Hanns Eisler

  • Ersteller des Themas Gomez de Riquet
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Assoziation an lutherische Kirchenlieder ?? :eek::confused::shock:

Das überrascht mich doch sehr.....

Woraus soll sich das ergeben?
 
Assoziation an lutherische Kirchenlieder ??

Das überrascht mich doch sehr.....

Woraus soll sich das ergeben?

Durch verkürzte Wiedergabe zweier Gedanken.
Ich habe mich unkorrekt ausgedrückt.

Zum einen: In Eislers Massenliedern finden sich Wendungen,
die an Sakralmusik erinnern: durch die Verwendung von Kirchentonarten
und durch die Anlehnung an russische Revolutionslieder, die sich
ihrerseits an den russisch-orthodoxen Kirchengesang anlehnen.

Zum anderen: Eisler befand sich in einer Situation wie Nikolaus Decius
und andere frühe Komponisten des evangelischen Gemeindekirchenlieds,
mit der Aufgabe, für einen gereimten Lehrtext abwechslungsreiche
und zugleich einprägsame Melodien zu finden.
 
Ich gehöre nicht zu den von Gomez im Eröffnungsbeitrag Angesprochenen, möchte aber mit euch ein Zitat teilen, das ich vor ein paar Tagen bei der Recherche zur "Wiener Schule" gefunden habe.

Im entsprechenden Artikel der MGG taucht Hanns Eisler unter "III.Weiterer Schülerkreis" auf und wird folgendermaßen eingeordnet:
"(...)* sowie der Komponist Hanns Eisler (1898-1962), dessen kompositorische Anfänge als zugehörig anzusehen sind, der dann aber, als Mensch und Künstler, zeitgemäßere Wege ging."

Da der Text nicht näher ausführt, was das bedeuten soll, blieb ich ziemlich ratlos zurück. Ist das einfach nur Humbug, unglücklich formuliert oder was möchte uns der Autor damit sagen?

lg marcus


*Kurze Passage über Steuermann und Kolisch
 
"(...)* sowie der Komponist Hanns Eisler (1898-1962), dessen kompositorische Anfänge als zugehörig anzusehen sind, der dann aber, als Mensch und Künstler, zeitgemäßere Wege ging."

Da der Text nicht näher ausführt, was das bedeuten soll, blieb ich ziemlich ratlos zurück. Ist das einfach nur Humbug, unglücklich formuliert oder was möchte uns der Autor damit sagen?

Das will heißen "er hat sich nicht an die Regeln gehalten und sein eigenes Ding durchgezogen" ;)

Viele Grüße

Styx
 
Im entsprechenden Artikel der MGG taucht Hanns Eisler unter
"III.Weiterer Schülerkreis" auf und wird folgendermaßen eingeordnet:

"(...)* sowie der Komponist Hanns Eisler (1898-1962),
dessen kompositorische Anfänge als zugehörig anzusehen sind,
der dann aber, als Mensch und Künstler, zeitgemäßere Wege ging."

Da der Text nicht näher ausführt, was das bedeuten soll,
blieb ich ziemlich ratlos zurück. Ist das einfach nur Humbug,
unglücklich formuliert oder was möchte uns der Autor damit sagen?

Hallo, Marcus!

zeitgemäßere Wege - welcher Zeit gemäßer?

Könntest Du mit folgenden Informationen helfen:
Aus welcher Ausgabe des MGG zitierst Du (welche Auflage)?
Und wer ist der Verfasser? Wer schreibt so einen Blödsinn?

Gruß, Gomez
 
Im entsprechenden Artikel der MGG taucht Hanns Eisler unter "III.Weiterer Schülerkreis" auf und wird folgendermaßen eingeordnet:
"(...)* sowie der Komponist Hanns Eisler (1898-1962), dessen kompositorische Anfänge als zugehörig anzusehen sind, der dann aber, als Mensch und Künstler, zeitgemäßere Wege ging."

