Aus den Piano-News des staccato-verlags:
Es wird eng für die Klavierindustrie –
Der Blick nach China
Liebe Klavierfreundinnen und -freunde,
als im Jahr 2001 der Boom des Klaviers in China begann und dann 2008 so richtig in Schwung kam, ging dies nicht allein einher mit dem Aufstieg der chinesischen Klavierindustrie, sondern es war ein Segen für alle Hersteller von Tasteninstrumenten weltweit. Denn nachdem man in der chinesischen Politik gewillt war, die Klavierindustrie auf eine besondere Weise zu unterstützen, waren nicht nur die im Land befindlichen Klavierhersteller am Boom beteiligt, sondern auch die europäischen, denn in der aufstrebenden und immer reicher werdenden Mittelschicht des Landes wollte man sich gerne auch Instrumente aus dem Ausland anschaffen, Klaviere und Flügel aus Europa.
Punktesystem gestrichen
Die Kinder, die eine gute Ausbildungsquote im Instrumentalunterricht erhielten, sammelten damit Punkte, um ihre Möglichkeiten in weiteren guten Ausbildungsinstitutionen aufgenommen zu werden. Das wurde bereits 2018 gestrichen, Sonderpunkte außerschulischer Musikaktivitäten dann 2021. Überhaupt scheint China kein so großes Interesse mehr am Klavier zu haben. Dies war auch das Ergebnis der harten Corona-Politik, als die Kinder nicht mehr in eine Musikschule gehen konnten und damit viele erst gar nicht mit dem Klavierspiel begannen. Der Anfang eines Niedergangs war besiegelt. Immerhin sollen mittlerweile zahllose Musikschulen und Fachgeschäfte geschlossen worden sein.
Musikschulen schließen
Dies liegt auch daran, dass die meisten Musikschulen von den großen Klavierherstellern betrieben wurden, die damit gleichzeitig eine Plattform für Angebote ihrer Instrumente sahen. Und da es nun insgesamt weniger Klavierinteressierte in China gibt, haben auch die Institutionen kein regelmäßiges Interesse mehr daran, sich Premium-Instrumente aus Europa anzuschaffen – zudem wurden auch in dieser Hinsicht die Mittel der staatlich geförderten Institutionen eingeschränkt. Wenn aber in China die Absatzzahlen von Klavieren und Flügeln schwinden, hat dies einfach auch Auswirkung auf die gesamte Klavierindustrie in der Welt. Denn viele Firmen haben genau dort, in China, in den vergangenen 15 Jahren große Umsätze gemacht und haben gehofft, dass die so weitergehen könnte.
Auswirkungen
Das Ergebnis ist heute, dass besonders die Hersteller, die sich in den vergangenen Jahren auf gute Absätze in China stützen konnten, finanzielle Probleme bekommen. Mit einem Schlag wurden Bestellungen von Produktionen abgesagt – und eine Besserung ist nicht in Sicht. Hinzu kommt natürlich auch, dass die chinesische Wirtschaft insgesamt nicht mehr so gut dasteht wie noch vor etlichen Jahren. Zwar gibt es immer noch en Wachstum, aber es hat sich so sehr abgeschwächt, dass selbstredend als erstes die Hersteller von westlichen Kulturgütern wie Klavieren und Flügeln dies zu spüren bekommen.
Nun ist es auch so, dass einige der großen asiatischen und insbesondere der chinesischen Hersteller seit langem bereits zur jeweiligen Zeit schwächelnde deutsche Unternehmen aufgekauft haben. Das betrifft das Braunschweiger Unternehmen Schimmel, das zur chinesischen Pearl River Group gehört, ebenso wie das ebenfalls in Braunschweig ansässige Unternehmen Grotrian, das zur Parsons Music Group in China gehört. Beide Unternehmen sind also abhängig von den gut laufenden Geschäften der Besitzerfirmen in China. Das ist momentan allerdings nicht gegeben.
