationalsozialistische) Thomaskantor Karl Straube stärkte Reger in dessen unglücklicher Bach-Fixierung.
Kaum einem Komponisten jener Zeit saß der Historismus so tief in den Knochen wie Reger. Gegen ihn war Brahms der reinste Bilderstürmer. Historismus bedeutet in diesem Kontext die Absicherung des Komponierten durch Anlehnung an approbierte Tonsatzmodelle (aufdringliche „gelehrte“ Kontrapunktik, Brahms' Variationenmodell) – Ausdruck künstlerischer Unsicherheit und Schwäche, die bei einer solchen musikalischen Urgewalt wie Reger überrascht. Dahinter steckte wohl auch Angst vor einem damals noch als Meinungsträger herrschenden Bildungsbürgertum; von daher der Versuch, die Kenntnis der als Bildungsgut glorifizierten älteren Musikschichten durch Allusion und Tonsatz-Zitat nachzuweisen, ehe man in musikalisches Neuland vorstieß – ähnlich dem in einer wissenschaftlichen Arbeit verpflichtenden Nachweis, die ältere Literatur zum Thema rezipiert zu haben: eine Art Geßlerhut der Gelehrsamkeit.
Gegen all das wäre nichts zu sagen, wenn man nicht den Eindruck hätte, daß Regers bessere Musik in jedem Takt gegen diese Verbeugung vor dem Vergangenen rebelliert: vieles aus der Kammermusik, vor allem in den Streichquartetten, in den Liedern und reifen Orchesterwerken (Romantische Suite, Böcklin-Tondichtungen, Symphonischer Prolog zu einer Tragödie). Vielleicht hatte Reger auch mit denselben Problemen wie viele seiner Zeitgenossen zu kämpfen: daß ihm die Funktionstonalität suspekt wurde und er einen Ersatz für die wegfallende tonale Ordnung brauchte. Schönberg und seine Schüler fanden Halt in der Reihentechnik, Bartók in der formalen Orientierung am goldenen Schnitt, Janácek in der Fixierung auf die Sprachmelodie, Reger in den bewußten Tonsatzmodellen. Dabei hat kein Komponist diesseits der Wiener Schule die Chromatisierung der Tonsprache so vorangetrieben wie Reger, desgleichen die Auflösung in musikalische Prosa – vor allem in den Streichquartetten und einigen der späten Orchesterwerke. Da begann er, sich künstlerisch freizustrampeln, und sie zeigen, daß Reger bei aller wunderkindartigen Frühbegabung ein Spätentwickler gewesen ist, der seinen eigenständigen Weg irgendwo zwischen Strauss' Zugänglichkeit und Schönbergs prononcierter Ungeselligkeit zu gehen begann - leider viel zu kurz.
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