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Hallo allerseits. In unserem Orchester spielen wir demnächst die erste Sinfonie von Jean Sibelius. Da ich diese Musik sehr mag, und mich in dem Kontext (auch weil ich den Programmhefttext verfasst habe) etwas mit Sibelius auseinandergesetzt habe, möchte ich euch die Langfassung des Programmhefttextes nicht vorenthalten. Ich habe ihn besten Wissens und Gewissens verfasst, aber bin natürlich kein ausgebildeter Musiktheoretiker oder Musikwissenschaftler, deswegen kann es natürlich sein, dass ich irgendwo Fehlaussagen getätigt habe. Sollte dem so sein, dürfen sich die Berufeneren gerne dazu äußern.
View: https://www.youtube.com/watch?v=TxKob4TYWw0
Als Jean Sibelius 1957 im hohen Alter von 91 Jahren verstarb blickte er auf ein Komponistenleben voller Kontraste zurück. Er selbst pendelte zeitlebens zwischen den Extremen, zwischen tiefen Depressionen und ausschweifenden Gelagen, zeitweisem Alkoholismus und mehrjähriger Abstinenz. Er komponierte in überschäumendem Arbeitseifer Tag und Nacht, um dann in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten kein einziges großes Werk mehr zu vollenden. Seine achte Symphonie, an welcher er über 15 Jahre lang arbeitete, verbrannte er schließlich eigenhändig mitsamt weiterer Werke auf seinem langjährigen Wohnsitz Ainola 38 km nördlich von Helsinki.
Während seines langen Lebens sollte sich auch die Musik stark wandeln. 1865 geboren wuchs Sibelius mit der Musik der Hochromantik auf. Wagner, Brahms und Liszt waren aktive Komponisten und Sibelius' künstlerische Emanzipationsphase fiel auf eine Zeit, in welcher die ausgetretenen Pfade der Klassik und Hochromantik allmählich verlassen wurden, und verschiedene Komponisten unterschiedlichste Antworten auf die Frage fanden, wie sich die Musik weiterzuentwickeln hatte. So herrschte um die Jahrhundertwende, nachdem die nord- und mitteleuropäische Musiktradition seit den Zeiten des Barocks eine gemeinsame Basis hatte, ein bemerkenswerter Stilpluralismus vor, in welchem manche Komponisten, wie Richard Strauss, ihre Antwort auf die obige Frage in einer Fortführung der programmatischen Ideen Liszts und Wagners sahen, andere, wie die Impressionisten um Debussy, wiederum eine neue Harmonik und Musikauffassung vertraten und zuletzt die allmählich aufkeimenden Ideen der Wiener Schule um Schönberg eine nahezu völlige Abkehr von der abendländischen Musiktradition forderten.
In dieser Zeit der musikalischen Verunsicherung sollte Sibelius zu einem ganz eigenen Personalstil finden, dessen Eigenarten bereits in seiner ersten Symphonie deutlich zu Tage treten. Im Gegensatz zum nur wenige Jahre älteren Gustav Mahler komponierte Sibelius seine Sinfonien in der Fortführung der klassischen Traditionen in dem Sinne, dass er seine Sinfonien nicht programmatisch verstanden wissen wollte. So schrieb er beispielsweise einen Tag vor seinem Tod dem deutschen Musikwissenschaftler Ernst Tanzberger in einem Brief, dass er darum bittet "ausdrücklich hervorzuheben, dass das Gewicht [seiner] Sinfonien in der klassischen Form liege und dass die ganz irreführenden Spekulationen über Naturschilderungen und Folklore weggeschafft werden sollten." Noch deutlicher wird seine Haltung in einem Gespräch mit Gustav Mahler in welchem Sibelius sich über das Wesen der Sinfonie äußerte: „Ich sagte, dass ich die Strenge, den Stil und die tiefe Logik einer Symphonie bewundere, die die Vereinigung aller Motive miteinander verlangt“. Und in diesem Sinne spielte für Sibelius besonders die Form seiner Sinfonien eine große Rolle: Bereits in seiner ersten Sinfonie sind die einzelnen Sätze verhältnismäßig eng miteinander verzahnt, was sich noch weiter steigern sollte und schließlich in der Einsätzigkeit seiner siebten Sinfonie gipfelte. Weiter führte er zwar die motivisch-thematische Arbeit im klassischen Sinne fort, hob jedoch im Verlauf seiner musikalischen Entwicklung die Anzahl der verwendeten Themen und Motiven auf ein beachtliches Maß. Verhältnismäßig traditionell gestaltet sich Sibelius' harmonische Sprache, wobei auch hier diverse Eigenarten die charakteristischen Klangsprache Sibelius' deutlich prägen: So verwendet Sibelius ausgiebig Kirchentonarten und häufig lassen sich Abschnitten seiner Werke nicht eindeutig eine Tonart zuordnen, was einen schwebenden und leicht entrückten Klangeindruck begünstigt.