Da der Text nicht näher ausführt, was das bedeuten soll, blieb ich ziemlich ratlos zurück.

Nun, es gibt in der MGG ja auch einen Artikel über Eisler, wo das Gemeinte spezifiziert wird (Zitat aus der Ed. von 1986):

Eisler entwickelte sich in der Schule Arnold Schönbergs. Seine ersten Werke stehen ganz unter dem Einfluß der suggestiven Persönlichkeit seines Lehrers. Schon sein op. 1, die »Arnold Schönberg in größter Verehrung« gewidmete Kl.-Sonate, zeigt eine erstaunliche Beherrschung der Technik des Wiener Meisters. Ansätze zu eigener Entwicklung wurden erstmalig in seiner Vokalmusik sichtbar, in der er sich schrittweise aus dem Gedankenkreis Schönbergs löste. Auf diesem Weg bedeutete sein op. 9, die Zeitungsausschnitte für Gesang und Kl., eine entscheidende Wende. In diesen Vertonungen banaler, improvisierend gereimter Alltäglichkeiten machte der Komp. bewußt Front gegen Pathos und Lyrismus. Ihr Geist ist proletarisch, eine bis zum Hohn gesteigerte Absage an bürgerliche Gesinnung. Von diesem Zeitpunkt an stellt Eisler seine Arbeit ganz in den Dienst einer sozialistischen Funktionsmusik. Arbeiterchöre, Kampflieder und Songs, Chorwerke mit Orch., Kantaten, Lehrstücke und Opern bilden neben zahllosen Filmmusiken den Hauptbestandteil seines kompositorischen Schaffens.



Grüße,

Friedrich
 
Es handelt sich um die MGG in 2.Auflage, Hrsg. von Ludwig Finscher.
Autor des Artikels ist Rudolf Stephan.

Danke für den Hinweis. Rudolf Stephan schätze ich eigentlich sehr.
Aber der zitierte Satz ist undurchdacht.

Wer hat sich in dieser Zeit nicht alles als zeitgemäß empfunden:
Schreker, Schönberg und seine Schüler, Hindemith, Krenek, Weill,
aber auch Strauss (Richard), Pfitzner, Korngold und Lehár...

Für Eisler war Mitte der 20er Jahre "Agitprop" das einzig Zeitgemäße,
für Lehár war es die Operette, für Weill die Reform-Oper,
für Hindemith und alle anderen der bürgerliche Konzertsaal.

HG, Gomez

.
 
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Lieber Styx,

Eislers Arbeiterkampflieder waren [...] so populär, daß sie -
wie bereits berichtet - von den Nazis umtextiert
und auch in Deutschland nach 1933 gesungen wurden.


Welche sollen das gewesen sein? Das wäre mir in der Tat neu.

ich weiß es nicht mehr und finde in der Sekundärliteratur keine Angaben.

Es gibt den Bericht eines Augen- und Ohrenzeugen, Jacques Prévert,
abgedruckt im Sonderheft "Hanns Eisler" der Zeitschrift "Sinn und Form"
(Berlin [Ost], 1964; S.204 f.):

Zitat von Jacques Prévert:
1933.
Zur Teilnahme an Festspielen der Arbeitertheater nach Moskau eingeladen,
geht die Gruppe Oktober in London an Bord eines sowjetischen Schiffes.
Es ist eine wunderbare Fahrt.
In Hamburg, wo wir zwischenlanden, wehen Hakenkreuzfahnen.
Aus Propagandachören vorbeifahrender Hitlerjungen hören wir
überrascht und bestürzt Eislers Lieder heraus.
Sie haben die Worte vertauscht, die Musik übernommen [...]

Herzliche Grüße, Gomez

.
 
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Guten Tag!

