Ich glaube nicht, dass das geht. Damit meine ich, dass man das nicht direkt so erlernen kann. Für mich brauch das Interpretieren von Noten eine gewisse Erfahrung, die man nur bekommt, wenn man sich überraschen lässt. Wie auch sonst? Ich glaube nicht, dass eine Person, die keine oder wenig Erfahrung hat, Noten interpretieren kann und dir sagen kann, wie das Stück nach ihrem Empfinden klingen wird.
Ich spiele erst mal doof die Noten und entwickle dann für mich eine Vorstellung, wie ich es gerne hätte... ist das so falsch?
Zunächst mal: das hatte irgendjemand geschrieben, den ich für kompetent hielt und es leuchtete mir ein und deswegen habe ich es mir als Lernziel vorgenommen und hier sinngemäß zitiert. Aber vielleicht kann hier ein Pädagoge noch fundierter etwas zu sagen.
Du hast recht, dass das Interpretieren von Noten Erfahrung braucht. Aber eine Überraschung sollte da nur am Anfang und immer weniger passieren.
Ein Beispiel: ich habe Lesen noch buchstabenweise gelernt (danach wurde die Ganzwortmethode modern, k.A. wie's heute ist) und erinnere mich, viele Worte erst nach vollständigem Buchstabieren verstanden zu haben, z.B. A-u-t-o, aha, damit ist "Auto" gemeint! "Auto" war bis dahin nur eine gehörte Lautfolge für mich, eine Vorstellung vom Ding und das Muster einer Abfolge von Sprechbewegungen, die die Lautfolge "Auto" erzeugen. Kurz danach konnte ich dann den optischen Eindruck der Buchstabenfolge A-u-t-o als Wort "Auto" interpretieren und auch beim Schreiben denke ich schon lange nicht mehr daran, welche Buchstaben ich nacheinander zu schreiben habe: die Buchstaben sind irgendwo in einer Subroutine und im Bewußtsein nicht mehr nötig.
Beim Notenlesen ist es oft ähnlich, denke ich: es gibt z.B. Intervalle, Dreiklänge in Dur und Moll in den diversen Umkehrungen, Tonfolgen aufwärts/abwärts in verschiedenen Stufengrößen: chromatisch, diatonisch, ... . Dies sind "Worte", die ein Erfahrener nicht wie ein Anfänger Note für Note in Tastenorte interpretiert, anschlägt und sich dann vom Klang überraschen lässt, sondern die er schon im Notenbild als 1. Umkehrung von Emoll erkennt, so wie den Begriff "Auto", und dann schreiben seine Finger Em/G auf die Tastatur, so wie wir das Wort "Auto" auf Papier schreiben, ohne nachzudenken.
Wichtig scheint mir nun beim Üben des Notenlesens, das
Erkennen der Worte zu üben. Das ist nicht nötig, um etwas vom Blatt in das Fingergedächtnis einzuprogrammieren, aber wenn man sich auf dieses beschränkt geschieht kein Lernfortschritt bzgl. des Erkennens von Worten.
Und was ist nun ein musikalisches Wort? Ein Notenbild, ein Fingerbild?
Was sagt uns das Wort "Auto"? Die Buchstabenfolge? Den Konstruktionsplan?
Viel mehr (Komfort, Risiko, Kosten, Ort des ersten Kusses, ..., ..., ...)! Und wenn dieses Wort in einem Gedicht vorkommt, das wir vortragen, werden wir diese "Idee" im Kontext einbauen und entsprechend artikulieren, wie einen Klang, wie Em/G, ohne an die Buchstaben oder die Zahl der Räder zu denken.
Die Krux ist nur, dass wir viel weniger Noten als Buchstaben lesen. Selbst als Rentner, wie soll ich da vornakommen
Puh, näxtes Mal statt Buchstaben lieber Noten.
LG
Hanfred
PS: das Ganze geht noch komplexer, mit Floskeln, Formulierungen, ... undnennt sich dann Harmonielehre, glaube ich.