So auch gleich zu Beginn seiner ersten Sinfonie. Die schwermütige nahezu meditative Einleitung der Soloklarinette wird abrupt durch einen strahlenden Zweiklang in der Sopranlage unterbrochen, welcher ganz ohne Basston das seltsam nackte harmonische Fundament für das Hauptthema bildet, das zwischen G-Dur und E-Moll schwebend von den hohen Streichern vorgetragen wird und in einem harmonisch eindeutigeren Abgesang mündet. Ein anschließend von den Holzbläsern vorgestelltes Motiv illustriert eine weitere Eigenart von Sibelius: Die melodische Linie umkreist einen sogenannten Reperkussionston, was durchaus an traditionelle finnische Runengesänge oder auch an gregorianische Melodien erinnert. Das leicht variierte Motiv wird nun abwechselnd von den Streichen und den Holzbläsern wiederaufgegriffen und mündet schließlich, untermalt durch Streichtertremoli, in einer fulminanten Steigerung an deren Ende das Hauptthema nochmals erklingt, nur um wenig später plötzlich von einem leisen Streichergeflirre abgelöst zu werden, welches sorgsam ein im dorischen Modus vorgetragenes weiteres Motiv begleitet, das schließlich in einem gewitzten Gespräch zwischen den verschiedenen Registern endet. Über einem ruhigen Streicherteppich erklingt schließlich das getragene Seitenthema, das geschickt mit den beiden zuvor erklungenen Motiven verflochten wird und in einer rasanten Steigerung bis zur Chromatik verfremdet wird, welche die Basis für die nun folgende Durchführung bilden soll. Die Durchführung selbst wirkt nahezu wie eine improvisierte Fantasie; zwar sind die einzelnen Motivbausteine zweifelsfrei wiederzuerkennen, doch erscheint es fast willkürlich wie diese zueinander in Beziehung gesetzt werden: Ein Frage-Antwort-Spiel wird überraschend von einer Steigerung abgelöst an deren Ende ein anderes Motiv ertönt, nur um dann wiederum durch eine alle Stimmgruppen ergreifende Chromatik ersetzt zu werden. Über dem Chaos dieser Chromatik erhebt sich schließlich das vom Beginn der Exposition bekannte Motiv in den hohen Streichern, welches zu einem melodischen Gebilde von großer Schönheit aufblüht. Am Ende der Durchführung steht schließlich die selbe Steigerung, welche auch in der Exposition wieder zum Hauptthema führte. Die anschließende Reprise gleicht weitestgehend der Exposition und endet in einer dramatischen Coda an deren Ende zwei gezupfte Akkorde den ersten Satz abschließen.
Der in Strophenform verfasste langsame Satz der Sinfonie beginnt mit einer sehnsüchtigen Melodie, welche durch Streicher und Bläser gleichermaßen vorgestellt wird. Nach einer kurzen Zäsur wird die zweite Strophe durch ein einsames Fagottsolo eingeleitet zu welchem sich allmählich immer mehr Stimmen gesellen die nach einer kurzen Steigerung einstimmig das rythmische Motiv aus dem Anfangsthema dieses Satzes fanfarenartig wiedergeben. Dieses wandert nun sich allmählich weiter steigernd durch alle Stimmen um plötzlich von einem zart instrumentierten Zwischenspiel abgelöst zu werden, welches die zweite Strophe beschließt. Die dritte Strophe wird eingeleitet durch ein Hornsolo, das stark an das Seitenthema des ersten Satzes erinnert und von Harfen und Violinen gleichermaßen untermalt wird. Die wichtige Rolle der Begleitung obliegt nun der Bratschengruppe, die mit für ihren Geschmack viel zu rasanten aber glücklicherweise leisen Trillern ein heiteres Gespräch zwischen den Holzbläsergruppen begleitet, welches sich anschließend auf alle Stimmgruppen ausweitet. Die vierte Strophe gleicht zu Beginn einem düsteren Tanz der nach einigen Takten der Entspannung in eine gewaltige rasante - und in einem langsamen Satz auch unerwartete - Steigerung übergeht. Die fünfte Strophe schließlich lässt den Satz enden wie er begonnen hat.