Hier die Kompilation von ein paar Gesprächsausschnitten:

Dazu vielleicht noch ein Zitat zum Thema, daß ich mal in die Wörtersuche geschmuggelt hatte:


Zitat von Stephan Hermlin:
Unter den sehr klugen Leuten, denen ich im Laufe meines Lebens begegnete,
war Hanns Eisler warscheinlich der klügste. Diese Intelligenz hatte für den
Gesprächspartner nichts Einschüchterndes, Niederdrückendes: sie ermutigte vielmehr,
sie war fordernd und fördernd. Jeder versuchte, ihm gegenüber das Beste zu geben.
Eislers enorme philosophische und literarische Bildung korrespondierte mit seiner
musikalischen Genialität, seiner hochtrainierten kompositorischen Technik.
Ich bewunderte seinen Fleiß, seine stete Bereitschaft mit Sängern zu proben, seine – wenigen –
Schüler zu unterweisen. Dies alles geschah lebhaft, höflich, zuvorkommend. Freundschaftlich,
nie verletzend war selbst sein Spott. Ich hatte ein paar mal das Privileg, mit ihm zu arbeiten,
wobei auf meiner Seite nicht sehr viel herauskam. »Merkst du denn nicht«, sagte er dann,
»wie altmodisch du bist? Sitzt doch dieser Mensch in der Ecke und wartet auf einen Einfall!
Blödsinn! Ein anständiger Musiker oder Schreiber muß jederzeit liefern können, was
verlangt wird! Und zwar auf höchstem Niveau!« Er verbreitete sich deslängeren
über das Altmodische meiner Gesinnung. Ich hörte ihm entzückt zu. Er war völlig im Recht.

Eisler führt eine Operation am schlagenden Herzen durch. Er spricht den
für Künstler intimsten Bereich an (Inspiration), schont dabei Stephan Hermlin nicht,
sondern führt ihm dessen naive Vorstellung von künstlerischer Arbeit vor Augen
und zeigt ihm zugleich, worin professionelle künstlerische Arbeit besteht.

Ich muss hier unbedingt einen Teil des Zitates von Stephan Hermlin posten,
weil es so wunderbar ist und eine Grundeinstellung gerade für Lehrer im Leben sein sollte:

Unter den sehr klugen Leuten, denen ich im Laufe meines Lebens begegnete,
war Hanns Eisler warscheinlich der klügste. Diese Intelligenz hatte für den
Gesprächspartner nichts Einschüchterndes, Niederdrückendes: sie ermutigte vielmehr,
sie war fordernd und fördernd. Jeder versuchte, ihm gegenüber das Beste zu geben.

Das sollte man sich wirklich hinter alle Ohren schreiben,
und ich danke Anatol ausdrücklich für das Zitat, das er in einem anderen Faden gebracht hat!!!

[...] Ich glaube nicht, dass es in dem Zitat von Eisler um Charisma geht! [...]

Bei Eisler geht es m.E. um etwas ganz anderes, wobei es durchaus sein kann,
dass Eisler auch charismatisch war (das schließt sich ja nicht aus).
Eisler nimmt seinen Gesprächspartner wirklich ernst und setzt sich mit ihm auseinander -
er sieht ihn als adäquaten Gesprächspartner seiner selbst und schont ihn deshalb nicht.
Er traut ihm zu, ein adäquater Gesprächspartner zu sein! Dieses Zutrauen und gleichzeitig
das wirkliche Ernstnehmen der Gedanken des Anderen, bewirkt, dass sein Gegenüber
in der Auseinandersetzung mit diesem scharfen Geist sich wirklich Mühe gibt.
Dies ist nicht einseitig, sondern zweiseitig (mindestens). Echtes Interesse am anderen
lässt sich absolut lernen! Allerdings wollen es viele nicht lernen! :p
Dann klappt's natürlich nicht. Wer das lernen will und all das, was damit verbunden ist,
der kann auch. Dazu ist aber m.E. absolut notwendig, dass man sich in der Leistung
NICHT mit dem anderen misst. Leider ist das aber nur zu oft der Fall.
Wer hat die besseren Argumente, wer hat Recht, wer ist besser etc. sind normale
und menschliche Gedanken - wenn man aber solch eine Haltung wie Eisler entwickeln will,
stehen sie dieser sehr entgegen.