Auch das koreanische Unternehmen Samick Musical Instruments hatte bereits vor Längerem ein deutsches Unternehmen aufgekauft, das in Kitzingen ansässige Unternehmen Seiler. Dort wird man nach schwierigen Jahren und einem leichten Aufschwung in den vergangenen 10 Jahren nun die Produktion stoppen. Die Gebäude stehen zur Vermietung.
Erfahrungen
Schon bei der Finanzkrise 2008 hatten Klavierhersteller aus Deutschland und Europa zu spüren bekommen, dass man sich nicht auf eine Weltpolitik verlassen kann, sondern sich breit aufstellen muss. Damals waren etliche deutsche Klavierbauunternehmen in Schieflage geraten, die sich vor allem auf den US-amerikanischen Markt und den dortigen Absatz verlassen hatten. Mit einem Schlag war dieses Absatzland nicht mehr vorhanden. Diesen Fehler haben etliche nun auch mit China gemacht und müssen schnellstens umdenken. Das wird allerdings nicht einfach sein, denn die Lager sind nach dem „Ausverkauf“ in den Corona-Jahren, wo sich so viele Menschen an das Klavier „erinnert“ hatten, wieder voll – aber wo soll man sie verkaufen?
Auch in Deutschland ist das Interesse am Kauf von neuen Klavieren und Flügeln seit Beginn des Jahres 2023 ins Stocken geraten. Die Händler müssen sich anstrengen ihre Instrumente an den Kunden zu bringen. Das funktioniert nicht mehr so leicht wie nach vor ein paar Jahren. Aber ein Händlersterben ist noch nicht in Sicht. Aber noch haben alle Händler gute Bestände kaufen nur bedingt neue Ware vom Hersteller. Wie lange das für die Produzenten noch gut geht, weiß man nicht. Woran dies in Deutschland liegt? Nun, sicherlich auch immer noch an der Unsicherheit vieler Deutsche, die der Politik nicht trauen und das Geld lieber auf der Bank horten, als es auszugeben – vor allem, seit es bei den Banken wieder Zinsen auf dort liegendes Geld gibt. Zudem ist die Erfahrung mit der Inflation noch in den Köpfen der Menschen verankert – und ja, viele Bereiche des Alltagslebens werden immer noch teurer, so dass sich viele finanziell gar nicht mehr überlegen können, sich ein Instrument anzuschaffen. Und zudem sind die Instrumente auch deutlich teurer geworden, da die Hersteller die steigenden Kosten – wie in allen Produktionsbereichen – auf die Kunden umlegen. Es scheint ein Teufelskreis zu sein …
Allein von den großen japanischen Herstellern hört man noch keine deutlich negativen Meldungen, auch wenn Hersteller wie Kawai oder Yamaha selbstredend ebenfalls den Niedergang des chinesischen Marktes verspüren.
Was könnte helfen?
Nun, schon vor etlicher Zeit habe ich an dieser Stelle einen Artikel verfasst, der das Klavier als Kulturgut in Deutschland darstellte. Die Corona-Zeit hätte eigentlich auch die Politik dafür sensibilisieren müssen, dass in der Musik-„Industrie“ – in der gesamten – mehr Umsatz generiert wird als in vielen der sogenannten Vorzeige-Wirtschaftszweige. Und zudem arbeiten auch mehr Menschen in dieser „Industrie“. Allerdings sind sie schlechter organisiert, haben keine Lobbyisten, die die Politik beeinflussen, wie das andere Industriezweige machen.
Was helfen würde, wäre eine deutliche Unterstützung der Musikausbildung sowie der Industrie, die für diese noch in Deutschland Instrumente herstellt, und nicht längst ins Ausland abgewandert ist. Das Erkennen, dass Musik und das Klavier zum Kulturgut eines Landes wie Deutschland gehören, wird aber wohl erst dann erkannt, wenn es zu spät ist – wie so oft. In anderen europäischen Ländern gibt es bereits seit längerem keine Klavierhersteller mehr. Aber dass China nicht der Heilsgral der Musikinstrumentenindustrie ist, lässt sich gerade jetzt deutlich erkennen.