[Fortsetzung folgt im nächsten Beitrag]
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Als Jean Sibelius 1957 im hohen Alter von 91 Jahren verstarb blickte er auf ein Komponistenleben voller Kontraste zurück. Er selbst pendelte zeitlebens zwischen den Extremen, zwischen tiefen Depressionen und ausschweifenden Gelagen, zeitweisem Alkoholismus und mehrjähriger Abstinenz. Er komponierte in überschäumendem Arbeitseifer Tag und Nacht, um dann in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten kein einziges großes Werk mehr zu vollenden. Seine achte Symphonie, an welcher er über 15 Jahre lang arbeitete, verbrannte er schließlich eigenhändig mitsamt weiterer Werke auf seinem langjährigen Wohnsitz Ainola 38 km nördlich von Helsinki.
Während seines langen Lebens sollte sich auch die Musik stark wandeln. 1865 geboren wuchs Sibelius mit der Musik der Hochromantik auf. Wagner, Brahms und Liszt waren aktive Komponisten und Sibelius' künstlerische Emanzipationsphase fiel auf eine Zeit, in welcher die ausgetretenen Pfade der Klassik und Hochromantik allmählich verlassen wurden, und verschiedene Komponisten unterschiedlichste Antworten auf die Frage fanden, wie sich die Musik weiterzuentwickeln hatte. So herrschte um die Jahrhundertwende, nachdem die nord- und mitteleuropäische Musiktradition seit den Zeiten des Barocks eine gemeinsame Basis hatte, ein bemerkenswerter Stilpluralismus vor, in welchem manche Komponisten, wie Richard Strauss, ihre Antwort auf die obige Frage in einer Fortführung der programmatischen Ideen Liszts und Wagners sahen, andere, wie die Impressionisten um Debussy, wiederum eine neue Harmonik und Musikauffassung vertraten und zuletzt die allmählich aufkeimenden Ideen der Wiener Schule um Schönberg eine nahezu völlige Abkehr von der abendländischen Musiktradition forderten.
In dieser Zeit der musikalischen Verunsicherung sollte Sibelius zu einem ganz eigenen Personalstil finden, dessen Eigenarten bereits in seiner ersten Symphonie deutlich zu Tage treten. Im Gegensatz zum nur wenige Jahre älteren Gustav Mahler komponierte Sibelius seine Sinfonien in der Fortführung der klassischen Traditionen in dem Sinne, dass er seine Sinfonien nicht programmatisch verstanden wissen wollte. So schrieb er beispielsweise einen Tag vor seinem Tod dem deutschen Musikwissenschaftler Ernst Tanzberger in einem Brief, dass er darum bittet "ausdrücklich hervorzuheben, dass das Gewicht [seiner] Sinfonien in der klassischen Form liege und dass die ganz irreführenden Spekulationen über Naturschilderungen und Folklore weggeschafft werden sollten." Noch deutlicher wird seine Haltung in einem Gespräch mit Gustav Mahler in welchem Sibelius sich über das Wesen der Sinfonie äußerte: „Ich sagte, dass ich die Strenge, den Stil und die tiefe Logik einer Symphonie bewundere, die die Vereinigung aller Motive miteinander verlangt“. Und in diesem Sinne spielte für Sibelius besonders die Form seiner Sinfonien eine große Rolle: Bereits in seiner ersten Sinfonie sind die einzelnen Sätze verhältnismäßig eng miteinander verzahnt, was sich noch weiter steigern sollte und schließlich in der Einsätzigkeit seiner siebten Sinfonie gipfelte. Weiter führte er zwar die motivisch-thematische Arbeit im klassischen Sinne fort, hob jedoch im Verlauf seiner musikalischen Entwicklung die Anzahl der verwendeten Themen und Motiven auf ein beachtliches Maß. Verhältnismäßig traditionell gestaltet sich Sibelius' harmonische Sprache, wobei auch hier diverse Eigenarten die charakteristischen Klangsprache Sibelius' deutlich prägen: So verwendet Sibelius ausgiebig Kirchentonarten und häufig lassen sich Abschnitten seiner Werke nicht eindeutig eine Tonart zuordnen, was einen schwebenden und leicht entrückten Klangeindruck begünstigt.