Es geht um dieses Ernstnehmen seines Gegenübers und um rückhaltlose Ehrlichkeit.

Zum Ernstnehmen, beispielsweise im (Musik-)Unterricht: Jedes Kind spürt,
ob der Lehrer ernsthaftes Interesse an ihm und an der zu vermittelnden Sache hat.
Fehlt eines von beiden oder sogar beides, verliert es die Lust an der Sache
und wird unkonzentriert.

Zur Ehrlichkeit: Mit ihr erweist man seinem Gegenüber entschieden mehr Respekt
als mit höflicher Rücksichtnahme. Sie gedeiht aber nur auf der Gewißheit,
daß man den anderen ernstnimmt und sich von ihm ernstgenommen weiß.
Sie will nicht kränken, sondern einem Problem bis auf den Grund hinabschauen.

HG, Gomez

.
 
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Ob man das als Charisma bezeichnet oder nicht, ist wohl einfach eine Definitionsfrage.

Echtes Interesse am anderen lässt sich absolut lernen! Allerdings wollen es viele nicht lernen! Dann klappt's natürlich nicht. Wer das lernen will und all das, was damit verbunden ist, der kann auch. Dazu ist aber m.E. absolut notwendig, dass man sich in der Leistung NICHT mit dem anderen misst. Leider ist das aber nur zu oft der Fall. Wer hat die besseren Argumente, wer hat Recht, wer ist besser etc. sind normale und menschliche Gedanken - wenn man aber solch eine Haltung wie Eisler entwickeln will, stehen sie dieser sehr entgegen.

Es ist richtig, dass eine kompetitive, ehrgeizige Haltung ein Problem ist. Aber auch ohne eine solche Haltung hat man nicht automatisch ein Interesse am anderen. Und das lässt sich absolut nicht lernen, das ist eine fundamentale Persönlichkeitseigenschaft. Studien haben gezeigt, dass sich die Big Five im Laufe des Lebens nicht ändern.
 
Aber auch ohne eine solche Haltung hat man nicht automatisch ein Interesse am anderen.

Liebe Nica,

das habe ich auch nirgendwo behauptet!

Stilblüte hatte gefragt

Die große Frage lautet: Wie schafft man es, diese Ausstrahlung zu haben?

Und da habe ich geantwortet, dass die Fragestellung selbst m.E. in die falsche Richtung geht: https://www.clavio.de/forum/plauderecke/5045-erkenntnis-des-tages-33.html#post256570

Wenn das Ziel ist, eine solche Ausstrahlung zu haben, verwechselt man aus meiner Sicht Ursache und Wirkung. Denn die Ausstrahlung resultiert aus der Haltung Eislers gegenüber anderen Menschen und dem Gedankenaustausch mit ihnen. An seiner Haltung kann man arbeiten - tatsächlich geht es gar nicht ohne. Die Persönlichkeit muss sich dabei gar nicht ändern - es geht nur darum, ob man auf diese Weise mit Menschen umgehen will. Einfach ist das sicher nicht und Eisler scheint darin ja auch recht einzigartig gewesen zu sein - es sollte aber aus meiner Sicht ein Bestreben jeden Lehrers sein.

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe Chiarina, ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Alle meine bisherigen Posts (auch im anderen Faden) beziehen sich genau auf diese Fragestellung (wie kann man so werden?). Und meine Antwort lautet: Man wird nicht so, man ist so oder eben nicht. Und so sehr ich mir wünschen würde, dass es anders wäre: In diesem Fall habe ich den Stand der Forschung hinter mir.

