Chopin - Liszt: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und manchmal verzerrende Bilder
Rolf,Deine hier irgendwo versuchte Darstellung, dass sich Chopin und Liszt in pianistischer Hinsicht ähnlich gewesen seien, finde ich abwägig. Die Ähnlichkeit beschränkt sich mehr oder weniger darauf, dass beide Genies an den Tasten waren, aber sie waren nach allem, was wir aus dieser Zeit an Fakten vorliegen haben, pianistisch so unterschiedlich, wie es kaum unterschiedlicher sein kann. Chopin sagte mal, Liszt versuche, die Massen im Konzert zu unterwerfen. Er selbst versuche, die Herzen zu gewinnen.
hallo Mindenblues,
mit Sicherheit hat Chopin sein Leben lang im besten Sinne "fein" Klavier gespielt: klar, differenziert, rhythmisch (nur manchmal in seinen Mazurkas sehr eigenwillig). Zu den in den 30er Jahren und danach populären "Klavierzertrümmerern" wollte er nicht zählen, und überliefert ist sein Spott über seinen Schüler Gutmann: "er hat nur eine Klangfarbe, fortissimo".
nun sind allerdings ebenso glaubwürdig dieselben Tugenden von Liszt überliefert: ein müheloses, differenziertes, rhythmisches und klares Klavierspiel - freilich auch von überwältigender Virtuosität, wo diese gefordert war (vornehmlich in seinen Opernfantasien - eine Gattung, zu welcher Chopin sich nicht hingezogen fühlte).
das Paganini-Erlebnis, eine Art Initialzündung für die innovativen großen Klavierkomponisten der Romantikergeneration, hatte sie alle (auf ihre jeweils individuelle Weise) ergriffen - den Katalog der Chopinwerke
dieser Richtung habe ich ja erwähnt.
was nun die glaubwürdigen Zeitzeugen betrifft:
- einerseits bescheinigen sie (weniger während, als nach Chopins Lebensspanne) in der Tat sein im besten Sinne kultiviertes und feines Klavierspiel, immer hochexpressiv
- andererseits bescheinigen sie auch, dass er z.B. die gewaltigen Steigerungen seiner op.53 Polonaise und seines Scherzos der Trauermarschsonate realisiert hatte - und das bedeutet, dass er seine eigenen Relationen der Klangstärke von ppp bis ff inklusive des virtuosen Tempos mal salopp gesagt "drauf" hatte. Eventuelle Phonzahlen a la Liszt spielt op.53 "lauter" gibt es nicht, und sie würden auch nicht helfen: wir können aber ziemlich gewiß sein, dass beide op.53 spielen konnten.
- bedenkenswert ist, dass in den "Urteilen" nur selten der direkte Vergleich von
gleichen Programmen auftaucht; stattdessen kann man lesen, dass Liszt in einem großen Saal die Hammerklaviersonate "uraufführte" (da wäre ich gerne dabei gewesen!) und dass Chopin seine Nocturnes unvergleichlich schön gespielt hatte (zart, fein, farbig, expressiv - oder wie Heine ihn nannte: "der Raffael der Musik", und da wäre ich auch gerne dabei gewesen). Über Gutmann wissen wir aus Chopins eigenen Mund, dass dieser das 3. Scherzo ziemlich gedroschen hatte, was Chopin selber sicher nicht getan hat (denn neben ff gibt es dort ja auch viel p-pp) :) - - - in diesem Sinne hilft es für ein möglichst realistisches Bewundern von Chopin und Liszt nicht, wenn man ungleiche Repertoireteile gegenüberstellt. Interessanter ist da, dass beide (auch ein berühmtes Zeitzeugnis!!) den ersten Satz der Mondscheinsonate direkt nacheinander so spielen konnten, dass es den Zuhörern unvergeßlich blieb (und da wäre ich am allerliebsten dabei gewesen, mit professionellem Aufnahme-Equipment!!!).
die Anfang der 30er Jahre in Wien aufgeführten Klavierkonzerte mit Chopin am Flügel litten unter zwei nicht eben optimalen Bedingungen: zu wenig Orchesterproben und ein eher "dünnhäutiges" Instrumen (da stand noch keine großer Pleyel oder Erard) - und die schwächeren Instrumente konnten keine große Lautstärke produzieren.
Fest steht:
Chopin als Pianist war in der Lage, die Klangrelationen seiner Werke überzeugend darzustellen -
ohne Lärm zu produzieren. Nun sind es gerade die Übertreibungen, die (wenn auch in guter Absicht) so manches verzerrte Bild haben entstehen lassen: da wird
im Nachhinein Chopin zunehmend zarter und ätherischer, und Liszt immer titanischer und lauter. Solche Verzerrungen gilt es kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet nicht, dass dadurch Chopin zum Fortissimo-Heroen verzerrt werden soll - ich meine das eher im Sinne von spätere Verzerrungen und Übertreibungen so weit es geht abzuziehen. Fest steht:
Liszt als Pianist war in der Lage, die Klangrelationen seiner Werke überzeugend darzustellen -
ohne Lärm zu produzieren. Und fest steht, dass die Klaviermusik wie auch das Klavierpiel entscheidend von beiden weiterentwickelt wurde.
In diesem Sinne ist ein allzu "ätherisches" Chopinbild eine Verzerrung - und diese ist ja nicht die einzige Verzerrung, die sich im Lauf der Rezeptionsgeschichte der Chopinschen Klavierwerke wie auch des Bilds vom Künstler ereignet hat. Man denke nur an die willkürlichen Rubato-Exzesse.
Was nun die Ähnlichkeiten, manchmal Wesensverwandschaft gar, der Klavierkompositionen von Chopin und Liszt betrifft: zieht man mal Genres wie Opernfantasien und Transkriptionen von gewaltigen Orchestersachen (Wagner, Berlioz, Beethoven) ab, so sind sich Chopin und Liszt sicher ähnlicher als Chopin und Schumann oder Chopin und Mendelssohn.
Zieht man manche sonderbare Übertreibung ab (Chopin hat die Atonalität nicht erfunden!), so ist das recht neue polnische Buch über Chopin (Hg. Tomaszewski) lesenswert (es ist übersetzt).
Und ehe es Schelte hagelt: dass in Liszts Persönlichkeit wie Werk mehr extrovertierte Komponenten wahrnehmbar sind, als bei Chopin, wird niemand (nicht mal ich) bestreiten - schön wäre, die Ausbrüche und oftmals vehemente Virtuosität des Chopinschen Oeuvres ebenso wahrzunehmen, wie auch die vielen introvertierten Komponenten bei Liszt. Dass sich Liszt der Gladiatoren-Arena stellte, unterscheidet seine "Karriere" von der Chopins, der sich in der Gladiatoren-Arena befangen fühlte, aber dennoch dort Eindruck machte - egal in welchem Rahmen: spielte einer von den beiden, dann war das eine Sensation!
Gruß, Rolf