So auch gleich zu Beginn seiner ersten Sinfonie. Die schwermütige nahezu meditative Einleitung der Soloklarinette wird abrupt durch einen strahlenden Zweiklang in der Sopranlage unterbrochen, welcher ganz ohne Basston das seltsam nackte harmonische Fundament für das Hauptthema bildet, das zwischen G-Dur und E-Moll schwebend von den hohen Streichern vorgetragen wird und in einem harmonisch eindeutigeren Abgesang mündet. Ein anschließend von den Holzbläsern vorgestelltes Motiv illustriert eine weitere Eigenart von Sibelius: Die melodische Linie umkreist einen sogenannten Reperkussionston, was durchaus an traditionelle finnische Runengesänge oder auch an gregorianische Melodien erinnert. Das leicht variierte Motiv wird nun abwechselnd von den Streichen und den Holzbläsern wiederaufgegriffen und mündet schließlich, untermalt durch Streichtertremoli, in einer fulminanten Steigerung an deren Ende das Hauptthema nochmals erklingt, nur um wenig später plötzlich von einem leisen Streichergeflirre abgelöst zu werden, welches sorgsam ein im dorischen Modus vorgetragenes weiteres Motiv begleitet, das schließlich in einem gewitzten Gespräch zwischen den verschiedenen Registern endet. Über einem ruhigen Streicherteppich erklingt schließlich das getragene Seitenthema, das geschickt mit den beiden zuvor erklungenen Motiven verflochten wird und in einer rasanten Steigerung bis zur Chromatik verfremdet wird, welche die Basis für die nun folgende Durchführung bilden soll. Die Durchführung selbst wirkt nahezu wie eine improvisierte Fantasie; zwar sind die einzelnen Motivbausteine zweifelsfrei wiederzuerkennen, doch erscheint es fast willkürlich wie diese zueinander in Beziehung gesetzt werden: Ein Frage-Antwort-Spiel wird überraschend von einer Steigerung abgelöst an deren Ende ein anderes Motiv ertönt, nur um dann wiederum durch eine alle Stimmgruppen ergreifende Chromatik ersetzt zu werden. Über dem Chaos dieser Chromatik erhebt sich schließlich das vom Beginn der Exposition bekannte Motiv in den hohen Streichern, welches zu einem melodischen Gebilde von großer Schönheit aufblüht. Am Ende der Durchführung steht schließlich die selbe Steigerung, welche auch in der Exposition wieder zum Hauptthema führte. Die anschließende Reprise gleicht weitestgehend der Exposition und endet in einer dramatischen Coda an deren Ende zwei gezupfte Akkorde den ersten Satz abschließen.
Der in Strophenform verfasste langsame Satz der Sinfonie beginnt mit einer sehnsüchtigen Melodie, welche durch Streicher und Bläser gleichermaßen vorgestellt wird. Nach einer kurzen Zäsur wird die zweite Strophe durch ein einsames Fagottsolo eingeleitet zu welchem sich allmählich immer mehr Stimmen gesellen die nach einer kurzen Steigerung einstimmig das rythmische Motiv aus dem Anfangsthema dieses Satzes fanfarenartig wiedergeben. Dieses wandert nun sich allmählich weiter steigernd durch alle Stimmen um plötzlich von einem zart instrumentierten Zwischenspiel abgelöst zu werden, welches die zweite Strophe beschließt. Die dritte Strophe wird eingeleitet durch ein Hornsolo, das stark an das Seitenthema des ersten Satzes erinnert und von Harfen und Violinen gleichermaßen untermalt wird. Die wichtige Rolle der Begleitung obliegt nun der Bratschengruppe, die mit für ihren Geschmack viel zu rasanten aber glücklicherweise leisen Trillern ein heiteres Gespräch zwischen den Holzbläsergruppen begleitet, welches sich anschließend auf alle Stimmgruppen ausweitet. Die vierte Strophe gleicht zu Beginn einem düsteren Tanz der nach einigen Takten der Entspannung in eine gewaltige rasante - und in einem langsamen Satz auch unerwartete - Steigerung übergeht. Die fünfte Strophe schließlich lässt den Satz enden wie er begonnen hat.
[Fortsetzung folgt im nächsten Beitrag]