Du sagst, man müsse seine Persönlichkeit dafür nicht ändern. Aber das ist falsch! Wir sind uns beide einig, dass es für diese Ausstrahlung ganz zentral ist, andere Menschen zu mögen, an ihnen Interesse zu haben und mit ihnen Gedanken austauschen zu wollen. Und genau das ist nun mal eine der Grundfesten der Persönlichkeit, die sich nicht ändern lassen. Ob man die Interaktion mit anderen Menschen überwiegend positiv oder überwiegend negativ erlebt, ist eine Grundeigenschaft. Deshalb wird das in (seriösen, qualifizierten) Berufsberatungen auch mit erfragt, weil sich das im Laufe des Lebens nicht ändert.

Es fällt vielen Menschen schwer, das zu akzeptieren, weil wir da auch stark von der amerikanischen Du-kannst-alles-wenn-Du-nur-willst-Ideologie beeinflusst sind. Aber bei so zentralen Dingen wie eben den Grundpfeilern der Persönlichkeit, zu denen das gehört, stimmt diese Ideologie nicht. Man kann Kleinigkeiten ändern (z.B. Kommunikationsstrategien, Körpersprache), aber die Grundreaktionen kann man nicht ändern. Jemand, der Menschen sowieso schon mag und interessant findet, kann im Laufe seines Lebens solche Dinge noch dazulernen und dadurch noch erfolgreicher mit anderen umgehen. Auch jemand, der Menschen nicht mag, kann ein bißchen dazulernen, aber er wird nie besonders gut darin werden und wird nie eine solche Wirkung auf andere haben.
 
Alle meine bisherigen Posts (auch im anderen Faden) beziehen sich genau auf diese Fragestellung (wie kann man so werden?). Und meine Antwort lautet: Man wird nicht so, man ist so oder eben nicht. Und so sehr ich mir wünschen würde, dass es anders wäre: In diesem Fall habe ich den Stand der Forschung hinter mir.
(...)
darf ich dir ein ganz besonders exquisites Exemplar der Gattung Charismatiker empfehlen?
Mynheer Peepercorn
zwar ist er nicht fähig, in vollständigen Sätzen oder gar vernünftig zu reden, aber kraft seiner charismatischen Persönlichkeit schlägt er komplette Abendgesellschaften in seinen Bann.

Literaturangabe: Mann, Thomas, Der Zauberberg
:D:D:D:D
 
Und meine Antwort lautet: Man wird nicht so, man ist so oder eben nicht. Und so sehr ich mir wünschen würde, dass es anders wäre: In diesem Fall habe ich den Stand der Forschung hinter mir.

Liebe Nica,

ich akzeptiere das, zumindest zu einem gewissen Grad :D , denn da bist du die Fachfrau und ich nicht!

Dann habe ich aber ein paar Fragen und ich hoffe, lieber Gomez, es ist nicht zu off-topic:


Ob man die Interaktion mit anderen Menschen überwiegend positiv oder überwiegend negativ erlebt, ist eine Grundeigenschaft. Deshalb wird das in (seriösen, qualifizierten) Berufsberatungen auch mit erfragt, weil sich das im Laufe des Lebens nicht ändert.
(...)
Man kann Kleinigkeiten ändern (z.B. Kommunikationsstrategien, Körpersprache), aber die Grundreaktionen kann man nicht ändern.

1. Wir kommen mit einem individuellen genetischen Material als Baby auf die Welt (außer bei eineiigen Zwillingen). Jedoch ist die Ausprägung dieses Materials und die Formung der Persönlichkeit auch sehr von Umweltfaktoren abhängig. Stimmst du mir da zu?

2. Wenn das so ist: wieso sollte es so sein, dass irgendwann die Umwelt aufhört, ein Faktor zur Persönlichkeitsbildung zu sein? Ist die Persönlichkeit irgendwann "fertig"? Und wann soll das sein? Mit 14, mit 18 ....?

3. Wenn das nicht so ist: wieso sollte ich mir dann als Eltern Mühe geben bei der Erziehung meiner Kinder?

4. Wenn meine Persönlichkeit jetzt mit 49 Jahren fix und fertig ist, wieso sollte ich dann noch an mir arbeiten? Glaubst du nicht, dass, wenn man von etwas absolut überzeugt ist, auch gegen seine Natur an sich arbeiten kann?

5. Was ist überhaupt Persönlichkeit? Wo liegt der Unterschied zwischen (Handlungs- und Reaktions-)Mustern, an die man sich gewöhnt hat, und Charakterzügen? Ist der Unterschied nicht manchmal schwer zu erkennen? Und warum hilft Psychotherapie bei Menschen, solche Muster aufzulösen und ganz andere, neue Wege zu gehen?

6. Mangelndes Interesse an Menschen kann sehr unterschiedliche Gründe haben aus meiner Sicht. Es kann ein Charakterzug sein, genausogut können es schlechte Erfahrungen mit Menschen o.ä. sein. Stimmst du mir da zu? Daher kann man nicht sagen, ob ein Interesse an Menschen nicht geschaffen werden könnte, indem man diese schlechten Erfahrungen aufarbeitet etc..

Auweia - ein bisschen viele Fragen! :p Ich hoffe, es ist nicht zu schlimm, aber ganz kampflos gebe ich nicht auf. :D

Liebe Grüße :kuss:

chiarina
 
Oh, das ist natürlich ziemlich viel auf einmal :shock: Und ich bin ja auch keine Psychologin oder Psychiaterin. Diese Fragen berühren mein Fachgebiet eher am Rande, deshalb kann es sein, dass ich da nicht alle Infos habe.

Ich denke, ein Grundproblem ist die Frage danach, was Persönlichkeit ist und wie sie gemessen wird. Persönlichkeit wird meist definiert als stabile Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmuster. Gemessen wird durch Fragebögen. Und da haben wir schon ein Problem: Jemand, der es sich zum Ziel macht, einen bestimmten Aspekt seiner Persönlichkeit zu ändern, wird auf Fragebögen dann anders antworten. Aber reicht das, um zu sagen, dass sich seine Persönlichkeit wirklich geändert hat?

Dazu kommt, dass manche Persönlichkeitsfaktoren auch von der Entwicklung des Gehirns im Verlauf des Lebens beeinflusst werden, beispielsweise Impulsivität, die im Teenageralter höher ist, weil unterschiedliche Teile des Gehirns in diesem Alter unterschiedlich schnell reifen. Oder dann Veränderungen im Alter wegen der Veränderung bestimmter Transmittersysteme. Das sind aber keine absichtlich beeinflussten Prozesse, sondern normale physiologische Veränderungen.

Die genetischen Einflüsse auf die grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen sind ziemlich groß. Erziehung hat laut einiger Zwillingsstudien wohl keinen allzu großen Effekt, wenn man mal von krassen Sachen wie fehlender liebevoller Zuwendung oder Missbrauch absieht, aber es gibt natürlich trotzdem auch Umwelteinflüsse auf die Persönlichkeit, die wohl auch in unterschiedlichem Alter unterschiedlich stark sind.

Man kann durchaus Persönlichkeit (oder zumindest das, was man davon sieht und messen kann) ändern, indem man pharmakologisch eingreift. Oxytocin kann z.B. das soziale Verhalten verbessern. Da greifen wir aber direkt auf der neuronalen Ebene an und der Effekt hält nur so lange an, wie die Wirkung der Substanz anhält - ich bezweifle, dass so ein Effekt alleine dadurch erreichbar ist, dass man sich vornimmt, sich zu verändern. Was Therapien angeht, hat mir ein Psychiater mal gesagt (und das hat sich bei einer kurzen Recherche gerade bestätigt), dass Persönlichkeitsstörungen sehr schwer zu therapieren sind. Also auch da wird davon ausgegangen, dass das sehr stabile Eigenschaften sind. Eine Therapie kann wohl auch da was erreichen, aber anscheinend eben nicht so viel.

Ohne jetzt dazu was Fachliches sagen zu können, würde ich zu deinem letzten Punkt sagen, dass ich glaube, dass mangelndes Interesse an Menschen nicht nur durch schlechte Erfahrungen hervorgerufen wird (jetzt mal von Extremfällen wie Kindesmissbrauch abgesehen). Bei einer einigermaßen normalen Umgebung würde ich davon ausgehen, dass ein Kind, das vielleicht schon im Kindergarten oder in der Grundschule schlechte Erfahrungen macht, auch in diesem Alter schon ein anderes soziales Verhalten gezeigt hat und dadurch erst die schlechten Erfahrungen macht. Das ist aber spekulativ...

Zu dem Punkt 4 ist ja auch noch zu bedenken: Wenn man "an sich arbeitet", dann verändert man ja meistens nicht tiefgreifende Persönlichkeitseigenschaften, sondern eher bestimmte Verhaltensweisen. Man kann sich antrainieren, in einer bestimmten Situation ein anderes Verhalten zu zeigen als bisher (bei einem Wutausbruch vielleicht stattdessen spazierengehen oder so - ich bin ja keine Therapeutin, keine Ahnung, was man da so lernt ;)). Dadurch kann man dann das Leben sicher erfolgreicher meistern, aber das verändert aus meiner Sicht eben die Persönlichkeit nicht.
 
Liebe Nica,

herzlichen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast, auf meine vielen Fragen zu antworten!!!

Der Knackpunkt für mich ist im Grunde der, dass ich nicht weiß, was nun wirklich Persönlichkeit ist.

Persönlichkeit wird meist definiert als stabile Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmuster. Gemessen wird durch Fragebögen.

Gerade nach dieser Definition stellt sich für mich immer noch die Frage, welche dieser Muster im Laufe des Lebens erlernt und welche angeboren sind. Und ich glaube, dass erlernte Muster auch wieder verlernt werden können, wobei das natürlich ungleich schwieriger ist. Und die Frage ist dann, ob das nicht auch Auswirkungen auf die Persönlichkeit hat. Es greift ja alles ineinander und auch an meinen Fragen sieht man das.

Ein spannendes Thema, finde ich!

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Um wieder auf das Zitat zurückzukommen: ich finde es auch ganz toll, wie Hermlin auf Eisler's Darlegungen reagiert:

"Er verbreitete sich deslängeren
über das Altmodische meiner Gesinnung. Ich hörte ihm entzückt zu. Er war völlig im Recht."


So eine Haltung hat ja auch nicht jeder! Sie ermöglicht erst einen Disput, der nicht ins Persönliche abgleitet, sondern einen Sachverhalt schonungslos und umfassend beleuchten kann.

Und um doch noch mal einen Bogen zur Persönlichkeit zu schlagen: ich glaube, dass nur jemand, der wirklich selbst-bewusst ist, so reagieren kann wie Hermlin. Und Selbstbewusstsein hat m.E. viel mit den gemachten Erfahrungen zu tun.

Liebe Grüße

chiarina
 
"Er verbreitete sich deslängeren über das Altmodische meiner Gesinnung.
Ich hörte ihm entzückt zu. Er war völlig im Recht."

So eine Haltung hat ja auch nicht jeder! Sie ermöglicht erst einen Disput,
der nicht ins Persönliche abgleitet, sondern einen Sachverhalt schonungslos
und umfassend beleuchten kann.

Und das erschwert den Gedankenaustausch mit vielen Menschen -
wobei es mir langsam so erscheint, als ob das Abgleiten ins Persönliche
(also: die beleidigte Leberwurst zu spielen) ein Verfahrenstrick ist,
und darüberhinaus ein Schutzmechanismus, um eine Erkenntnis nicht reifen zu lassen.

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